Johanna spielt das Leben. Susanne Falk

Johanna spielt das Leben - Susanne Falk


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bitte sagen dürfen: Es hat uns äußerst gut gefallen.«

      »Na bravo!«, sagte Oskar Werner lachend und hob sein Glas zum Gruß, begleitet vom Jubel seiner Kollegen. Dann zeigte er mit dem Finger auf den anderen jungen Herrn in schwarzem Anzug, ebenfalls Hornbrille tragend, aber klein und untersetzt. »Und du? Was sagst du? Na, komm, wer war der Beste?«

      »Geh, lass ihn doch, das ist ja kein Wettbewerb«, maulten die anderen, die Werner nicht den Triumph gönnen wollten, als Bester aller Schauspieler des Abends zu gelten, obwohl er das zweifellos war.

      »Na, ich will eine Antwort!«, nagelte Oskar Werner den jungen Mann fest. »Los, spuck’s aus: Wer war der Beste?«

      Jetzt schauten alle auf ihn und für einen kurzen Moment kehrte ungewohnte Ruhe ein. Da erhob sich der junge Herr im dunklen Anzug von seinem Stuhl, machte tatsächlich eine leichte Verbeugung und zeigte dann, ohne zu zögern, mit dem Zeigefinger auf Johanna.

      »Das junge Fräulein Jedlicka war ganz superb!«, sagte er mit klarer, durchdringender Stimme, ganz so, als wäre er es gewohnt, gehört zu werden. Und tatsächlich wurde er gehört, denn im Nu brach großer Jubel aus unter den Schauspielern und man trank auf das Wohl von Johanna.

      »Recht hat er!«, brüllte Oskar Werner, hob sein Glas, bereits leicht schwankend, nach oben und rief: »Auf unsere Luise! Johanna Jedlicka, sie lebe hoch!«

      »HOCH!«, brüllten die anderen.

      Mit einer weiteren, sehr dezenten Verbeugung, die einzig und allein der erstaunten Johanna galt, nahm der junge Mann wieder Platz und sah schüchtern zu ihr hinüber. Sie hielt dem Blick stand, erwiderte ihn, senkte nicht die Augen, versteckte sich nicht hinter ihrer Rolle, lächelte aber auch nicht und sprach ihn nicht an. Nur ihr Blick blieb an dem seinen hängen und da hing er dann den Rest des Abends und wollte sich so gar nicht mehr von ihm lösen.

      Als nach und nach die anderen gingen, entweder um in ein anderes Lokal weiterzuziehen oder um dann doch beizeiten noch heimzukommen, da blieb sie sitzen und schaute und er tat dasselbe. Irgendwann verabschiedete sich auch sein Freund und es wurde immer stiller um sie herum. Schließlich fasste er den Mut, erhob sich und ging zu ihrem Tisch.

      »Darf ich mich setzen, Fräulein Jedlicka?«, bat er.

      »Ja, bitte«, antwortete sie artig.

      »Sie waren wunderbar heute Abend«, sagte er leise.

      »Danke. Ich bin immer wunderbar«, entgegnete sie und lachte plötzlich, lachte alle Selbstzweifel, die sie sonst so quälten, und alle Vorsicht weg und wurde zu einem strahlend schönen Stern.

      »Außerdem sind Sie sehr hübsch«, fügte er hinzu, »wenn es erlaubt ist, das zu sagen.«

      »Erlaubnis erteilt«, sagte sie. Dann fiel ihr etwas ein. »Jetzt kennen Sie zwar meinen Namen, aber ich nicht den Ihren.«

      »Oh«, sagte er verlegen, »wie unhöflich von mir, mich nicht vorzustellen. Bitte verzeihen Sie! Mein Name ist Doktor Georg Neuendorff.«

      1961

      Das hier war der Bühneneingang. Sie hatte schon unzählige Male durch diese Tür das Burgtheater betreten, aber heute war es anders. Heute kam sie als Bittstellerin und das war kein besonders erfreulicher Umstand eines Wiedersehens mit der Hochkultur.

      »Grüß Gott, Frau Neuendorff«, begrüßte sie der Portier. »Was für eine Freude!«

      War das jetzt ehrlich gemeint oder tat der Mann nur so?

      »Grüß dich, Seppi«, erwiderte sie mit einem Lächeln, während sie ihre Finger in die Handtasche krallte, damit der Mann nicht bemerkte, wie sehr sie vor Lampenfieber zitterte. Dieser Auftritt durfte nicht misslingen.

      »Wo ist denn das Zwutschgerl?«, wollte der Portier wissen.

      »Daheim«, antwortete sie knapp.

      »Jö, dabei hätten wir das doch so gern einmal gesehen. Was war’s noch gleich?«

      »Ein Mäderl«, sagte sie leise.

      »Und heißt wie?«

      »Lore.«

      »Jö!«, wiederholte der Mann.

      Johanna lächelte noch einmal und schlüpfte dann möglichst schnell an der Portierloge vorbei, wobei der Mann hinter ihr herrief: »Aber das nächste Mal bringen S’ uns die Kleine mit, gell?«

      »Jaja«, sagte sie und war schon durch die Tür hindurchgeschlüpft, die Treppe hinauf in den ersten Stock gerannt und stand nun vor der Tür zur Direktion. »Jetzt nicht zögern!«, schalt sie sich. »Mach ja keinen Rückzieher! Wozu sonst das ganze Theater?« Sie holte tief Luft und schloss die Augen, um besser in die Rolle der Johanna Neuendorff, Burgschauschauspielerin, hineinzukommen. Dann, als sie sich halbwegs sicher fühlte in ihrem anderen Ich, griff sie nach der Türklinke und betrat entschlossen das Vorzimmer.

      1949

      »Meine Wirtin hat Ohren wie ein Luchs!«, warnte er sie, als er ihr die Tür aufhielt. Und fügte flüsternd hinzu: »Achtung, die dritte Diele knarrt!«

      Sie war es nicht gewohnt, wie eine Diebin in fremde Räume einzubrechen, aber die Situation hatte durchaus etwas Aufregendes, wenn nicht gar Belebendes an sich, da sie sich sekundenschnell jeder ihrer Bewegungen, jedes Atemzugs und jedes Geräuschs bewusst wurde, was durchaus angemessen war für das, was da folgen sollte.

      Sie hatte sich mit ihrer Antwort lange Zeit gelassen, als er sie fragte, ob sie ihn begleiten wollte. Genügend Zeit jedenfalls, um ihn darum fürchten zu lassen, dass sie Nein sagen könnte. Genügend Zeit, um die Oberhand zu behalten. Und die behielt sie auch jetzt.

      »Sch!«, mahnte sie ihn, als er seinen Mantel an den Garderobenhaken im Flur hängen wollte. Er verstand und ließ den Mantel an. Dann öffnete er so leise es ging die Tür zu seinem Zimmer und bat sie hinein.

      Das Bett war ausgesprochen ordentlich gemacht worden, wie sie feststellte, und sie hatte eine leise Ahnung, dass dies nicht auf die Haushälterin zurückzuführen war.

      »In welchem Ministerium arbeiten Sie denn?«, hatte sie ihn im Gössinger über ihre halb leeren Veltlinergläser hinweg gefragt.

      »Justiz«, hatte er stolz geantwortet.

      So sah also das Bett eines Juristen aus: akkurat, sauber, bis in die kleinste Ecke präzise gemacht. Wie merkwürdig, dass sie ausgerechnet in diesem Bett zum ersten Mal mit einem Mann schlafen würde. In ihrer Vorstellung hatte es stets mehr nach einer Dachkammer à la La Bohème ausgesehen, nur etwas weniger kalt und natürlich ohne Schwindsucht. Und nachdem sie Schnitzlers Reigen zum ersten Mal gelesen hatte, tauchte auch immer wieder das Bild in ihrem Kopf auf, wie sie es gegen einen Baum gelehnt in irgendeinem Park tat, wild, kurz, dreckig und etwas unbequem. Aber mit dem hier hatte sie eigentlich nicht gerechnet: das sauber gemachte Bett eines Mannes mit Hornbrille, der im Justizministerium arbeitete und der jetzt ausgesprochen schüchtern nach ihrer Hand griff, nur um sie zart mit dem Daumen zu streicheln, wobei ihr auffiel, dass die Kuppe seines rechten Zeigefingers fehlte. Später würde er ihr von einer Kohlenkellertür erzählen, an die er als kleiner Bub die Fingerkuppe verloren hatte, und wie ihn dies vor dem Kriegseinsatz rettete. Es rührte sie sehr, als sie ihn sich als kleinen Buben vorstellte, dem plötzlich ein Stück des Fingers abhandengekommen war und der deshalb später niemanden totschießen musste, weil er den Abzug des Gewehrs nicht bedienen konnte. Ein sanfter Mann.

      Sie hatte sich jemanden mit Erfahrung gewünscht. Allerdings sollte es dann doch nicht ein Zuviel an Erfahrung sein. Sie wollte nicht eine flüchtige Begegnung in einer langen Reihe von anderen flüchtigen Begegnungen sein. Schließlich war sie etwas Besonderes, so viel wusste Johanna immerhin. Wer aus der Quellenstraße schaffte es denn sonst ans Burgtheater? Also sollte auch der Sex etwas Besonderes sein.

      Sie setzten sich beide auf das Bett, er immer noch im Mantel, sie immer noch die Schuhe mit den schmalen Absätzen in der


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