Der Majoratsherr Bd. 1. Nataly von Eschstruth

Der Majoratsherr Bd. 1 - Nataly von Eschstruth


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Sie etwas, Herr Wirt?“ fragte er so überaus freundlich, dass dem Besitzer der „Stadt Hamburg“ das Blut in die Wangen schoss.

      „Ich ... ich wollte mir allerunterthänigst die Frage gestatten ... Ew. Gnaden ... wann die allergnädigste Herrschaft zu speisen ... und vielleicht was es geben soll ... meint meine Frau ...“

      „Ah richtig — es dürfte Zeit zum Gabelfrühstück sein!“ nickte die Dame mit leichtem Seufzer.

      „Frühstück? ... es ist ein Uhr mittags — gnädige Frau!“ stotterte Simmel entsetzt.

      Der Herr lachte leise auf. „Ganz recht, und das ist in Angerwies die Tischstunde. Liebe Melanie, wir werden uns den Sitten des Landes fügen, denn es ist das einzig Wahre und Vernünftige, wenn die Menschen um ein Uhr zu Mittag essen, nicht wahr, mein sehr verehrter Herr Wirt? Ich gebe Ihnen vollkommen recht darin.“

      Herr Simmel erglühte vor Entzücken, denn der Fremde sprach voll gewinnendster Liebenswürdigkeit und fuhr näher tretend fort: „Nun dann sagen Sie uns einmal, was Ihre Frau für den Mittagstisch gekocht hat? Ich sah, dass ein paar Herren drunten im Speisezimmer am gedeckten Tische sassen, es gibt also doch table d’hôte bei Ihnen, wie dies in Ihrem vorzüglich renommierten Hotel zu erwarten war?“ Der Herr Wirt schnappte vor Entzücken nach Luft: „Zu viel Gnade — Herr ... Herr ...“

      „Herr Graf“ — fiel der Fremde mit gnädigem Kopfnicken ein.

      Simmel sank beinahe in die Knie ... „Herr Graf! — Aber unsere table d’hôte dürfte den hohen Herrschaften doch wohl viel zu einfach sein — — —“

      „Na kommt darauf an. Also was gibt es?“ —

      „Hafersuppe mit Backpflaumen ...“

      Ein leiser Laut von dem Sofa herüber, — der Graf aber wandte mit schnellem Blick den Kopf und die Gräfin hustete schwach und leidend in ihr Taschentuch.

      „Vorzüglich, ich schätze diese Suppe sehr!“ fuhr der Graf verbindlichst fort, — „was weiter? —“

      „Hammelkoteletts mit Schnittbohnen!“ —

      „Frische Bohnen bereits?“ — richtete sich die Gräfin interessiert auf. —

      Herr Simmel erbleichte vor Schreck: „Um diese Zeit — im März??“ stiess er hervor.

      Abermals lachte der Graf leise auf. „Aber teuerste Melanie, — du hast nie eine Bohne wachsen gesehen, darum muss der Herr Wirt deine Frage verzeihen! Es sind selbstverständlich Büchsenbohnen!“ „Fassbohnen, Herr Graf!“ verbesserte Simmel demütig, „aber weich wie Butter! Meine Alte hat sie selber eingelegt und versteht sich darauf!“ Die Gräfin sank wie vernichtet in die Sofaecke zurück, aber ihr Gemahl lächelte sehr jovial: „Davon bin ich überzeugt, — Ihre Frau soll ja eine Meisterin der Kochkunst sein! — Und damit sind wir am Ende?“

      Nun wuchs der Gefragte wieder selbstbewusst empor. „Noch Hühnerbraten mit Kartoffelsalat!“ setzte er stolz hinzu: „Der Herr Assessor hat es so eingeführt, dass wir drei Gänge haben, — Sonntags sogar noch eine süsse Speise.“

      „Ei, das ist ja fabelhaft! Nun, Sie haben mir bereits den Mund wässerig gemacht, bester Herr, und bitte ich, sogleich für uns servieren zu lassen.“

      „Die Herrschaften wünschen hier oben zu speisen?“ Die Gräfin wollte lebhaft zustimmen, — aber wieder traf sie der seltsame Blick des Grafen.

      „O nein, warum das? Wir lieben die Gesellschaft“, lächelte er abermals sehr huldvoll, „und werden an der table d’hôte speisen.“ — „Herr Graf!!“ wie ein Schrei des Entzückens klang es.

      „Wer sind die Herren, die das Mahl mit uns teilen werden?“ —

      „O gnädigste Gräfin — sehr feine, sehr anständige Herren, nur Honoratioren der Stadt —! Da ist der Herr Assessor Bärning — früher in den grössten Städten gewesen, der Vater sogar Geheimrat — dann der Herr Apotheker — ein sehr vermöglicher Herr, dem das grosse Eckhaus drüben am Markt gehört — dann der Herr Kreissyndikus, dessen Mutter sogar vom Adel gewesen, — der Auditeur ...“

      „Schon gut! schon gut! Das sind ja höchst respektable, ehrenwerte Herren, mit denen zu speisen ein Vergnügen und ein Vorzug ist; — wollen Sie das den Herren bitte sagen und uns an ihren Tisch placieren, — wir kommen sofort.“ —

      Herr Simmel stolperte über die Schwelle zurück, wie betrunken vor Entzücken. Atemlos kam er in die Gaststube und richtete seinen Auftrag aus: „Der Herr Graf und die Frau Gräfin werden hier unten bei Ihnen speisen!“ —

      Wie eine Bombe wirkten diese Worte. Der Assessor bekam zwei rote Flecken auf den Wangen, und sprang empor. „Noch zehn Minuten warten! Ich muss Toilette machen, wenn wir Damenbesuch erhalten —“ schrie er und stürzte wie ein Blutvergiesser aus dem Zimmer. Ihm nach in wilder Eile die anderen Herren, welche nicht hinter dem tonangebenden Genossen zurückstehen wollten.

      Fräulein Klärchen deckte währenddessen den Tisch neu um, — lauter frische Wäsche, obwohl es unter Frau Marthes Szepter überall sauber aussah. — Sogar ein Strauss von frischem Tannengrün und Epheu schmückte die Tafel. —

      Endlich erschienen die Herren wieder auf der Bildfläche, pomadisiert, rasiert und sonntäglich gekleidet. Der Assessor trug die goldene Uhrkette mit den vielen Berloques und den Diamantring am kleinen Finger, — der Apotheker hatte über die linke Hand einen Handschuh gezogen, weil er einen schlimmen Finger hatte und der Lappen darum ihm nicht fein genug deuchte. Man stand voll feierlicher Spannung und erwartete die hohen Gäste. Endlich rauschten die seidenen Nöcke auf der steilen Holztreppe. Am Arm ihres Gatten betrat die Gräfin das Speisezimmer. Ohne Pelz und Hut sah sie noch schöner aus und dem Assessor wallte das Blut zum Herzen, wie von süsser Erinnerung an bessere Zeiten — an elektrisches Licht, — Professorenbälle und den ganzen Zauber des grossstädtischen high life! —

      Die stahlblaue, schwere Seide umspannte tadellos die schlanke und doch üppige Figur, die blonden Haare schimmerten matt über der weissen Stirn, und wenn auch das Gesicht bei näherer Betrachtung nicht sehr frisch und nicht regelmässig oder anziehend in seinem Ausdruck war, so wirkte es doch geradezu verblüffend vornehm.

      Diese letzte Art war auch dem Grafen in hohem Masse eigen. Er sah aus wie ein Diplomat. Im Grunde genommen schienen seine Züge und Augen kalt, berechnend, — seelenlos wie ein Stein, — aber wenn er mit seiner leisen, einschmeichelnden Stimme sprach, legte sich das farblose Gesicht in die liebenswürdigsten Falten, und es hatte geradezu etwas Berauschendes, wenn dieser sichtlich sehr verwöhnte, kluge Mann voll gewinnendster Höflichkeit die Meinungen seiner Tischgenossen anerkannte und jedem der Herren etwas Angenehmes zu sagen wusste. Sein Haar war leicht ergraut und schon etwas gelichtet, aber der Schnurrbart noch tiefschwarz und auf das eleganteste gekräuselt, das machte ihn interessant. — Schmale, bleiche Hände mit langgebogenen Nägeln verrieten den Aristokraten. Die Gräfin war steifer und einsilbiger wie ihr Mann, aber sie ward lebhafter, als ihr Nachbar, der Assessor alle alten Künste des Courmachens heraufbeschwor und die schöne Frau in allen Tonarten anschmachtete.

      Ein paarmal stand ihm schier das Herz still, in süsser Wonne, als Frau Melanie in ihrer nachlässigen Weise ein ganz klein wenig mit ihm kokettierte und als sie schliesslich einen Apfel schälte, ihn mit den diamantglitzernden Händchen graziös zerteilte und den Teller bei den Herren in die Runde schickte, wäre wohl ein jeder für sie durch das Feuer gegangen.

      Namen und Wohnort hatte man noch nicht erfahren und wagte auch selbstverständlich nicht, dies zu erforschen. Man erfuhr nur, dass der Graf nach einer Friseuse für die Gattin und einem Kammerjungferdienste leistenden Stubenmädchen gefragt hatte. — Umstände halber war es nicht möglich gewesen, die eigene Dienerschaft mitzunehmen.

      Dass die Herrschaften in der Residenz lebten und intim bei Hofe verkehrten, ging aus jedem Wort hervor.

      Auch grosse Reisen im In- und Auslande hatten sie gemacht, — und trotz all dieser gewiss namenlosen Verwöhnung waren sie die gewinnendste Güte und Nachsicht!


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