Pächter der Zeit. Thomas Flanagan

Pächter der Zeit - Thomas Flanagan


Скачать книгу

      »Wir haben manchmal eng zusammengearbeitet«, erzählte Devoy, »aber wir sind uns nie nahe gestanden, wenn Sie den Unterschied begreifen. Ich habe ihm vertraut. Er brach mit uns, als Davitt und ich uns mit Parnell geeinigt hatten. Er gehörte zu den Unversöhnlichen. Er ging danach zu den harten Männern über, den Männern, die am äußersten Rand standen – Dynamit, Revolver. Die Geschichte hat bewiesen, daß er im Unrecht war. Unsere Methoden haben die Grundbesitzer zerschmettert.«

      Prentiss wartete wortlos. Er drehte sein Weinglas auf dem weißen, steifen Damast.

      »Er brach mit uns, habe ich gesagt. Aber die Aktion haben wir zusammen geplant. Ned war… obskur. Er war ein Kurier zwischen zwei Orten, und manchmal hatte die Organisation ein kleines Gehalt für ihn. Aber meistens mußte er sich nach besten Kräften selber versorgen. Eine Zeitlang hat er hier in der Stadt bei der Straßenbahn gearbeitet, und Ende der 70er Jahre war er eine Zeitlang für Tom Bonner Vorarbeiter in einer Ziegelei oben am Hudson, bei Verplanck. 67 schien lange her.«

      Held auf halbem Sold, dachte Prentiss. Die Vergangenheit tot und bleich wie der Schnee von Clonbrony Wood. Aber noch nicht am Ende.

      »Der Mann, der in Clonbrony Wood zum Vorschein kam«, sagte Devoy, »war Bob Delaney. Das wäre der richtige Mann für Sie. Ich erinnere mich noch gut an ihn von Parnells Besuch in New York her, Parnell so kühl und gutaussehend wie ein Herzog mit langem Stammbaum in einem Melodram im Theater, und neben ihm Dillon, und Bob Delaney zwei Schritte hinter ihm. Ich mochte ihn sofort leiden, er war ein Mann für alle Eventualitäten. Diese kleine Ratte Healy war bei ihnen, dieser Judas, der seinen Chef verraten hat. Aber nicht Bob Delaney, bei Gott! Delaney hielt zu Parnell, als die geballte Macht von England und der Kirche ihn zerschmettern wollte.«

      »Seine letzten Jahre waren unglücklich«, sagte Prentiss. »Ein Dorfanwalt, der ab und zu einen Auftrag finden konnte. An den Anfang von allem zurückgekehrt, nach Kilpeder.«

      »Ja«, sagte Devoy. »Und wir wissen warum. Er hatte dieselbe Schwäche wie sein Chef. Eine gewisse fatale Schwäche.«

      »Es war nicht nur die Frau«, widersprach Prentiss. »Sie haben es selber gesagt. Die Männer, die zu Parnell gehalten haben, sind mit ihm gestürzt.«

      »Nicht alle. Johnny Redmond geht es sehr gut. Es war ein offener Skandal, auf seine Weise genauso schlimm wie die Sache mit Parnell und Katharine O’Shea. Nein, noch schlimmer. Delaney war verheiratet und hatte Kinder, und der Ehemann dieser Frau war sein Freund, ein anständiger Bursche. Parnell war ein Aristokrat, ein Protestant. Bob Delaney dagegen war einer von uns.«

      Prentiss zuckte die Schultern. »Es war doch wohl seine Privatsache.«

      »Privat?« Die Zähne zwischen den dünnen Lippen wurden gebleckt. »Ehebruch haben als erstes die Engländer in Irland eingeführt. Dermot und Dervorgilla – lesen Sie die Geschichte Ihres Volkes, Mr. Prentiss. Es ist die schlimmste aller Sünden, die Sünde des Fleisches. Delaney hatte eine große Zukunft vor sich, ehe er sich in diese parfümierten Laken verirrte.«

      Junggeselle, verheiratet mit Irland, eifersüchtig auf Rivalinnen. In den kalten grauen Augen sah Prentiss einen Moment lang unbarmherzigen, privaten Zorn aufflackern. Dann sagte Devoy, »auch egal, er ist jetzt tot. Möge die Erde nicht zu schwer auf ihm lasten.«

      »Er muß Ihnen den Kampf von Clonbrony beschrieben haben«, sagte Prentiss. »Edward Nolan, meine ich.«

      »Beschrieben? Ja, das hat er sicher, irgendwann im Laufe der Jahre. Ich kann mich aber nicht erinnern, wenn ich ehrlich sein soll. Ned war niemals so ein Aufschneider wie einige andere. Ich weiß noch, daß er, als er nach seiner Entlassung aus Portland hier landete, bitter genug war, über die verpfuschten Befehle, über all die Feiglinge und die Denunzianten. Aber das waren wir alle. Er hegte kalten Zorn gegen die Denunzianten. Und er hatte in diesem Wald Männer verloren, wissen Sie. Vier von seinen Jungs erschossen, und ein anderer lag tot in den Straßen von Kilpeder. Ich glaube, es waren vier.«

      »Ja«, antwortete Prentiss. »Vier.«

      Später standen sie im Winterabend von Manhattan. Pudriger Schnee wurde vom Wind im gelben Licht der Straßenlaternen herumgewirbelt, es gab einen sich rasch bewegenden Fußgängerverkehr. Auf der Straße fuhr ein gelbbemalter überfüllter Bus nach Westen, zum Fluß. Eine Polizeistreife, die Devoy erkannte, berührte schmissig den Helm mit der Hand, und Devoy, die Hände in den Taschen seines kurzen Überziehers vergraben, nickte als Antwort. In dieser Stadt gab es keine Peeler – die Polizei rekrutierte sich aus den Schiffsladungen kräftiger Burschen aus Mayo, Leitrim. Devoy, ein Mann mit Beziehungen, kannte ihre Herren, in der Innenstadt, in der Centre Street, und er hatte innerhalb der Truppe seine Clann-na-nGael-Zirkel.

      »Ich würde viel darum geben, Mr. Prentiss, mit Delaney und Ned Nolan in Clonbrony Wood gewesen zu sein.« Er hatte sich eine neue Zigarette angezündet und hielt sie fest zwischen den Zähnen.

      »Ein Fiasko«, sagte Prentiss skeptisch. »Eine Schießerei im Schneegestöber, fünf Bauernburschen tot. Und danach mußten sie mit erhobenen Händen zu den Constables hinausgehen.«

      »Der einzige Schlag seit Emmets Rebellion, der getroffen hat«, sagte Devoy. »Und bisher der letzte.«

      In unerbittlicher Winterluft, die durch den Schnee gemildert wurde, im Gaslicht stand er da nach vierzig Jahren im Exil, tüchtig und eingeschrumpft, unversöhnlich. Umgeben von den Straßen einer Stadt, die die seine geworden war, ihre Gerüche und Geräusche gehörten jetzt ihm. Er lächelte und reichte Prentiss die Hand. Die weißen regelmäßigen Zähne waren falsch, die harten Kanten dieses Gebisses wurden von einem gepflegten Militärbart verborgen.

      Prentiss jedoch erinnerte sich, in einem anderen Winter an der Themse, lebhafter an West Corks späten Frühling und an Hugh MacMahons Stimme neben ihm, als sie in den Hügeln spazierengingen. Die Hecken hatten frische Blätter, blaßgrün, durchscheinend, und die Sonne fiel auf die Grenzzäune in der Ferne, die das Grün des Weidelandes aufteilten, wo das Vieh graste.

      »Ich erinnere mich gut an die Nacht«, sagte MacMahon, in dem höflichen Tonfall eines Menschen, für den es keine wirkliche Rolle mehr spielt, ob er sich gut oder schlecht erinnert, solange die Zuhörer zufrieden sind, solange die Vergangenheit ans Licht kommt, eine Trophäe, die an ihre eigene verlorene Zeit gemahnt.

      4

      [Hugh MacMahon]

      Ich erinnere mich noch gut an die Nacht, in der Bob und ich Ned Nolan in das Ödland von Knockmany geführt haben, wo er die Jungs kennenlernen und sich einen Eindruck davon machen sollte, wie wir mit ihnen exerziert hatten. Es war bitter kalt, jedenfalls für die Jahreszeit, der Boden unter unseren Stiefeln war hart und unnachgiebig. Eine Meile vielleicht folgte unser Pfad der Derrybeg, einem kleinen Bach, der in die Sullane mündet, und der von Wolken versteckte Mond glitzerte uns ab und zu von den vereisten Bachufern her an. Wir gingen ohne etwas zu sagen, wir drei und vielleicht acht Männer aus Kilpeder, und vier weitere erwarteten uns an der Boreen, die von der hiesigen Seite von Knockmany zur Derrybeg hinführt.

      Beim ausgemachten Treffpunkt, wie wir ihn großartig nannten, war nur noch eine schmale, enge Biegung der Derrybeg zu sehen, die ab und zu durch einige blattlose Dornbüsche herüberglitzerte. Zwanzig Männer erwarteten uns dort, die sich zu zweit oder zu dritt unterhielten oder die hin und her liefen, um sich gegen die Kälte zur Wehr zu setzen. Und wir mußten eine gute halbe Stunde warten, bis der Rest eingetroffen war, die anderen kamen allein oder, häufiger, zu dritt. Wir hörten sie, ehe wir sie sahen, Bauernburschen, die in schweren Stiefeln über Winterboden gingen. Als ich durchzählte, waren wir 62, und das Fehlen der übrigen konnte entschuldigt werden – Bob Prendergast hatte eine kranke Färse, oder ähnliches. Vincent Tully kam als letzter, obwohl er einer der wenigen Berittenen unter uns war, er kam auf der gescheckten Stute, die ihm sein Vater geschenkt hatte, ritt an den Jungs vorbei und kam sofort zu Bob und Ned und mir. Er schwang sich vom Pferd und sagte, ob zu Ned oder zu Bob konnte ich nicht erkennen: »Ich komme zu spät, General, aber das ist nicht meine Schuld. Der Alte hat uns eine geschlagene Stunde den Rosenkranz beten lassen. Meine Knie sind restlos aufgescheuert.«

      Er trug einen kurzen


Скачать книгу