Der Majoratsherr Bd. 1. Nataly von Eschstruth

Der Majoratsherr Bd. 1 - Nataly von Eschstruth


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zu.

      „Fremde?“ stotterte Klärchen mit weit aufgerissenen Augen. „I, Herr Assessor ... das kann ja gar nicht möglich sein!“ —

      „Schnell doch, zum Kuckuck! Eine sehr elegante Dame!“ tobte der Assessor, und dann, als er den schlurrenden Schritt des Wirtes bereits auf dem Flur hörte, schnellte er zurück und hastete abermals nach dem Fenster. Aber er empfand plötzlich etwas wie einen feinen Stich im Herzen. Er schämte sich. — Also so weit war es seit den vier Jahren seiner Angerwieser Existenz schon mit ihm gekommen, dass ein paar anständig gekleidete Reisende ihn wie ein ungeheuerliches Evenement erregten! —

      Schrecklich, — er ist bereits völlig verkaffert hier, er, der flotteste aller Studenten, der fescheste aller Grossstadtreferendare!! — tempi passati! Jetzt presst er die Nase an der Fensterscheibe platt, um mit schmerzlich süssem Grauen einmal wieder eine feine Dame anzustarren!

      Sie steigt soeben aus, — von ihrem Begleiter gestützt, denn Vater Simmel, der Herr Wirt, steht in fassungsloser Verlegenheit und reibt sich die Hände.

      Alle Wetter, dieses Füsschen, — ein weichlederner hoher Knopfstiefel umschliesst es in tadelloser Form, seidene, spitzenbesetzte Plissees bauschen unter dem langen Pelzmantel auf, dessen mächtiger Kragen das Köpfchen wie eine Löwenmähne umwallt. Jetzt sieht er das Gesicht. — Fein, — etwas bleich, mit einem Zug undefinierbarer Vornehmheit. Kühl — gleichgültig — gelangweilt — sehr hochmütig. Über aschblondes Haar fallen die Goldspitzen eines kleinen, dunkelsamtnen Capothütchens neuester Mode, der grossgetupfte Schleier spannt sich über das zartfarbene Antlitz, dessen halbgeöffnete Augen mit müdem Blick umher blicken, — auf die Regenlachen rechts und links der Treppe, auf die spiessbürgerlich gekleideten Weiber und Kinder, welche aus den umliegenden Hausthüren treten und gaffend näher drängen — auf die graugetünchte Front des alten Fachwerkhauses, über dessen niederer Thür das blaue Schild mit den verblassten Buchstaben der „Stadt Hamburg“ hängt, und schliesslich auf den Inhaber dieses Prachthotels, welcher in seiner grauen Wolljacke und der blauen Dienerschürze seinen eigenen Hausknecht zu repräsentieren scheint. Herr Simmel empfindet auch das Ungehörige seiner Erscheinung solchen Gästen gegenüber, und das lähmt vollends die Sinne dieses schon nicht sehr weltgewandten Wirtes.

      Er steht, dreht sein Käppchen zwischen den Händen und macht einen tiefen Bückling um den anderen, dieweil sich sein rundes, gutmütiges Gesicht schier blaurot vor Verlegenheit färbt. Der fremde Herr, nicht minder elegant und vornehm wie seine Gattin aussehend, wendet ihm das scharfgeschnittene, etwas verlebte Gesicht mit huldvollem Augenzwinkern zu.

      „Haben Sie Zimmer bereit, Verehrtester? Wir gedenken etliche Tage hier zu bleiben. Ich hätte uns telegraphisch angemeldet, wenn unsere Abreise sicher zu bestimmen gewesen wäre. — Wollen Sie uns zwei Stuben — Salon und Schlafzimmer — anweisen?“

      Herrn Simmel blieb die Antwort vor Schreck im Halse stecken.

      „Ew. Gnaden ..“ stotterte er und dann rollten seine wasserblauen Äuglein hilfesuchend umher, bis sie voll seligen Aufleuchtens an der Gestalt seiner Gattin haften blieben. Er stürzte der Nahenden atemlos entgegen; „Marthe — sieh du mal zu —!“ und damit verschwand seine korpulente Gestalt in rettender Flucht hinter der Thür, durch welche die Frau Wirtin ruhig und selbstbewusst soeben heraus trat.

      Eine weisse Haube auf dem Kopf, eine schneeweisse Schürze über dem grauen Kleid, knixte Frau Simmel so feierlich, dass ihre hohe, grobknochige Gestalt kerzengrad hinabtauchte, wie Frau Erda, wenn sie sich von Wodan für die Unterwelt verabschiedet.

      „Willkommen die gnädige Herrschaft!“ sagte sie würdevoll, und der Kutscher Schröder starrte sie an wie eine Vision, — hatte die Frau denn vollkommen ihre Wäsche, Würste, Schinken und Äpfel in der guten Stube vergessen? —

      Der fremde Herr richtet seine Frage mit verbindlichstem Lächeln noch einmal an die bessere Hälfte des verschwundenen Wirtes, und während Schröder und Gottlieb mit stockendem Herzschlag atemlos ihrer Antwort harrten, knixte Frau Simmel abermals, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken und sprach:

      „Wir sind auf so hohen Besuch nicht ganz vorbereitet, da etliche Zimmer neu tapeziert werden und die anderen heute morgen erst von Herrschaften verlassen wurden. Darf ich darum bitten, dass Ew. Gnaden für kurze Zeit mit einem einfachen, kleinen Zimmerchen fürlieb nehmen, — in zwei Stunden stehen Salon und Schlafzimmer zur Verfügung.“

      „Ausgezeichnet“, nickte der Herr. „Es ist dir doch ebenfalls recht, liebe Melanie?“ —

      Seine Begleiterin riss den Blick von dem Storchnest auf dem Nachbarhause los: „Es ist mir alles gleichgültig, ich finde mich darein, mon ami!“ — antwortete sie mit einer Stimme, welche wie ein halber Seufzer klang, dann legte sie die elegant behandschuhte Rechte auf den Arm des Gatten und stieg langsam, voll lässiger Grazie die steinernen Stufen empor. Voll andächtiger Scheu folgten ihr alle Blicke. Frau Simmel aber schwenkte stolz linksum und folgte triumphierend ihren Gästen erster Klasse.

      „Hüh“, atmete Schröder tief auf, und der Omnibus ratterte in den Hof; Gottlieb aber folgte dem Wink seiner Gebieterin und sah voll Überraschung, dass der Mensch nie auslernen kann und Geistesgegenwart ein schönes Ding ist.

      Er glaubte, nun werde eine wilde Jagd anheben, die Wäsche- und Würstestube schleunigst zu räumen, — aber nein, Frau Simmel nahm gelassen den Schlüssel vom grossen Ring und schloss rechter Hand vom Hausflur das Heiligtum ihres Hauses, die Putz- und Prunkstube der Familie auf.

      Hier, wo sonst nur die Familienfeste gefeiert und zweimal im Jahre ein Honoratiorenkaffee gegeben ward, wo alle steifbeinigen Polstermöbel in geblümten Kattunhöschen steckten und die Luft geheimnisvoll nach Kampfer und Naphtalin roch — hier riss die Wirtin zur „Stadt Hamburg“ kurz entschlossen die Fenster auf, kommandierte „Ausfegen — Feuer machen — Möbel bürsten!“ und schritt gelassen in das Nebenzimmer, einer grossen, zweifenstrigen Eckstube, in dessen Mitte ein Billard stand und an dessen Wänden die Kupferstiche längst verewigter Landesväter und Mütter hingen, zwischendurch die Glaskästen voll bunter Schmetterlinge, welche der verstorbene Onkel Schullehrer gesammelt, und eine Landschaft aus Kork geschnitzt, hinter Glas und goldpapierenem Rahmen, eine Kunstleistung des Grossvaters, welcher Buchbinder gelernt hatte.

      Diese Stube ward nur im Winter geöffnet, wenn der Kriegerverein und die Bürgerressource ihre Bälle in der „Stadt Hamburg“ abhielten und das würdige Alter sich aus dem Saal zurückziehen wollte, welcher sich als Seitenflügel besagtem Billardzimmer anschloss.

      Emsige Hände verwandelten es blitzschnell in eine recht behagliche, wenn auch etwas altfränkische Schlafstube, und Frau Simmel nickte schmunzelnd vor sich hin, als ihr Gatte sie in wahrem Wonnerausch umarmte und beinahe schluchzend vor Rührung hervorstiess:

      „Ja, Alte, wenn du nicht wärst! — Jung Vieh hat junge Kraft — aber die alten Klepper ziehen die Karre aus dem Dreck —! Wenn das unser Klärchen hätte ausrichten sollen — du lieber Gott!“ — Frau Marthe drückte das Kinn steif an und zog die Schultern hoch. „Schnickschnack — das Mädel braucht’s nicht; die soll höher hinaus. Ist nicht zur Wirtin geboren. — Und nun marsch dich, Vater, und frag droben an, was die Herrschaften speisen wollen.“

      An der Thür der blauen Eckstube klopfte es. Die Stimme des fremden Herrn rief ein kurzes „Herein!“ — und nach zögerndem Druck auf die Klinke erschien der Gastwirt der „Stadt Hamburg“ auf der Schwelle.

      Die Wolljacke und Schürze waren gefallen, — ein feierlicher schwarzer Gevatterrock, ein weisser Kragen und blau getupfte Krawatte zeigten an, dass Vater Simmel wusste, was man Passagieren erster Klasse an Respekt schuldet. Er machte einen devoten Kratzfuss und räusperte sich.

      Der vornehme Veilchenduft, welcher dem geöffneten Handkoffer entströmte, und welchen die Dame mittels eines fein geschliffenen Flacons just in alle Ecken sprühte, benahm ihm den Atem, er wagte kaum zu existieren in dem seines Nichts durchbohrenden Gefühl!

      Der Herr stand am Fenster, — er wandte den Kopf und blickte den Wirt fragend an, — und die Dame setzte das Parfümglas nieder auf den Tisch und sank seiderauschend in die


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