Der Majoratsherr Bd. 1. Nataly von Eschstruth

Der Majoratsherr Bd. 1 - Nataly von Eschstruth


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      Da hatte er die Stelle getroffen, wo die biedere Wirtin sterblich war. — Ganz geschwollen vor Stolz und Glück schritt sie einher, und all die Basen und Gevatterinnen welche die Neugierde zu ihr in die Küche trieb, hörten eitel Begeisterung über die feinsten aller Gäste.

      Als sich die Tafel bereits ihrem Ende näherte, sah die Gräfin plötzlich angestrengt aus dem Fenster, vor welchem sich, bequem zu übersehen, der holprige, ziemlich grosse Marktplatz mit dem überdachten Brunnen in der Mitte, ausdehnte.

      Ihr Blick schärfte sich, — unbemerkt stiess sie ihren Gatten mit dem Fusse an und dieser folgte der Richtung ihres Auges.

      Da sah er etwas Überraschendes!

      Quer über das Pflaster stolperte eine ganz seltsam aussehende Männergestalt.

      Eine kleine gedrungene Figur stak in einem Schafpelz — die Haare nach innen — welcher den Eindruck eines Sackes machte und um die Taille nur einen scharfen Einschnitt aufwies, welchen ein — als Gürtel benutzter Gerick gezogen.

      Klobige hohe Stiefel von Rindsleder machten die Füsse zu wahren Monstrums und der sehr dicke Kopf mit breitem, bartlosem, starkgerötetem Gesicht trug eine Pelzmütze, wie sie in der Kinderstube der Knecht Ruprecht vor Weihnachten als schreckenerregendes Requisit zur Schau trägt.

      Der seltsame Mann rannte mit vorgestrecktem Halse in stierem Eifer daher, — fuchtelte mit den Händen in die Luft und schien laute Selbstgespräche zu halten.

      Seltsamerweise sahen ihm ein paar Strassenjungen nur grinsend nach, ohne johlend neben der auffallenden Erscheinung herzutraben. Dieselbe musste also wohl in Angerwies schon bekannt sein. — Graf und Gräfin wechselten blitzschnell einen Blick des Einverständnisses, ja der Gatte machte eine jählings zustimmende Kopfbewegung. Da nahm Frau Melanie ganz wie von ungefähr ihre langstielige Lorgnette von ciseliertem Gold zur Hand und blickte noch einmal hinaus, diesmal offiziell.

      Und dann stiess sie einen leisen, entsetzten Laut der Überraschung aus, welcher jedes Gespräch verstummen machte, wies nach der seltsamen Gestalt auf dem Marktplatz und rief mit sehr harter, lauter Stimme und ganz besonderem Ausdruck: „Mon Dieu, wie schrecklich, da läust ja ein Verrückter!!“ —

      II.

      Fama, behende vom Schwung, wie sonst kein anderes Scheusal, Rührigkeit mehrt ihr Gedeihn, und kräftiger wird sie im Fortgehen; Anfangs klein und verzagt; bald hoch in die Lüfte sich hebend Tritt sie einher auf den Boden und birgt in den Wolken die Scheitel!

      Virgil

      Eine verlegene Stille entstand.

      Der Assessor räusperte sich mit vielsagendem Blick ringsum, der Apotheker neigt sein spitzes Kinn auf den Teller und kicherte leise auf, und als der Auditeur sogar laut in seine Serviette prustete, und der bedienende Simmel die breite, rote Hand mit gespreizten Fingern vor das Gesicht presste, wie einer, der halb erschrocken, halb belustigt seine Gefühle verbergen will, — da gab es kein Halten mehr, ein lautes, wohlthuendes Gelächter erscholl.

      Die Gräfin machte ein sehr reizend naives Gesicht und wandte sich zutraulich zu ihrem entzückten Nachbar: „Stimmt es wirklich, Herr Assessor? Habe ich das Rechte getroffen?“ —

      Der Gefragte verneigte sich: „Gnädigste Frau — haben wenigstens die Ansicht von Angerwies und Umgegend ausgesprochen!“ — lachte er noch immer. „Man kann ja manches denken, was man aus Respekt nicht in Worte kleiden darf.“

      „Aus Respekt?“ — Der Graf nahm noch einmal die Weinkarte zur Hand und winkte dem Wirt: — „Ich bitte Sie um alles, bester Herr Assessor, wer ist jenes Monstrum im Schafpelz, dass es Respekt von Menschen verlangen kann, in deren Augen es sich selber so lächerlich herabsetzt?“

      Abermals jubelndes Gelächter, dann kicherte der Apotheker: „Vor dem Schafpelz hat man allerdings keine Devotion — wohl aber vor dem Namen, welchen er umhüllt! Der seltsame Herr da draussen war der Reichsgraf Willibald von Niedeck, der Besitzer eines der reichsten und herrlichsten Majorate, welche das deutsche Vaterland kennt!“

      Ein leiser Aufschrei der Überraschung tönte von den Lippen der fremden Gräfin, sie presste das spitzenbesetzte, duftende, weissseidene Taschentuch gegen die Lippen, als fürchte sie eine Ohnmacht. „Schauderhaft! shoking!!“ stöhnte sie auf. „Sie scherzen, lieber Assessor! — Wenn dieser Mensch der reichste, vornehmste Majoratsherr ist — dann gehört er entweder in seine eigene Rumpelkammer oder — in das Irrenhaus!!“ —

      Der Assessor zuckte mit vielsagendem Blick die Achseln, der Graf aber schien ganz in die Weinkarte versunken. Mit gewinnendstem Lächeln sah er jetzt auf.

      „Ich finde, meine sehr verehrten Herrschaften, dass wir hier äusserst gemütlich zusammen sitzen und gar nichts besseres thun können, als diese scharmante Tischstunde noch ein wenig auszudehnen! Das Regenwetter fesselt uns heute so wie so an das Zimmer, darum bitte ich die Herren, mir als liebe Gäste noch ein Weilchen Gesellschaft zu leisten. Mein bester Meister Simmel, ich lese dass Sie auch Sekt in dem Keller haben! Lassen Sie, bitte, eine Flasche sogleich herauf bringen, und vier andere auf Eis legen, — ich freue mich, die Repräsentanten der Angerwieser ersten Gesellschaft dazu einzuladen!“ —

      Welch eine Wirkung hatten diese Worte! Vater Simmel stand einen Augenblick, als traue er seinen Ohren nicht, — dann verklärte ein geradezu traumhaftes Lächeln sein Antlitz, und beide Hände ineinander schlagend wie einer, welcher sein Glück nicht fassen kann, wankte er zur Thür. Die zwölf Flaschen echt französischen Sektes, welche im Keller lagerten, deuchten ihm längst die Nägel zu seinem Sarge. Er hatte sie anlässlich der Hochzeit des reichen Brennereibesitzers kommen lassen, aber vierzehn Tage vor der Hochzeit starb der Bräutigam, und nun gab es in Angerwies keine Gelegenheit für französischen Champagner, der deutsche billige Schaumwein war sein Todesurteil. In seiner Verzweiflung hatte Simmel dem Grafen Willibald Niedeck den kleinen Posten angeboten, war aber zu seinem tiefen Groll abschlägig beschieden worden! Und nun, als er das teuere Schmerzenskind Cliquot schon längst zu Grabe gelegt hatte im Keller, kam dieser herrliche, unvergleichliche, fremde Märchengraf und sprach sein Zauberwort, welches den Sesam öffnete! — Das war eine That, welche ihn ewig zu des Fremden Schuldner machte!

      Und nun gar die Gesichter der umsitzenden Herren, welche heute, am simplen, werktägigen Mittwoch für ganz umsonst echt französischen Champagner trinken sollten.

      Hohe Glut stieg in aller Wangen, — linkische Verbeugungen, unverständlich gemurmelte Worte des Dankes antworteten auf die entzückende Einladung.

      Der Apotheker trat in seiner Herzensfreude seinem Nachbar beinahe die Zehen unter dem Tische ab, und der Auditeur kniff und schuppte seinerseits unbemerkt, aber energisch den Postassistenten, dass diesem siedeheiss ward.

      Nach der ersten beglückt verlegenen Stille ergriff die unbändig geschmeichelten Herren eine wahre Quartanerfröhlichkeit; der Graf liess zu allem Überfluss noch sein Cigarrenetui die Runde machen, aus welchem die echten Havannas einen Duft ausströmten, dass der Apotheker mit feucht verschwimmenden Augen flüsterte: „Kinder, das sind solche ‚Festrüben‘, von denen damals unsere Deputation zum Fürsten erzählte!“

      Der Graf wandte sich an seine Gemahlin: „Ist es dir unangenehm, wenn wir rauchen, liebe Melanie? Befiehltst du, dass ich dich in dein Zimmer zurück führe?“ —

      Der Assessor fuhr erschreckt zusammen, sein Blick traf wie ersterbend in Schmerz die schöne Nachbarin, und die Gräfin war keine Turandot. Mit reizender, beglückender Anmut lächelte sie ihm zu und schüttelte dann den Kopf: „Nein, Rüdiger, wenn es nicht geniert, möchte ich euch Gesellschaft leisten. Drüben langweile ich mich allein, während hier in scharmanter Weise für meine Unterhaltung gesorgt wird!“ Dabei zuckte wieder ein Blick wie ein zündender Funken zu dem Assessor hinüber, welchem bei so viel Huld ganz schwindelig ward.

      Und dann kam der Sekt und perlte in den Gläsern, und der Graf setzte aller Leutseligkeit die Krone auf und liess noch ein Glas bringen, um es für den „wackeren Hausherrn“ füllen zu lassen! Das war zu viel für Vater Simmel! Helle Thränen traten ihm in die Augen.

      Der


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