Pächter der Zeit. Thomas Flanagan

Pächter der Zeit - Thomas Flanagan


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Namen der Verbrecher, die ihn losgeschickt haben, und der Tag, an dem er in Dublin angekommen ist. Das alles ist bekannt. Und es war höchst gefährlich für ihn, mir diesen Bericht zu zeigen. ›Äußerste Geheimhaltung‹, stand oben auf dem Blatt, über dem Wappen.«

      »Großer Gott«, sagte ich, als Vincent mir das erzählte, aber er zuckte die Schultern.

      »Was hast du denn erwartet, Hugh?« fragte er. »Daß die Yankee-Offiziere hergekommen sind, war kein Geheimnis. Es hat im Cork Examiner gestanden. Und die Polizei in Kilpeder weiß noch mehr. Sie wissen, daß es hier einen eingeschworenen Zirkel gibt, weil sie Kneipenprahlereien gehört haben. Aber sie wissen nicht genau, wie groß der ist. Sie glauben, daß du vielleicht der Ortskommandeur gewesen bist, aber daß Ned dich ablösen soll. Und da liegen sie ja nicht allzu falsch.«

      Nicht allzu falsch, in der Tat. Und warum ich nicht damit gerechnet hatte, weiß ich selber nicht. Wenn es um Agitation oder Aufwiegelei geht, ist der Schulmeister ein gezeichneter Mann. So war es 48, und so sollte es in den 80er Jahren mit der Land League wieder werden. Wir sind normalerweise ein friedlicher Haufen, wir armen Teufel; und wenn ich eine Bezeichnung für uns alle finden sollte, dann würde ich mich für furchtsam entscheiden, voller Eifer, sich mit Priestern und Inspektoren und ähnlichen Würdenträgern gut zu stellen. Aber wir sind über unseren Stand gebildet, und wir haben unsere kleinen Eitelkeiten, unsere Kenntnis der irischen Geschichte, patriotische Gedichte und Reden von der Anklagebank und den ganzen Rest. Und ich muß zugeben, daß meine Vorgänger am Ort keine glückliche Tradition geschaffen hatten, mit Thomas Justin Nolan, und lange vor ihm dem wilden Dichter und Hurenbock Owen Ruagh MacCarthy, der sich den Rebellen in Mayo angeschlossen hatte und zur Belohnung für seine Bemühungen gehenkt wurde. Aber daß mich irgendwer für den Leiter auch nur einer Antialkoholikerloge halten konnte, verringerte meine Achtung für die Polizei, obwohl das Dokument, mit dem Honan bei den Tullys erschienen war, dem widersprach.

      »Aber was ist mit Bob und dir?« fragte ich, um die angemessene Besorgnis um die Sicherheit meiner Freunde zu zeigen.

      »Ach, weißt du«, antwortete Vincent. »Uns schützt unser Charakter. Bob ist der ehrgeizige junge Bob Delaney, Dennis Tullys Ladengehilfe. Und was mich betrifft, über mich wissen doch sicher alle Bescheid, Frauen und Rennen und so weiter. Ein Möchtegern-Gentleman, ein Shoneenh. Bob ist mehr Tully als ich selber. Das sagt ganz Kilpeder, das hast du selber gesagt. Und mein Vater glaubt es auch, ehrlich gestanden.«

      Seine Worte hatten einen bitteren Unterton, wie ein Mann, der in eine saure Rinde von Wahrheit beißt. Es war fast seit dem ersten Tag so gewesen, als Bob den Hof seines Vaters verlassen hatte, um im Laden zu arbeiten, jüngster Sohn eines Farmers von mittlerem Wohlstand, ein stämmiger junger Bursche mit dem leichten, aber doch lebhaften Auftreten, das dem Selbstvertrauen entspringt. Ich erinnere mich gut an diesen Bob, einen angenehmen Bekannten, der noch kein Freund geworden war, an einem Abend in den Arms oder bei Conefry, schlagfertig und von trockenem Humor, aber immer mit dem ruhigen Blick, der einen Raum voller Männer zu ihren wahren Proportionen schrumpfen lassen konnte, ein Teil seiner selbst hielt sich aus den Neckereien heraus. Ich erinnere mich, wie er im Laden war und wie Tully ihn beobachtete, zufrieden und leicht besorgt, wie ein Mann, der feststellt, daß das eben gekaufte Arbeitspferd sich als geschmeidiger, fähiger Jäger entpuppt hat.

      »Aber es gibt einen Unterschied, Vincent«, sagte ich. »Du bist derjenige mit dem Tullyblut, sein einziger Sohn. Du bist derjenige, den er liebt.«

      »Ich weiß«, erwiderte Vincent. »Und bei aller Furcht, die seine Worte mir eingeflößt haben, wußte ich auch, daß er da voller Kummer und Besorgnis saß. Cornelius Honan hat jetzt seinen Verdacht, weißt du, und diesen Verdacht hat er in unser Haus gebracht. Er wollte mich vor Ned und dir warnen.«

      »Das war anständig von ihm«, sagte ich. »Er ist ein anständiger Mann, weißt du.«

      Aber wieder zuckte Vincent die Schultern, noch immer mit diesem Hauch von Bitterkeit. »Viele bei der Polizei sind anständig genug, wenn man ihnen das erlaubt. Aber es kam ihm vor allem darauf an, sich mit Tully und Sohn weiterhin gutzustellen. Die Ardmors glauben vielleicht, daß ihnen die Baronie gehört, die Ardmors und der übrige Adel, mit ihren großen Häusern und ihrer Jagd und ihren Hundemeuten, wenn sie schreiend und scharlachrot gekleidet durch die Felder reiten, wie John Peel. Aber bald werden sie wie die Glasur auf einem Hochzeitskuchen weggekratzt, und darunter wirst du Tully und Sohn finden.«

      Als er sprach, konnte ich die beiden sehen, Dennis Tully und Cornelius Honan, wie sie ihre Köpfe zusammensteckten, während Honans hoher Helm wie um Entschuldigung bittend neben seinen Stiefeln stand. Er versuchte sicher ab und zu, mit dem Finger seinen mit Leder und Roßhaar versteiften Kragen zu lockern. In seiner Hand hielt er den Bericht aus Dublin, Botschaft eines weit entfernten Empires, dessen Befehle er befolgte. Beim Reden stieß er immer wieder mit dem Finger gegen den Bericht. »Nichts Böses in dem Jungen, Tully. Gar nichts Böses, sicher nicht. Heutzutage sind die Jungen leicht ein bißchen wild.« Tully nickte und musterte Honan mit den milden, klaren Augen eines Falschspielers. Aber hinter den milden Augen lagen Zorn über seinen Sohn und Angst um ihn.

      »Und dann hat er mich ausgehorcht, Hugh«, sagte Vincent. »Das hat er schon oft gemacht, in anderen Zusammenhängen. Ich weiß, was du von ihm denkst, ein Gombeeni -Mann ohne mehr Gewissen als ein Dachs, aber er ist auch so gerissen wie ein Dachs, und sein Vater, der Gründer, war auch schon so. Und der allererste Tully, mit seinem Bauchladen mit Hökerwaren, Nähgarn und Fingerhüten für die Frauen.« Er hätte auch über eine Pharaonendynastie sprechen können. »Er hätte mich fast zu fassen bekommen, aber ich habe mich rechtzeitig retten können. Ich bin selber ein Tully. Aber eigentlich ist das so nicht richtig. Er hat einfach das ausgesprochen, was er für die Wahrheit hält.«

      »Was ich weiß, Vincent«, hatte Tully ihm gesagt, »ist folgendes.« Beim Reden hatte er einen Finger nach dem anderen berührt, zuerst den Kleinen, wie Vincent es im Laden oft bei ihm gesehen hatte, wenn er einem Farmer eine Rechnung erklärte. »Niemand in diesem Land will Ärger – die Leute wollen keinen Ärger, die Kirche nicht und der Adel auch nicht. Wir haben alle viel zuviel Ärger miterlebt. Niemand außer den Unruhestiftern will Ärger, und den werden sie über sich selber bringen. Überall auf dieser Insel steht Polizei, und das sind sehr fähige und gut bewaffnete Männer, sicher und geborgen in ihren starken Wachen, wie in der von Kilpeder. Und wenn die Polizei nicht ausreicht, dann gibt es noch die Armee, und diese Burschen mit ihren Bajonetten werden keinen Unfug dulden. Ich weiß nicht, was diese Unruhestifter wollen, aber ich weiß, was sie bekommen werden, verdammt nochmal.«

      »Sie wollen ein freies Irland«, sagte Vincent. »Habe ich gehört.«

      »Ein freies Irland!« wiederholte Tully. »Himmel, wollen wir denn nicht alle Freiheit für dieses arme Land?«

      »Vielleicht«, sagte Vincent.

      »Hat nicht Daniel O’Connell, der Befreier, sein ganzes Leben dafür geschuftet? Sind wir nicht alle unter dem Banner der Repeal Association marschiert, die Priester und alle? Wir haben geschuftet und agitiert auf ordentliche, friedliche Weise, ohne an Verbrechen auch nur zu denken.«

      »Die Fenier haben keine hohe Meinung von deinem Daniel O’Connell«, erwiderte Vincent. »Er hat hier und dort riesige Versammlungen abgehalten, und als es den Engländern paßte, sich seiner zu entledigen, haben sie ihren Stiefelabsatz auf ihn gesetzt und seine Bewegung zerschlagen. Und als ein oder zwei Jahre später die Hungersnot kam, hat er das Volk nackt ihrem Wüten überlassen.«

      Vincent erhob sich und goß sich noch ein Glas Portwein ein. Sein Vater, dessen eigenes Glas unberührt war, redete zu seinem Rücken.

      »Vincent, Vincent, du darfst solche Worte nicht aussprechen. Du warst noch nicht einmal geboren, als O’Connell das Volk zum Widerstand gebracht hat. Er war ein Löwe von einem Mann. Er hat Tausenden Mut gegeben; sie haben in seiner Stimme Schutz gesucht. Wir waren nichts. Verachtet. Sie verachteten uns. Er hat noch die Felsen mit seiner Stimme aufgewühlt. Wenn du mußt, kannst du in diesem Hause töricht daherreden, wo niemand dich hört, aber ich werde kein böses Wort gegen den Befreier dulden.«

      »Genau das war er«, sagte Vincent. »Er war eine Stimme. Du hast es selber gesagt.


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