Der Majoratsherr Bd. 1. Nataly von Eschstruth

Der Majoratsherr Bd. 1 - Nataly von Eschstruth


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an, gnädigste Gräfin?“ —

      Eine atemlose Stille trat ein. „Ja, wann bricht sie an?“ wiederholte der Apotheker mit sehnsuchtsvollem Seufzer.

      Der Graf blickte ernst in sein Glas. — „Wenn mein Vetter zu seinen Vätern heimberufen wird, meine Herren, und das möge noch Zeit und Weile haben, ich will ihm sein Leben bei Gott von Herzen gönnen, wenngleich er in seinem traurigen, geistigen Zustand nicht viel Genuss davon hat, und auch anderen nicht zum Glücke dient. — Ich weiss nicht, ob Sie mit unseren Familiensatzungen vertraut sind, meine Herren? — Nein? — das wundert mich, denn dieselben sind so eigenartig, dass sie als Absonderlichkeiten im ganzen Lande bekannt sind und viel besprochen werden. Der Vater meines Vetters Willibald und der meine waren Brüder. Nach Recht und Gesetz erbte der Ältere, Willibalds Vater, das Majorat, und diesem folgte rechtmässig sein einziger Sohn, der jetzige Besitzer. Obwohl Willibald seit Jugend auf ein absonderlicher Kauz war und den Begriff „Degeneriert“ leider stark bewahrheitete, schien doch für mich wenig Aussicht auf das Erbe, und darum heiratete ich ohne Rücksicht auf die wichtigste aller Majoratsklauseln meine schöne Frau hier ...

      „Schmeichler!“

      „Die volle Wahrheit, schöne Gräfin!“

      „Obwohl ich dadurch für mich persönlich jedes Recht auf das Majorat aufgab.“ —

      „Mein Gott, in wie fern das, Herr Graf?!“ —

      „Meine Frau ist eine geborene Bürgerliche, die Tochter eines unserer bedeutendsten Industriellen des Landes, — wer jedoch Majoratsherr von Niedeck sein oder werden will, darf nur eine Gattin mit sechzehn Ahnen, die Tochter eines im Lande angesessenen Adelsgeschlechtes heimführen ...“

      „Wie absurd! — unerhört!! — lächerlich!!!“ —

      „Ja, meine Herren, die Klausel ist nicht nur lächerlich, sondern unhaltbar, denn bei unseren heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen gehört eine Dame mit sechzehn Ahnen zu den grossen Seltenheiten, sie ist kaum noch im deutschen Reiche zu finden, geschweige denn in unserem kleinen Ländchen, wenn sein Adel auch als einer der exklusivsten noch gilt. Ein tadelloser Stammbaum von derartiger Höhe ist nur noch bei zwei Familien des Landes zu finden, und der Zufall wollte es, dass just für unsere Generation — ich meine für Willibald und mich, keine heiratsfähigen Töchter vorhanden waren. Ich sah ausserdem meine kleine Frau — und damit war mein Schicksal besiegelt.“ —

      „O, wie begreiflich!“ flüsterte der Assessor mit schwärmerischem Blick.

      „Ich persönlich kann also niemals mehr Besitzer und Majoratsherr von Niedeck werden, sondern mein ältestes Söhnchen wird erst in diese Rechte treten, wohl aber kann ich als Vater und Vormund des Kindes das Erbe für ihn verwalten, falls Willibald vor dessen Volljährigkeit sterben sollte.“ Der Sprecher schwieg, — nachdenklich starrten die Herren in die Gläser.

      „Wie sehr traurig liegen die Verhältnisse für uns, Herr Graf!“ seufzte der Apotheker, „denn ich fürchte, so krank auch der Geist des Herrn Grafen sein muss, so kerngesund ist sein Körper und lässt ihn ein sehr hohes Alter erreichen!“ —

      „O, das wäre gleichgültig, wenn wir ...“ rief die Gräfin sehr eifrig, verstummte aber unter dem scharfen, warnenden Blick, welchen ihr Gatte ihr zuwarf.

      „Wenn wir wenigstens zeitweise als Gast auf Niedeck weilen und unsere liebenswürdigen Freunde hier bei uns sehen könnten!“ — fiel er ihr schnell mit gewinnendem Lächeln ins Wort, „nun, die Hoffnung müssen wir aufgeben, mein Kind, denn du weisst, dass Willibald und ich uns als feindliche Vettern gegenüber stehen. Ich huldige der Devise: Leben und leben lassen! und bin bemüht, durch mein Geld auch anderen Menschen Freude und Genuss zu verschaffen. Willibald dahingegen ist ein knickeriger Egoist, welcher kein Herz für seine Mitmenschen hat!“

      „Das stimmt!“ klang es erbittert im Kreise.

      „Wird denn aber ihr Söhnchen eine Frau mit sechzehn Ahnen finden, Herr Graf?“ fragte der Postassistent schüchtern, — die Sache ging ihm gewaltig im Kopf herum und beunruhigte ihn ersichtlich.

      Graf Rüdiger lachte: „Ja, mein lieber Müller, dafür habe ich schon beizeiten Sorge getragen. Mein ältester Junge ist jetzt zehn Jahre alt, und bei dem Freiherrn von Nördlingen-Gummerbach ist vor vier Jahren ein reizendes, blondhaariges Töchterchen geboren, welches recht arm an Geld, aber desto reicher an Ahnen ist.

      Diese kleine Pia ist die gegebene Frau für meinen Wulff-Dietrich. Bei ihrer Taufe haben wir Väter die Sache bereits abgemacht, und ich erachte das kleine Elfchen schon völlig als Schwiegertochter, denn sie muss es werden, es gibt keine andere Frau im Lande für den Niedecker. — Nun aber noch einmal an die Gläser, meine Herren! Das Wetter klärt sich auf und Papa Simmel muss uns einen Wagen beschaffen, dass wir ein wenig spazieren fahren können. Ich muss doch einmal nach dem Rechten sehen, ob die Besitzungen unter dem Regime des geisteskranken Herrn nicht allzusehr herunter kommen! — Heute abend auf Wiedersehen, meine Herren? Sie speisen doch wohl wieder hier?“

      Man rieb sich halb verlegen, halb eifrig die Hände.

      „Für gewöhnlich kommen wir erst nach dem Abendbrot wieder hier zusammen, aber wenn wir die hohe Ehre geniessen können, mit den Herrschaften abermals zusammen zu sein .. —“

      „Natürlich! Wir wollen doch die kurze Zeit geniessen, um uns recht gut kennen zu lernen!“ lächelte die Gräfin wie ein Engel und reichte jedem der Herren die Hand.

      „Ich bin auf jeden Fall hier! Ich bin der Schatten meiner schönen Königin!“ rief der Assessor voll kühner Sektlaune.

      Die elegante Frau lachte amüsiert und der Graf klopfte ihm jovial auf die Schultern: „Recht so! tragen Sie ihr die Schleppe, lieber Bärning, sie ist so sehr an Verehrer gewöhnt, dass sie sich nicht langweilen darf.“

      Gott sei Dank, der Gatte war nicht eifersüchtig!

      Dem Assessor ward ganz schwindlig vor Wonne. Das Ehepaar Simmel aber lächelte sich strahlend zu. So war es recht! Die Herrschaften sorgten auch für Abendtischgäste in der „Stadt Hamburg.“

      Drei Tage waren vergangen, seit Graf und Gräfin Niedeck in Angerwies ihren Einzug gehalten und es war, als ob diese drei Tage genügt hätten, einen völlig neuen Hauch des Lebens in das Städtchen zu tragen.

      Alle Gemüter befanden sich in höchster Aufregung, man lief Strass auf, Strass ab spazieren, um die Herrschaften zu sehen, von welchen wahre Wunderdinge der Leutseligkeit, Freigebigkeit und Eleganz erzählt wurden.

      Das gräfliche Ehepaar besuchte die einzelnen Geschäfte und machte brillante Einkäufe. Alle teuren „Modellstücke“, welche zum Kummer der Besitzer als ewige Ladenhüter prangten, wurden jetzt an den Mann gebracht. Man machte glänzende Geschäfte, denn da Alt und Jung den Trieb fühlte, sich über die ausserordentlichen Ereignisse auszusprechen, liefen auch die Angerwieser von einem Laden in den anderen und kauften zum Vorwand gar mancherlei, was sie sonst nicht nötig gehabt hätten. Überall hörte man begeistertes Lob über die fremden Niedecks, überall ward der Ruf laut: „Ach, warum ist nicht dieser Graf der Majoratsherr!“ Ja, dieser verstand es besser, sich die Herzen zu gewinnen und den Grafen zu repräsentiren, wie jener Sonderling im Schafpelz, welcher kaum zu Weihnachten einem armen Kind fünf Pfennige schenkte!

      Graf Rüdiger hatte das Armenhaus besucht und volle hundert Mark in die schwindsüchtige Kasse desselben gelegt; er war mit seiner Gemahlin bei dem Krankenhaus vorgefahren und hatte auch hier hundert Mark deponiert.

      Begegnete ihnen ein Bettler, oder arme Holzleser, oder sonst ein bedürftig Aussehender, so hatte Graf Rüdiger sofort die Börse in der Hand und schenkte mit verblüffender Freigebigkeit. Was Wunder, wenn die Namen der fremden Herrschaften voll überströmenden Lobes in aller Munde waren und aus manchem Körnlein ein Berg gemacht wurde!

      Wie eine Bombe schlug die Nachricht ein, dass der Graf über „Kaisers Geburtstag“ in Angerwies bleiben würde und dass er sich als guter Deutscher ganz besonders freuen würde, wenn der Kriegerverein diesen Tag besonders festlich begehen wollte! Waren doch erst fünf Jahre seit dem glorreichen Tage verflossen,


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