Johanna spielt das Leben. Susanne Falk
auszogen, sondern gleich zur Sache kamen, damit alles möglichst schnell vonstattenging und er rechtzeitig zurück ins Ministerium gelangte und sie rechtzeitig zu den Proben im Theater. Nicht selten brachte sie ihm sogar eine hausgemachte Jause mit, die er dann im Stehen auf genau der Küchenzeile verzehrte, auf der sie Minuten zuvor noch ganz andere Dinge getan hatten, die Donnerstage ausgenommen, weil da sein Chef stets zu einem längeren Mittagessen außer Haus war und somit Zeit blieb, auch Johanna zu befriedigen, wofür diese das Bett bevorzugte.
Somit war in Georgs Welt, die nun fest verortet war zwischen den Aktenbergen, die er täglich bearbeitete, und der Küchenzeile seiner kleinen Wohnung, auf der er Johanna bearbeitete, alles in bester Ordnung. Und dann das.
Als sie ihm von dem Gastspiel in Karlsbad erzählt hatte, hatte er ihr noch gut zugeredet, wohl wissend, dass er für eine ganze Weile auf ihrer beider Stelldichein verzichten musste.
»Das wird dir guttun, wenn du einmal rauskommst und was von der Welt siehst«, hatte er gesagt und sie hatte ihn, dankbar für seinen Zuspruch, umarmt und geküsst und dann noch sehr viel mehr getan. Es war der einzige Tag innerhalb von Monaten gewesen, an dem er zu spät zurück ins Ministerium gelangt war und sein Chef hatte dies mit einem »Hört, hört, Herr Neuendorff hat wohl etwas Wichtigeres zu tun!« kommentiert.
Am Tag vor ihrer Abreise hatte er ihr ein kleines Medaillon geschenkt, in das er »In Liebe, dein Georg – toi, toi, toi« hatte gravieren lassen. »Damit du mich nicht so schnell vergisst!« Dankbar hatte sie es sich um den Hals gehängt und ihm versichert, dass das sicher nicht der Fall sein würde und in einer Woche sei sie ja auch schon zurück. Dann war sie in den Zug gestiegen und alles kam ganz anders als erwartet, denn in der ausgelassenen Stimmung einer Gruppenreise, die nicht selten an einen Schulausflug erinnerte, kam man sich näher. Natürlich hatte sie nicht geplant, sich in den Meinrad zu verlieben, aber es war auch nicht eben einfach, sich dem Charisma der anwesenden Männer zu entziehen, wenn man doch erst neunzehn Jahre alt war und die Zukunft groß und verheißungsvoll und das Wetter warm und sonnig und man zu allem Überfluss noch Schillers Kabale und Liebe spielte.
Warum ihre Wahl auf den Meinrad gefallen war – sie wusste es hinterher kaum zu sagen. Sicher, da war die Episode, als er sie bei einem Ausflug auf seinen Armen über einen Nebenfluss der Teplá trug, aber der eigentliche Grund lag wohl tiefer. Der Mann, so groß und unnahbar, stellte keine wirkliche Gefahr für ihr Liebesleben mit Georg da. Meinrad war so großartig wie prüde und zeigte keinerlei Interesse an Johanna. Sie war also auf der sicheren Seite – glaubte sie. Dass solcherlei Dinge ihre eigene Dynamik entfalten, war ihr mit ihren neunzehn Jahren nicht bewusst gewesen, und dass man sich manchmal mehr als nur ein bisschen verliebte, kam ihr erst in den Sinn, als es zu spät war.
Zurück in Wien hieß es dann, sie habe eine Affäre gehabt. Das klang größer und aufregender, als es war, und der Meinrad bemühte sich auf ihr Betreiben hin nach Kräften, den eifersüchtigen Jungliebhaber Johannas davon zu überzeugen, dass dies doch alles gar nicht stimmte und man sich keine Sorgen machen sollte. Das Mäderl habe halt ein bisserl geschwärmt, soll nichts Schlimmeres passieren. Und Georg nickte nur stumm, auf seinem Sessel im Café Prückel, und rührte in seiner Melange herum, nicht überzeugt, aber willens zu vergeben. Der Herbst kam und dann der Winter und sie machten weiter wie bisher. Bis, ja, bis Johanna ihm eines Tages aus heiterem Himmel mitteilte, dass sie schwanger war. Das sagte sie ihm in einer seiner Mittagspausen, als sie gerade dabei waren, sich die Kleider zu richten, einfach so, ohne Vorwarnung.
»Dann sollten wir aber schnell heiraten«, dachte Georg laut vor sich hin, »wenn das Kind schon unterwegs ist.«
»Was ändert das?«, fragte Johanna.
»Es ändert die Optik«, sagte er.
Da lachte Johanna nur einmal bitter auf. Aber dann brach ihre pragmatische Seite durch. »Na, dann heiraten wir eben. Ist ja eh schon alles wurscht.«
1961
Er war bereits fort, als sie am nächsten Morgen wach wurde. In der Nacht hatte sie sich zu Lore ins Kinderzimmer gelegt, die Glassplitter im Salon hatte sie einfach liegen gelassen. Sollte sich doch die Haushälterin darum kümmern.
Das Kind patschte mit seinen dicklichen Händen in ihr Gesicht, bekam schließlich eine ihrer Haarsträhnen zu fassen und zog daran. Der Schmerz ließ Johanna von einer Sekunde auf die andere zu sich kommen. Schnell griff sie nach der Kinderhand, hielt sie fest, zog die Haarsträhne zwischen den Fingern hervor und drückte die kleine Hand dann länger und stärker, als es nötig gewesen wäre. Lore fing an zu weinen. Erst da ließ Johanna los.
»Komm, du Satansbraten«, sagte sie zu ihrer Tochter, »stopfen wir dich mit Brei voll und dann bring ich dich zur Tante Mitzi! Die hat mich auch schon groß gekriegt, dann wird sie es auch bei dir schaffen.«
Sie wickelte das Kind, zog sie beide an, fütterte Lore in Windeseile, packte ein paar Sachen und eine Ersatzgarnitur zusammen, zog noch Lores liebste Rassel aus einer Sofaritze hervor und machte sich erneut auf den Weg nach Favoriten.
Kaum hatte sie die Wohnung in der Quellenstraße betreten, stand auch schon ihre Mutter vor ihr.
»Ja, Johanna!«, rief sie aus. »Was machst du denn schon wieder da?«
»Das siehst du doch«, sagte Johanna, »ich bring euch meine Tochter.«
Ihre Mutter wirkte darüber nicht ganz so begeistert, wie sie gehofft hatte.
»Hannerl, ich freu mich ja, wenn wir das Kind öfter mal zu sehen bekommen, aber erstens kann ich gar nicht bleiben, weil ich heute bei den Pospischils putze, und dann war der Georg heute Früh gleich da.«
»So, war er das«, sagte Johanna, die Lore mittlerweile auf dem Boden abgesetzt hatte, wo sie sofort mit der Schnalle von Johannas Riemenschuhen zu spielen begann.
»Er hat gesagt, dass du zurück an die Burg willst und dass ich dir das ausreden soll«, sagte die Mutter. »Und ich finde, er hat recht. Ein Kind gehört zur Mutter!«
Noch bevor Johanna darauf antworten konnte, kam Tante Mitzi aus der Küche angelaufen, hockte sich sofort zur kleinen Lore auf den Boden, streichelte ihr über die ersten zarten Löckchen und kitzelte sie an der Nase. Dem Kind schien es außerordentlich gut zu gefallen. Lore gluckste vor Vergnügen.
Johanna dagegen stemmte die Hände in die Hüften. »So, ein Kind gehört also zur Mutter. Na, das ist ja mal sehr interessant. Als ob du die ganze Zeit an meiner Wiege gehockt wärst!«
»Das waren andere Zeiten, Kind!«, wehrte sich die Mutter. »Wir waren arm, ich musste arbeiten.«
»Ihr seid immer noch arm und ich muss auch arbeiten!«, rief Johanna laut. »Ich bin Schauspielerin! Ich kann was! Aber ich verkümmere daheim. Hörst du? Ich verkümmere! Und wenn wir schon einmal dabei sind, dann richte meinem Mann doch bitte aus, wenn er das nächste Mal hinter meinem Rücken intrigiert, dann sollte er vielleicht bedenken, wen er sich zu diesem Zweck ins Boot holt.«
»Wie meinst du das?«
Johanna trat einen Schritt vor, sah ihrer Mutter tief in die Augen und zischte: »Hast du Georg auch erzählt, wer euch die neue Kredenz gekauft hat? Und das neue Radio? Oder wer euch jeden Monat Geld zusteckt, damit ihr nicht irgendeinen billigen Fraß schlucken müsst, sondern etwas Anständiges auf den Tisch kommt? Von den teuren Prothesen für Vaters Bein ganz zu schweigen.«
Die Mutter öffnete den Mund, aber es kam kein Ton heraus.
»Der Georg weiß nicht, dass ich das von unserem Haushaltsgeld abzweige. Und ich hab auch nicht vor, es ihm zu erzählen. Oder willst du es ihm etwa sagen, wo ihr doch so gute Freunde seid, du und dein Schwiegersohn?«
Johanna sah, wie sehr sie ihre Mutter damit verletzte, der jetzt die Tränen in die Augen schossen, aber sie war so entsetzlich wütend und konnte nicht mehr an sich halten.
»Immer nur putzen und waschen und bügeln für andere Leute, Mutter. Und trotzdem reicht es hinten und vorne nicht für euch zu dritt! Immer nur Arbeit und nichts wird besser. Ich bin ein Star, Mutter! Na, jedenfalls war