Johanna spielt das Leben. Susanne Falk
Haeusserman räusperte sich, »dann bekommen Sie einen Rollenvertrag.«
Das war natürlich weit unter ihrem Niveau, aber Johanna war jetzt alles recht, wenn sie nur …
»In Ordnung«, stimmte sie zu.
»Eines noch, Johanna. Ich darf doch Johanna sagen?«
»Ja, natürlich.«
»Es betrifft die Einverständniserklärung des Ehemanns.«
»Was ist damit?«
»Weder ich noch Fräulein Schmid werden Sie jemals danach fragen. Verstanden?«
»Danke«, sagte Johanna tonlos und verließ, so schnell sie konnte, die Direktion. Sie hatte erreicht, was sie wollte. Vorerst wenigstens.
1961
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er so spät kommen würde. Die Straßenbahn hatte eine halbe Ewigkeit gebraucht, das Kind war müde und launisch und heulte den halben Weg von Favoriten bis nach Döbling, ihre Nerven waren so angespannt wie schon seit Monaten nicht mehr – und dann spielte das Schicksal einfach in ihre Hand.
Normalerweise kam er immer gegen fünf Uhr dreißig aus dem Büro heim. Sie erreichte die Villa erst gegen fünf Uhr fünfunddreißig – und fand sich ganz allein im Haus wieder. Es blieb genügend Zeit, das Essen, das die Haushälterin gekocht hatte, zu servieren, sich die Ohrringe herunterzureißen, das Mädel mit einem süßen Brei vollzustopfen und in ihre Gehschule zu legen, wo sie prompt einschlief. Als er das Haus betrat, war alles so wie immer.
»Hattest du einen schönen Tag?«, fragte sie, als er das Esszimmer betrat.
»Nicht der Rede wert«, antwortete er. Dann warf er einen kurzen Blick auf sein schlafendes Kind. »Sollten wir sie nicht zu Bett bringen?«
»Ja, vielleicht wäre das besser. Ich bring sie nach oben.«
Also lud sie die fest schlafende Lore auf ihre Arme und trug sie ins obere Stockwerk in ihr Gitterbettchen. Dort deckte sie sie gut zu und knipste das Licht aus. Johanna konnte hören, wie ihr Mann ihr nach oben folgte. Er blieb im Türrahmen stehen und sagte ins Dunkel hinein: »Unser kleiner Engel! Nun wird sie sich an ein Leben ohne Mutter gewöhnen müssen.«
Johanna drehte sich abrupt zu ihrem Mann um. »Was sagst du da?«
»Das ist es doch, was du willst, nicht wahr?«, fragte Georg bitter. »Du verlässt dein Kind und dein Zuhause, um dich wieder ins Theaterleben zu schmeißen.«
»Ich verlasse euch doch nicht!«, protestierte Johanna, nicht einmal erstaunt darüber, dass er es wusste.
»Hättest du wenigstens den Anstand, nicht zu lügen!«, zischte er.
»Ich lüge nicht«, rief Johanna.
»Scht! Du weckst noch das Kind!«
»Dann lass uns das unten weiter diskutieren«, schlug sie vor.
»Als ob es da noch etwas zu diskutieren gäbe«, sagte er. »Du hast das doch längst entschieden. Und, ganz nebenbei bemerkt, wenn du mich hintergehen willst, dann solltest du schon etwas cleverer vorgehen und deine Freunde mit einweihen.«
»Meine Freunde?« Sie hatte doch niemandem erzählt, wo sie heute gewesen war und was sie getan hatte. Wen konnte er da meinen?
»Ich bin ihm begegnet«, zischte Georg sie an, »auf der Straße. Und er hat mir gratuliert und mich zu deinem Engagement befragt und ob sich das denn alles ausgehe für dich und das Kind. Er war in Sorge, dass du dich womöglich übernimmst, wenn du so bald wieder an die Burg zurückkehrst.« Und leise schob er hinterher: »Der Trottel.«
»Wen meinst du?«, wollte Johanna wissen, aber im Grunde war die Frage überflüssig. Sie wusste es bereits.
»Meinrad!«, donnerte Georg. »Anscheinend weiß das gesamte Burgtheaterensemble Bescheid, dass du bald in Schnitzlers Anatol auftreten wirst, lange bevor es dein eigener Mann zu wissen bekommt. Und nun entschuldige mich bitte, liebste Johanna, ich bin deiner müde!«
Dann drehte er sich um und ging ins Schlafzimmer, wobei er die Tür hinter sich fest zumachte.
Einen Augenblick lang überlegte Johanna, ihm nachzugehen, aber dann entschied sie sich anders. Sie schritt stattdessen die Treppe hinab und ging direkt auf die kleine Bar zu, die sie im Wohnzimmer in einen alten Schrank eingebaut hatten, und goss sich ein großes Glas Cognac ein.
Es war schon fast dunkel draußen und so konnte sie ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe ausmachen, die umschatteten Augen und die Zornesfalte in der Mitte ihrer Stirn. Sie hob ihr Glas und prostete ihrem zweiten Ich zu.
»Auf dich, Johanna!«, sagte sie leise.
Sie nahm einen Schluck aus dem Glas, holte anschließend tief Luft und schleuderte dann das Kristall mit aller Wucht zu Boden, sodass sie in einem Meer aus Glassplittern stand, unfähig sich zu rühren, ohne sich dabei die Füße aufzuschlitzen. Also blieb sie, wo sie war. Vielleicht hätte sie das ja auch heute Morgen schon tun sollen, statt sich um eine neue Rolle zu bewerben. Vielleicht, so dachte Johanna, als sie dem Cognac dabei zusah, wie er goldgelb übers Fischgrätparkett rann, hätte sie schon viel früher gut daran getan, sich nicht vom Fleck zu rühren. Warum nur war sie an diesem einen ersten Abend mit ihm mitgegangen?
1949
»Ich bin schwanger«, sagte sie leise.
»Ach«, war alles, was er darauf erwiderte. Für ganze dreißig Sekunden. Es war Johanna, die schließlich den Mut aufbrachte, die entscheidende Frage zu stellen.
»Vielleicht sollten wir heiraten?«
»Ja«, antwortete er zögerlich. »Ja, natürlich. Wir heiraten.«
Es klang gerade so, als hätte er sich zum Kauf eines neuen Wintermantels entschlossen. Wenig enthusiastisch, aber bereit, das Notwendige zu veranlassen. Man konnte ja nicht den ganzen Winter hindurch frieren. Genauso wenig wie man seine schwangere Freundin sitzen ließ, jedenfalls nicht in seiner Welt.
»Wie weit bist du denn?«, wollte er wissen.
»Ganz am Anfang noch«, hatte sie gesagt.
»Warst du schon beim Arzt?«
»Ja.« »Und?«
»Und er sagt, ich bin schwanger.«
»Dann«, sagte Georg und nickte vor sich hin, wie um seine Entscheidung noch zu bekräftigen, »sollten wir heiraten.«
Für einen Mann, der die Dinge nicht gern dem Zufall überließ, hatte er sich erstaunlich wenig Gedanken über Empfängnisverhütung gemacht, so musste er sich im Nachhinein eingestehen. Er hatte einfach nur mit ihr zusammen sein wollen. Selbst nach allem, was im Sommer geschehen war, dem Sommer, in dem Johanna sich während eines Gastspiels des Burgtheaters in Karlsbad mit dem großen Josef Meinrad angefreundet hatte – wenn man es so nennen sollte. Bis heute war sich Georg nicht sicher, was dort in Karlsbad wirklich vorgefallen war, aber dass etwas vorgefallen war, stand außer Frage. Nicht dass die zwei das Bett miteinander geteilt hätten – so weit glaubte er den Beteuerungen Josef Meinrads, der ihm bei einem Treffen unter vier Augen versichert hatte, seine Johanna nicht angerührt zu haben. Aber irgendetwas war geschehen zwischen dem großen Star und der kleinen Johanna und dieses Irgendwas stand nun zwischen ihnen beiden, Johanna und Georg, egal wie sehr sie sich darum bemühten, wieder zueinanderzufinden, seelisch wie physisch.
Natürlich hätte ihm einfallen können, dass, wenn man mit einer Frau mindestens einmal am Tag Sex hatte und zwar über den Zeitraum von mehreren Wochen hinweg, vorwiegend in der Mittagspause, eine große Chance bestand, dass sie schwanger wurde. Und letztlich hatte er sich ja genau deshalb ein Zimmer in der Nähe seines Büros gesucht, damit er mit ihr zu Mittag dort für eine halbe Stunde im Bett und auf dem Schreibtisch und auf dem Sessel und sogar auf der schmalen Küchenzeile das tun konnte, wonach er sich