Brücken, die die Sehnsucht schlug. Liane Sanden

Brücken, die die Sehnsucht schlug - Liane Sanden


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als Liftboy. Kein Mensch hatte ihn nach seinen Papieren gefragt, als er sich mit einer Reihe einheimsicher Arbeitsloser in New York um den Posten in Amerikas grösstem Warenhause bewarb. Für sein Leben gern wäre er natürlich sofort nach „Wild West“ gegangen. Aber erst hiess es, die englische Sprache ebenso fliessend zu beherrschen wie Deutsch und Spanisch. Dass er den Job bei Wannemakers bekam, verdankte er sowieso nur der Tatsache, dass er wenigstens einigermassen sprachkundig war, gut aussah, gewandt und von bester Erziehung schien. Beseelt von eiserner Energie nahm er — abends, nach dem anstrengenden Dienst müde zum Umfallen — noch englischen Unterricht und kam nach und nach langsam im Leben vorwärts. Freilich war die Zeit hart gewesen, doch als „seine“ Putbuser Gymnasiumskalsse ein Jahr vor dem Abschlussexamen stand, gab Vic bereits Reitstunden im vornehmsten New Yorker Tattersall. Nichts hatte ihm so sehr gefehlt, wie die Beschäftigung mit seinen besten Freunden, den Pferden, deren wilde Vettern, die Mustangs, er gar zu gerne in ihrer texanischen Heimat gefangen hätte. Aber noch mangelte es ihm an Mitteln dazu, denn wenn er nach diesem Teile Amerikas ging, wollte er für alle Fälle einen Notpfennig auf der Bank und eine gewisse Summe bei sich haben. Auch die Ausrüstung — selbstverständlich eine alte, damit man ihm um keinen Preis das Greenhorn, den Neuling, anmerke, würde nicht ganz billig sein, und Vic beschloss, nichts zu übereilen.

      Als einer seiner prominentesten Reitschüler, bevor er eine Weltreise antrat, dem liebenswürdigen jungen Lehrer 25 Dollars als Abschiedspende in die Hand drückte, war er nicht schlecht erstaunt, als der Beschenkte ihn höflich bat, für ihn diese Summe in Indien, oder wo es ihm sonst gerade passen würde, an Donna Carola einzuzahlen. Niemand, ausser Märta und Jürgen, sollte wissen, wo Vic sich aufhielt, und nicht einmal das Mädchen, dessen lichtes Bild sich in seiner Seele unauslöschlich festgesetzt hatte, kannte seine genaue Adresse. In der Annahme, dass Vic dort auch wohne, richtete Märta stets ihre Briefe an: Mrs. Marn Parr, for Mr. Vic, Lexington Aveneue, New York. Das war die Boardinghousewirtin, bei der ihr Freund seit seiner Ankunft in Amerika zu speisen pflegte. In Wirklichkeit lebte Mr. Fisher am anderen Ende der riesigen Stadt — das war ein wenig umständlich und zeitraubend, aber seinen Plänen durchaus angepasst. Durch die Geldsumme, die eines Tages auf einer Auslanspostanweisung: „im Austrage von Mr. Victor Fischer“ aus Bangkok bei den alten Fischers auf Buchenhorft eintraf und dort grosse Sensation auslöste, fühlte sich Vic erstens gänzlich von dem Vorwurf des Diebstahls gereinigt. Zweitens aber war er sicher, auf diese Weise auch die letzte seiner Spuren gänzlich verwischt zu haben.

      Nach und nach glaubte er, die Korrespondenz mit dem Mädcehn, das er liebte, sei völlig unsinnig. Würde er Märta jemals ein Heim bieten können? Wusste er überhaupt, ob sie seine Gefühle erwiderte? Er besass keinerlei Rechte an Märta und nichts, was die Zukunft sicherte. Wenn er sich in schlaflosen Nächten an das Fenster des Zimmers setzte, das er im 35. Stockwerk eines neu errichteten Wolkenkratzers bewohnte. Und in den leuchtenden Sternenhimmel starrte, den das milde, silberne Licht des Mondes überflutete, so packte ihn oft ein bitteres Heimweh. — Stand er jedoch am Morgen auf, wenn die Sonne grell auf den Dächern brannte und die steinerne Wüste New Yorks sich zu beleben begann, so fasste ihn ebenso wilde Gehnsucht nach den freien Steppen des westlichen Amerika, fern der steinernen, grellen Zivilisation. Der Rio Grande stand vor seinem Geiste, mit seinen gewaltigen Cannons und wilden Schluchten, dem weidenden Vieh und den edlen Pferden.

      Eines Tages hielt er es nicht mehr aus. Sien Boss, der ihn ausserordentlich schätzte und seine Sehnsucht kannte, hatte dem bescheidenen deutschen Jungen zugesagt, ihn nach Pasadena zu schicken, wenn er neue Gäule für seinen Handel, den er neben der Reitschule betrieb, benötigte. Pasadena — das war Texas — Wild-West — das bedeutete die Erfüllung von Vic Fishers kühnsten Träumen. Er sollte auf dem dortigen berühmten Pferdamarkt, wo es hiess: die Augen offen, Brieftasche fest und Revolver, den Vic meisterhaft zu beherrschen gelernt hatte, locker! eine Anzahl geeigneter Tiere auswählen und sie mit einem Begleitmanne zusammen nach New York verladen lassen. Damit sollte Vics Tätigkeit für den freundlichen Boss erledigt und der junge Reitlehrer fortan sein eigener Arbeitgeber sein. Es wurde noch verabredet, dass Vic die 500 Dollars, die er sich nach und nach erspart hatte, in den gewinnbringenden Unternehmen Mr. Petterfields anlegen, dass die Zinsen solange zum Kapital geschlagen werden sollten, bis der „Geldgeber“ anders disponierte. Die andere Hälfte der zurückgelegten Summe, in gleicher Höhe, nahm Vic in Scheinen und Mexikanischen Silberdollars mit, um an Ort und Stelle nicht nur seine Ausrüstung zu erwerden, sondern auch das beste Reitpferd, das es zwischen dem mexikanischen Golf und den Staaten gab. Den Rest wollte er bei sich behalten oder auf einer Bank einzahlen, um sich endlich — Hals über Kopf — in ds Abenteuer zu stürzen.

      Das Abenteuer . . . Die Träume seiner Jugend tauchten wieder vor ihm auf. Er sah sich am Strande, dicht bei den Felsen von Stubbenkammer, deren kreidiges Weiss sich in dem leuchtenden Blau des Meeres widerspiegelte, geheimnisvolle Sandbauten errichten. Er ahmte die alten Paläste und Schatzkammeren der Inkas nach, jener Ureinwohner Mexikos, die Donna Carola zu ihren Vorfahren rechnete. Sogar ein königlicher Azteke sollte sich unter ihnen befunden haben. Vic lächelte ein wenig bitter bei dem Gedanken, welch unkönigliche Beschäftigungen er, der Nachfahre so erlauchten Bluts, in den letzten Jahren ausgeübt hatte. Aber das war wohl nicht das Ausschlaggebende. Stets war er auf saubere und ehrliche Weise seinem Beruf nachgegangen, und auch das Abenteurerleben, dem er jetzt mit heissem Herzen entgegensah, sollte ihn moralisch nicht unterkriegen. Darauf gab er sich selbsr sein Ehrenwort . . .

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      Nun befand er sich schon seit Tagen auf einem Steamer zwischen New York und Galveston. Es war die Einfallspforte in das Land Texas, nicht allzuweit von Pasadena entfernt, wo Vics Auftrag ausgeführt werden musste. Dann lag jede Pflicht hinter ihm; als freier Mann konnte er die freie Prärie lieben oder hassen lernen — ganz wie das Glück ihm günstig war.

      Das Glück — Vic lächelte bitter bei dem Gedanken an Glück. Dass er das doch immer und immer noch nicht vergessen konnte! Dabei hätte er doch inzwischen in seinem harten Leben hier draussen lernen können, dass die ganze Welt in Ungerechtigkeit bestand, und dass viele Menschen härter waren als seien Eltern. Vielleicht waren sie gar nicht einmal so erbarmungslos gewesen, wie er es, in seinem jungendlichen Zorne, gesehen. Vielleicht waren alle Menschen, denen es gut ging, geneigt, über das Elend anderer hinwegzusehen. Man musste wohl erst einmal selbst im Unglück gewesen sein, um das anderer mitzuempfinden. Warum nur konnte er seinen Eltern das alles nicht vergessen? Vielleict deshalb nicht, weil er immer zu ihnen aufgesehen, und weil sie ihm in der Jugendzeit, mehr noch in seiner ersten Kinderzeit. ebenso allmächtig erschienen waren wie der liebe Gott? Darum hatte ihn die Enttäuschung doppelt hart getroffen, und deshalb wohl musste er immer und immer noch über all das längst Vergangene nachgrübeln. Aber selbst, wenn er die Heimat und die Eltern hätte vergessen können, zwei Menschen vergass er nicht. Seinen Jugendfreund Jürgen — was mochte aus dem weichen, schmiegsamen Jungen für ein Mann geworden sein — Märta — seine erste heisse Liebe. Aus ihren früheren Briefen wusste er, welch gute Kameraden die zwei geworden waren, und vielleicht wollte es das Schicksal, dass sie einander einmal mehr wurden. Er biss bei diesen Gedanken die Zähne zusammen und umklammerte das morsche Holz der Reling. Aber er kannte die Seele der schwedischen Mädchen nicht, die er zwar für herbe und tief helte, deren unverbrüchliche Treue ihm jedoch noch nicht aufgegangen war. Er lag mit sich selbst in verzweifeltstem Kampfe, dass er mit dem letzten Schreiben aus New York an Märta erneut alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte — dass er von diesem Tage an ein Verschollener für die war, die in der Heimat oder anderswo voller Freundschaft seiner gedachten. Trug ihn das Glück nach oben — ja, dann konnte man immer noch sehen, ob Märta ihn wollte. Seine Chancen standen 1: 100 — er konnte nur verlieren und nicht gewinnen — oder vielleicht doch?

      Um sich aus seinen nutzlosen Gedanken zu befreien, mandte sich Vic seufzend einem jungen Texaner zu, mit dem er sich an Bord angefreundet hatte und der ihm ein echter Revolvermann zu sein schien. Jim Lightfoot — ein angenommener Name — war jeden Tag gewisse Zeit damit beschäftigt, den neuen Kameraden in die Geheimnisse des „Ziehens“ einzuweihen. Denn in Wildwest behält bekanntlich bei Streitereien nur der die Oberhand, der, ohne die Waffe in Anschlag zu bringen, sie fixer zieht als sein Gegener . . .

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