Der Majoratsherr Bd. 1. Nataly von Eschstruth

Der Majoratsherr Bd. 1 - Nataly von Eschstruth


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zu invitieren!‘ und nun mit einem Mal thut ihr, als wäre er euresgleichen!“ —

      Der Bürgermeister tobte mit wütenden Schritten durch die Stube: „Schweig still! das verstehst du nicht! Reichsgraf hin — Reichsgraf her! — zeigt es nicht unser Freund Rüdiger und seine Gemahlin, dass man mit uns verkehren kann? Und die sind auch Grafen von Niedeck — und Millionäre! Aber sie kennen keinen Dünkel und Hochmut, wie der verdammte Kerl im Schafspelz! Dieser Verrückte! Dieser Geizhalz, dieser Kleidertrödler, der sich nicht schämt, einher zu gehen wie ein Lump, wie ein Slowak!!“ Damit stürzte er zur Thür hinaus.

      Und wie Anno 48 ein dumpfes Murmeln aufrührerischen Hasses durch das Volk ging, so schlug auch jetzt die Zunge des Stadtoberhauptes als Alarmglocke an —: „Bürger heraus!!“ — Das lief an allen Strassenecken zusammen, schimpfte und fuchtelte, immer bedrohlicher und hitziger.

      Gevatter Handschuhmacher aber zuckte wehmütig die Achseln. „Ruhig Blut, Kinder! Was nützt alles Gezeter? Ein Majoratsherr ist kein König, den eine Revolution stürzen kann. Der Niedecker sitzt sicher und unantastbar im Nest, und ehe nicht Freund Hein ihn herauswirft, nützt alles Sturmlaufen unsererseits ganz und gar nichts!“ —

      „So? muss man sich etwa einen Verrückten zum Herrn gefallen lassen? — Sagt nicht die Gräfin auch, ein Narr gehört ins Narrenhaus?“ —

      „Die Gräfin mag das schon sagen, denn sie gehört zu seiner Familie, aber uns geht das nichts an!“ —

      Dadrüber liesse sich wohl reden!“ trotzten etliche Stimmen: „Ein Gaudi wär’s für uns, wenn es dem hochmütigen Schuft passierte!“ —

      „Fragt doch den Assessor! der muss es ja wissen, ob wir ihm nicht eine Suppe einbrocken können.“

      „Lasst aber den Rüdiger nichts merken! Es mag kein Vornehmer gern einen Vetter im Tollhaus haben!“ —

      „Bah — er und die Gräfin haben ihn ja zuerst verrückt genannt!“

      „Ich rate euch, sprecht erst mit dem Assessor!“ —

      „Heute abend sondieren wir den Graf, der Wein löst die Zunge!“

      „Gut, heute abend!“

      Mit wetterschwülen Stirnen trollten sie heim. Die Schmach, die Graf Willibald ihnen angethan, frass ihnen an der Ehre, und einer hetzte den anderen auf, wenn gar ein Wort fiel: ob’s denn wahrlich ein so schwerer Schimpf sei, wenn ein Sonderling nicht gern unter Menschen gehe!

      Die Sonne sank — und voll fiebernden Eifers rückten die Frauen und Jungfrauen von Angerwies die Spiegel zurecht, um endlich die Fesseln der Papilloten zu sprengen!

      Wenn es nur aufhören wollte zu regnen! Die Mütter konnten ja feste, rindslederne Stiefel anziehen, aber die tanzenden Töchter! je nun, man hatte sich in solcher Verlegenheit schon so oft geholfen, warum nicht auch heute? In Ermangelung einer Droschke thaten die riesenhaften Holzpantoffeln genau so gute Dienste, und darum waren sie so lange man denken konnte in Angerwies existenzberechtigt und genossen die Achtung, welche sich das Zweckmässige überall erwirbt.

      Eine halbe Stunde vor der angesetzten Zeit hörte man denn auch ein unermüdliches „Klipp-Klapp-Klipp-Klapp“ auf dem holprigen Pflaster und dann und wann ein jungfräulich zartes Aufkreischen, wenn eins der hölzernen Piedestale in einer Pfütze versank. — Grosse Regenschirme und flatternde Umschlagetücher verhüllten den Scharen neugieriger Gaffer die Pracht, welche sich jenseits der Hotelthüre enthüllen sollte. —

      Hie und da schwankte ein Laternchen vor einer Honoratiorendame her, und je nachdem, ob ein oder zwei Lichtlein in demselben brannten, erkannte man den Grad der Würde, welchen die Nahende einnahm. —

      Mehr und mehr füllte sich der Festsaal.

      Die Herren in seltsam langschössigen Fracks, mit weissen Zwirnhandschuhen an den Händen. — Der Assessor, Apotheker und Doktor, sowie etliche der „übertrieben“ eleganten jungen Herren hatten Glacés angelegt, köstlich duftend nach Pomade und Moschus, die Krieger mit der Denkmünze oder gar dem schwarz-weissen Bändchen im Knopfloch, die Nicht-Krieger mit kleinen Sträusschen an der Brust, deren Blüten in dieser blütenlosen Märzzeit durch Strohblümchen geschmackvoll und sinnig ersetzt wurden.

      Die Damen hatten ungeheuerliche Anstrengungen gemacht, zu glänzen.

      Die Mamas fanden sich mit Würde in entsagungsvolle Farben, schwarz, pflaumenblau, kaffeebraun, lila und grau, Nüancen, welche jedoch aufs lieblichste durch die dreieckig gelegten weissen Crêp de chin-Tücher gehoben wurden, ohne welche eine Ballmutter von Angerwies einfach undenkbar war.

      Die Matronen hatten einen ungeheuren Kopfputz, eine Art blumenumrankter, federumwallter, spitzenumnickter und bänderumflorter Sturmhauben, bei deren schwiegermütterlichem Anblick eigentlich jedem Freier, auch dem beherztesten, das Herz in die Hosen rutschen musste, — so kriegerisch kampfesmutig trugen die Damen dieses stattlich geschmückte Haupt auf den Schultern.

      Der Mittelschlag der noch nicht ergrauten Frauen lächelte unter Puffscheiteln oder Zöpfen hervor, welche als Wunder der Flechtkunst um die Ohren gelegt waren, ein paar handfeste Rosen oder Astern vervollkommneten den Liebreiz, goldene oder elfenbeingeschnitzte Kreuze oder Broschen prunkten am Halse. — Trotz manches hübschen, vollwangigen Gesichts waren diese mittelalterlichen Gattinnen die vollste Ehrbarkeit, welche nicht mehr an Tanzen und Kokettieren denkt; der Strickstrumpf erinnerte auch jetzt in ihrer Hand an die lieben Kleinen daheim.

      Die holde Jugend war vollzählig und wie überall in kleineren Städtchen im Übergewicht erschienen. Auf vier Damen kam ein Herr, weswegen die Fräuleins ungeniert unter sich tanzten. Weiss, rosa, himmelblau, Blumenkränze, Filethandschuh, bemalte Holzfächer und ausgeschnittene Kittlederschuhe ... schwarze, blonde, rote Haare, dick und dünn, gross und klein, hübsch und hässlich, graziös und plump, alles war vertreten.

      Ein Gefühl, aus Staunen, Bewunderung und Neid gemischt, beschlich aller Herzen, als die Bürgermeisterin mit ihren drei Töchtern eintrat! Die Überraschung war komplett. —

      Modern frisiert! — das Althergebrachte einfach über den Haufen geworfen, nach dem Muster der Gräfin hochmodern frisiert! Die Haare des halben Vorderkopfes waren kurz geschnitten und in krause Locken gebrannt. Hoch auf dem Kopfe bäumten sie sich, wie indigniert über solche Zumutung, gleich einem Kakaduschopf, von der Stirn abstarrend und über die Ohren hinweg ragend!

      Wie wunderschön verändert die Mädchen aussahen! Die beiden Ältesten waren ja nie sehr hübsch — aber heute ... hm ... oder täuschte man sich? Eine so hochmoderne Frisur muss ja gut kleiden, es war nur das Ungewohnte des Anblicks, welches jedes Auge stutzig machte! Ein Wagen rollte heran. Oberförsters. — Nun waren die hohen Würdenträger versammelt, nun konnte das gräfliche Paar auch erscheinen; die Getreuen von Angerwies stellten sich feierlich, mit hochklopfenden Herzen rings an den Wänden auf, gleich dem Hofstaat, welcher die Majestäten erwartet. — Während dessen hatte Gräfin Melanie ihre Toilette beendet und die Jungfer hinaus geschickt. Es war die Zofe ihrer Schwester, welche sie sich vom Lande hatte kommen lassen, und welche so gut wie kein Wort Deutsch verstand.

      Diesen Umstand lobte der Graf soeben wieder. „Es ist ein Glück, dass die Person nicht ahnt, was um sie her vorgeht, ihre Sprachunkenntnis ist der Hemmschuh für jeglichen Klatsch. Es wäre dir doch auch sehr zu empfehlen, anstatt dieser entsetzlichen Frau Stiehl auch eine Französin zu engagieren! Denke dir die Stiehl hierher in diese Situation! Ihre Zunge würde uns jeden Plan durchkreuzen, sowohl hier wie in der Residenz.“

      Die Gräfin seufzte: „Du hast ganz recht, aber sag selber, wäre es vorteilhaft, dieses Frauenzimmer jetzt zu entlassen, damit sie uns in der ganzen Stadt herumbringt? Sie hat zu oft gehorcht und ausspioniert, um nicht über mancherlei vollständig informiert zu sein. Die Klugheit gebietet energisch, sie im Hause zu behalten!“ —

      Rüdiger knurrte etwas Unverständliches, seine Gemahlin aber stand vor dem Spiegel und musterte ihre strahlende Erscheinung mit ironischem Blick. Und als sie die Brillantarmbänder anlegte, brach sie plötzlich in ein leises Gelächter aus und warf sich in das Sofa. Sie presste das duftende Spitzentuch gegen das Gesicht,


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