Brücken, die die Sehnsucht schlug. Liane Sanden
Märta.“
„Tut auch nichts, Jürgen“, tröstete sie, „denke daran, wieviel schwerer es andere junge Menschen haben, die sich ein Studium Pfennig für Pfennig selber verdienen müssen. Denk an Vic, dem es sicher auch nicht zum besten geht.“
Ihr feines, seelenvolles Gesicht nahm einen sorgenvollen Ausdruck an. „Ich habe Angst um Vic“, gestand sie leise, „ich habe so lange nichts von ihm gehört.“
Da war es denn jetzt Jürgen, der Märta zu trösten hatte. „Sag’ einmal“, meinte er, um sie abzuleneken, „so herrlich es auch ist, dass du bei uns bist — aber wozu lernst du mit deinem grossen zeichnerischen Talent hier eigentlich die Landwirtschaft, wenn du doch einmal in die Welt gehen und Illustrationszeichnerin werden willst?“
„Das geschieht auf Wunsch meines Vaters, der selbst grosse Ländereien besitzt, die er von seinen Eltern ererbt hat. Gelbstverständlich wäre es mir auch lieber, schon heute hier und morgen dort zu sein, aber ich muss meinem Vater recht geben, dass man zuerst irgendeine handfeste Tätigkeit so auszuüben verstehen soll, dass man sich dadurch zu ernähren vermag. Weisst du, meine zeichnerischen Fähigkeiten in allen Ehren — aber das ist doch mehr Luxussache, und ich kann froh sein, wenn ich dadurch einmal soviel verdiene, wie neine Reisespesen ausmachen werden. Denn die Welt will ich sehen“, schloss sie begeistert. „Meine Schwester Thora denkt übrigens ähnlich wie ich. Sie möchte leidenschaftlich gern Filmschauspielerin werden, wofür ich nun keinerlei Eignung hätte. Aber Vater hat darauf bestanden, dass sie erst ihr Examerals Zahnärztin macht — ein Beruf, für den sie sich auch sehr interessiert. Was ihr später tut, Mädels, ist eure Sache!ʻ sagt er immer. Ihr sollt aber eurem alten Herrn nie vorwerfen können, das ser euch nicht etwas lernen liess, was vielleicht seinen Mann besser ernährt wie allerhand Faxereien. Findest du diese Ansicht nicht äusserst vernünftig, Jürgen?“ schloss sie mit einem Seitenblick auf ihren Kameraden, und dieser nickte. Inzwischen war es Zeit geworden, dass sie endlich in höchster Eile ihr Motorboot bestiegen und den Gute Scholtenkamp zusteuerten.
„Du, Jürgen“ — Märta kam nochmals auf das Gespräch über die veränderte Stimmung Malte Hauers zurück — „vielleicht ist dein Vater deshalb jetzt so leicht böse und gereizt, weil ihn ausser den Geldverlusten der Gedanke an deine Zukunft bedrückt. Hältst du das nicht auch für möglich?“ Dabei spähte sie sorglich voraus, ob auch kein Segelboot ihre Fahrtrinne kreuzte. „Wenn er eine bessere Wirtschaft auf Scholtenkamp führte“, gab Jürgen hart zur Antwort, „dann hätte er weder das eine noch das andere nötig. Na, jedenfalls heute hagelt es uns gehörig in die Suppe, Märta — aber sie sollen mich nicht zu sehr quälen“, brach er plötzlich aus, „ich bin schliesslich kein kleines Kind mehr, und wenn es mir zu dumm wird —“ er sprach nicht weiter — aber seine Gedanken gingen einen bestimmten Weg. — — —
Schweigend fuhren sie dahin, Jürgen sass am Steur. Seine Augen waren zusammengepresst; scharf wie ein Falke spähte er — die Fahrtrinne hier war nur schmal, ein wenig zu weit nach links, und man kam auf Grund. Märta sass träumerisch in dem Boot, Jürgen musste sich mit aller Macht bezwingen, seinen Blick aufs Wasser zu richten, aber immer wieder musste er Märtas feines, süsses Jungmädchengesicht auschauen. Der Gedanke, dass er sie morgen nicht mehr sehen würde, brannte wie ein glühendes Feuer in seinem einsamen Herzen. Märta hielt den schönen gemmenhaften Kopf leicht erhoben, sie dachte hinaus weit über die blaue Flut — weit über das Weltmeer, dort, wo in einer unbekannten Ferne, in einem unbekannten Leben ein schlanker, dunkeläugiger, verwegener Junge um seine Leben kämpfte. Und eine Sehnsucht kam über sie, einmal dies Land drüben mit eigenen Augen zu sehen, das Vic Fischer magisch angezogen hatte — um dessentwillen er hier die lachende, sonnige Heimat zwischen den dunklen Buchenwäldern und den blauen Meeren verlassen. —
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Auf Scholtenkamp war es still geworden. Märta war längst wieder in Schweden auf den Besitzungen des Vaters, von denen sie Jürgen erzählt, und versuchte dort das bei Frau Renate Erlernte zu verwerten. Oft, wenn die Sonne unterging, sass sie auf der Terrasse, die zum Park führte, und dachte an die beiden jungen Menschen, die ihr so teuer waren. Dann griff sie selbstvergessen zum Skizzenbuch und zeichnete immer wieder dieselben Jünglingsköpfe. Aber Vics Porträt war immer viel feiner durchdacht, und in seinen Augen lag ein Ausdruck, der von ganz besonders tiefer Empfindung sprach. Fuhr Märta dann aus ihren Träumerein auf, so vernichtete sie gewöhnlich das Blatt, das ihr klarer als ihr eigenes Herz zeigte, wie es um ihr Gefühl für den fernen Kameraden eigentlich bestellt war.
Jürgen Hauer hatte nicht nur das Abiturium, sondern auch den landwirtschaftlichen Doktor auf der Universität Greifswald mit Auszeichnung bestanden. Er hatte sich ein paar Studiensemster in Heidelberg erkämpft, denn der Vater hielt nicht viel von Ländern, die ausserhalb seiner engen pommerschen Heimat lagen. Dazu kam, dass sich die immer schlechter werdende wirtschaftliche Lage auch bei dem Vater sehr auswirkte, ihn verbitterte und die Heftigkeit seines Charakters ins Unerträgliche steigerte. Er wollte oder konnte nich einsehen, dass seine veraltete Wirtschaftsmethode das Wenige, was man aus Scholtenkamp hätte herausholen können, immer mehr verringerte. Er war alt geworden, sehr alt und eigensinnig, der Herr auf Scholtenkamp. — Und immer mehr geriet er in die Hände seines Inspektors, eines zähen, bauernschlauen Mannes, gegen den Jürgen immer ein instinktives Misstrauen gehabt. Wenn er aber einmal vorsichtig die Rede darauf gebracht hatte, ob die geradezu lächerlichen Ernteerträge mit rechten Dingen zugingen — oder ob Inspektor Schlinker vielleicht ein wenig in die eigene Tasche wirtschafte, war der Vater wie ein Rasender aufgefahren. Er hatte Jürgen einen frechen Grünschnabel geheissen, „der erst trocken hinter den Ohren werden sollte, ehe er es wagte, alte und erfahrene Männer, denen sein Vater Vertrauen schenke, zu verdächtigen.“
Da war Jürgen still hinausgegangen, seinen Zorn in sich hineinwürgend. Oh, er wusste wohl, womit der scheinheilige Inspektor sich das Vertrauen des alten Herrn erkauft — mit seinem glänzenden Whyst- und Kartenspiel — und mit der Geschmeidigkeit, mit der er allen Launen des Scholtenkamper Herrn nachgab. Er redete ihm in allem zu Mund, schimpfte mit ihm über die schlechten Zeiten und tat nichts, um die Abneigung des alten Herrn gegen neumodische Betriebsmethoden zu überwinden. Er hatte es verstanden, alle wichtigen Posten mit seinen Leuten zu besetzen, der Oberschweizer, die Vorarbeiter waren seine Kreaturen, Jürgen fühlte es, ohne es doch beweisen zu können, und er hätte darauf schwören mögen, dass der Vater nach allen Regeln der Kunst betrogen wurde. Aber wie sollte er es ihm nachweisen, so dass der Vater es ihm glauben musste? Alles, was nötig gewesen wäre, um einen rationellen Betrieb zu sichern, Dampfpflüge, Sämaschinen, elektrisch betriebene Dreschapparate, hygienisch einwandfreie Vorrichtungen zum Melken, alles erklärte der Herr auf Scholtenkamp für neumodisches Teufelszeug, und der Oberinspektor pflichtete ihm bei. Es war ein eigentümlicher Einfluss, den dieser dunkeläugige, gelbgesichtige Inspektor Schlinker auf den Vater ausübte. Jürgen zerbrach sich schon lange den Kopf darüber. Als er einmal die Mutter fragte: „Sag mal, Mutter, was hat der Vater eigentlich an dem Inspektor gefunden, dass er sich ihm so blindlings in die Hände gibt?“ war das müde Gesicht Frau Renates schneeweiss geworden.
„Kümmere dich nicht darum, mein Sohn“, hatte sie erregt erwidert, und dann, als wollte sie das Schroffe ihrer Worte abschwächen, hatte sie leichter hinzugefügt: „Der Vater findet gar nichts Besonderes an ihm, er hat nur mehr Menschenkenntnis als du und weiss, was der Oberinspektor wert ist. Im übrigen hast du deinen Vater nicht zu kritisieren.“
Da hatte Jürgen geschwiegen. Aber mit Sehnsucht dachte er an den Tag, an dem er hier einmal vollberechtigter Mitarbeiter sein würde. Dann wollte er dem Inspektor und auch dem Vater zeigen, wie man ein Gut rationell bewirtschaftete. Denn auch der Wald, der zu Schlotenkamp gehörte, wurde nicht mehr regelmässig durchforstet. Hauers Oberförster war alt und liess drei gerade sein. Renate wuchsen alle diese Dinge über den Kopf, vielleicht aber verstand sie auch nicht allzuviel von der Aussenwirtschaft. In ihrer ureigensten Domäne hingegen, im Haus, Garten und Hühnerhof, war sie eine anerkannte, weit und breit berühmte Meisterin. Freilich, allmählich wurde sie auch müde, zu schaffen und zu streben, wenn sie immer wieder sah, sie konnte es allein mit den Erzeugnissen ihrer Kleinvieh-, Geflügel- und Gartenwirtschaft nicht schaffen. Wenn nicht auch der Grossbetrieb ebenso musterhaft organisiert war und gute Erträgnisse