Pächter der Zeit. Thomas Flanagan

Pächter der Zeit - Thomas Flanagan


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dann werdet ihr von der Kolonne von Kilpeder als Verräter verurteilt werden. Wißt ihr alle, welche Strafe für Verräter in allen Armeen der Welt angewandt wird?«

      Es war das erstemal, daß irgendwer unter uns das Wort Kolonne hörte. Im Moment hatten wir jedoch keine Gedanken für solche Feinheiten. Ein düsteres Schweigen folgte, das Ned, das war klar, durchaus nicht brechen wollte, denn er begann nun, wieder hin und her zu gehen.

      »Das wissen doch alle«, sagte schließlich jemand, und die Männer in der ersten Reihe drehten ihre Köpfe zu ihm um. Es war Pat Dunphy, ein kleiner Farmer, der im Westen an der Straße nach Kerry wohnte und den die Männer in seinem Dorf achteten, ein kraftvoll gebauter Mann in den Dreißigern, dessen Haare sich bereits jetzt schon ausdünnten und frühe Kahlheit verhießen, ein Mann, der beim Tanz und bei der Ernte gleichermaßen tüchtig war.

      »Aha«, sagte Ned und sah ihn an. »Und welche ist das?«

      »Deserteure werden erschossen«, antwortete Dunphy. »Oder aufgehängt, je nachdem.«

      »Wenn ich Bob richtig verstanden habe«, sagte Ned, »dann sollten wir unser Blei nicht vergeuden. Die Kolonne von Kilpeder sollte so einen erbärmlichen Kerl aufhängen, meint ihr nicht?«

      Nach einer Pause sagte Dunphy mit leiser Stimme, wobei die ersten Worte in seiner Brust dröhnten: »Als Bob Delaney uns geführt hat, war nie die Rede von Hängen oder Erschießen oder von Desertion. Und wir sind heute nacht hergekommen, was gefährlich für uns ist, und wir werden noch viel mehr riskieren. Sie haben kein Recht, so mit uns zu reden, Mr. Nolan.«

      »Captain Nolan«, korrigierte Ned.

      »Gut, dann Captain Nolan«, sagte Dunphy. »Und wir hatten den Befehl von Bob Delaney erwartet.«

      Bob trat vor, aber Ned hörte seinen Schritt und schüttelte den Kopf.

      »Bob Delaney hat mich offen gewarnt«, sagte Ned. »Er hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß ihr euch alle gut kennt, während ich ein Fremder für euch bin. Das stimmt. Aber ich bin ein Fremder, der euch geschickt worden ist, weil ich weiß, was jetzt notwendig ist und wie es getan werden muß. Die Organisation hat vor, die Kontrolle über dieses Land durch Waffengebrauch an sich zu bringen. Wir werden die britische Armee und die irische Polizei angreifen, die einen Teil dieser Armee ausmacht. Einige von ihnen und einige von uns werden dabei ums Leben kommen. Macht euch da keine Illusionen. Alles, was uns angeht, ist die Umgebung von Kilpeder. Hier haben wir unsere Aufgaben zu erfüllen, und danach, wenn wir Erfolg haben, werden wir nach Norden zu einem bestimmten Treffpunkt marschieren und uns einem höheren Kommando unterstellen. Ich will, daß wir Erfolg haben, und dafür brauche ich wirkliche Soldaten, keine Bauern.«

      »Sie haben aber Bauern«, sagte Dunphy. »Soldaten sind Burschen mit Gewehren.«

      »Das werdet ihr auch sein«, erwiderte Ned. »Ich habe durchaus nicht vor, ohne Waffen mit unseren Operationen anzufangen. Soldaten sind Männer, die einen Eid ablegen und Befehlen gehorchen, ob ihnen das nun gefällt oder nicht, egal, was sie von dem Mann halten, der diese Befehle erteilt. Übrigens, Mr.…«

      »Dunphy, Pat Dunphy. Ich habe schon vor zwei Jahren den Eid abgelegt.«

      »Übrigens, Pat Dunphy, was halten Sie von mir?«

      Dunphy zögerte, ehe er antwortete: »Ich finde, Sie sind so unverschämt wie ein Viehschieber aus Limerick.«

      »Ausgezeichnet«, erwiderte Ned. »Jetzt kommen Sie zwischen den beiden Männern vor Ihnen hindurch und kommen dann zu mir herüber.«

      Einen langen Moment, während dessen ich den Atem anhielt, stand Dunphy bewegungslos da, dann zuckte er die Schultern, schob einen Mann beiseite und kam auf Ned zu. Ich konnte ihn jetzt besser sehen, einen von diesen großen Bauernburschen mit guter Haltung, mit schweren Muskeln, aber nicht dick. Seine Augen konnte ich nicht erkennen, aber ich kannte den gefährlichen, lässigen Schritt solcher Männer. Ich habe gesehen, wie ein solcher Mann sorgfältig und konzentriert sein Pint absetzt und mit seiner freien Hand einen Burschen an der Kehle packt.

      »Und wenn ich Ihnen einen Befehl erteile?« fragte Ned.

      »Sie haben es selber gesagt, Captain Nolan. Ich habe den Eid abgelegt. Aber, bei Jesus, Sie machen es mir nicht leicht, Ihre Befehle mit Vergnügen zu befolgen.«

      »Nein, tue ich nicht«, sagte Ned und wandte sich an Bob. »Taugt dieser Bursche irgendwas, oder haben wir gerade gesehen, wie er ist?«

      »Es gibt hier keinen besseren«, antwortete Bob. »Hier sind heute Nacht noch drei andere Männer aus Lackan, und die sind Pats wegen hier.«

      Ned nickte. Aller Augen waren jetzt auf die beiden gerichtet. Neds Hände waren in seinen Taschen vergraben, sein schwerer Mantel mit dem ausländischen Schnitt war nach hinten geworfen.

      »Sehr gut«, sagte er schließlich. »Pat, neben Waffen ist ein Sergeant das einzige, was uns fehlt, aber das können wir sofort in Ordnung bringen. Sie sind jetzt der Sergeant der Kolonne von Kilpeder.«

      »Ich soll der Sergeant sein?« fragte Dunphy.

      »Das sind Sie«, erwiderte Ned. »Ihnen bleibt nichts anderes übrig. Ich bin selber Sergeant gewesen, und bei Christus, ich beneide Sie nicht darum. Die Sergeants leiten in der Schlacht die Männer, nicht der Colonel oder der General. Und die Jungs werden Sie verfluchen, nicht Bob oder mich. Aber ich nehme an, Dunphy, Sie haben keine Hemmungen, anderen zu sagen, was sie zu tun haben und wie. Habe ich recht?«

      Einige von ihnen hatten angefangen zu grinsen, aber bei Neds Frage pflanzten sich Wellen des Gelächters durch das Glied fort, von einem zum anderen. Ich konnte Bob nur halb sehen, bemerkte jedoch, daß er Ned mit neuem Interesse musterte, als ob Ned plötzlich eine unerwartete Qualität offenbart hätte. Vincent wandte sich zu mir um. Er lächelte, aber es war nicht dasselbe Lächeln wie das der Männer. »Unser Mr. Nolan ist ein findiger Bursche«, sagte er.

      Dunphy wollte wieder ins Glied zurücktreten, aber Ned legte ihm eine Hand auf den Arm. »Damit ist Schluß, Pat. Sie müssen jetzt hier stehen und mit Hugh und Vincent die Suppe auslöffeln. Und wenn wir uns das nächstemal treffen, erwarte ich, die Männer ordentlich aufmarschiert zu sehen, eine Armlänge voneinander entfernt. Sehen Sie sie sich doch an, wie Tinkerf auf dem Jahrmarkt.«

      Was wußte Ned schon über Tinker, die in den Straßen von Manhattan so selten auftreten wie Karibus! Sicher war es ein Spruch, den er in einer Bar in New York oder in einem Lager in Virgina aufgeschnappt hatte, und er verfügte über ein ganzes Arsenal solcher Redensarten. Als ob er entschlossen wäre, sich durch Redeweise und Auftreten zu dem Iren zu machen, der er nur durch Geburt und die frühesten Jahre seiner Kindheit war. In Wirklichkeit war er Soldat, und nach dieser Nacht bezweifelte das niemand von uns mehr. Und der erste, der das beschworen hätte, war Pat Dunphy, der von nun an Ned Nolans Mann war.

      Nacht in diesem stillen Ödland, über uns die Schulter des Knockmany, bucklig und breit. Ich erinnere mich gut an diese Nacht. Ein Wind hatte sich im Westen erhoben, stark genug, um vom endlosen Ozean über die Derrynasaggarts zu uns getragen zu werden und die trockenen Zweige des Winters zu schütteln.

      »Heute Nacht brauchen wir ansonsten nicht mehr über viel zu reden«, sagte Ned mit kratziger Stimme. »Bob Delaney hat gut mit euch exerziert, daran habe ich gar keine Zweifel, und Pat Dunphy hier, Sergeant Dunphy, wird euch schon Beine machen. Aber denkt daran: Am festgesetzten Tag werden wir nicht Soldaten bei der Parade spielen, ich werde Dinge von euch verlangen, die ihr noch nie gemacht habt und die ihr mit Gottes Gnade auch nie mehr wieder tun müßt. Die Stadt Kilpeder wird von der Irish Constabulary gehalten, und die besteht aus bewaffneten Soldaten des britischen Empires, die mit ihren Gewehren über uns herrschen, auch wenn sie keine roten Röcke tragen und sich als Iren bezeichnen. Sie sind keine Iren. Vielleicht gibt es unter ihnen den ein oder anderen anständigen Burschen – kein Wunder, wo es doch nicht genug Arbeit im Land gibt, bei der ein kräftiger Mann seine Muskeln einsetzen kann. Aber wenn ihr den Schilling der Königin genommen habt und in ihren Rock geschlüpft seid, dann seid ihr Englands Mann und führt Englands Befehle aus. Vergeßt das nicht, sie werden es nämlich nicht vergessen. Sie haben ihren Eid abgelegt, und ich bin sicher, daß


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