Polly bekommt ein Pferd. Thea Oljelund

Polly bekommt ein Pferd - Thea Oljelund


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ja mal versuchen, auf meinem Pferd zu reiten, wenn du magst. Das wäre vielleicht gut für dich…“

      „Ich werde bestimmt nicht reiten lernen, am allerwenigsten auf deinem Pferd!“ versicherte Polly entschlossen. „Auf einem Pferd sitzen und hin und her hopsen, was soll daran schon Besonderes sein?“

      „Eigentlich ist’s schade um dich“, murmelte Kerstin. „Du bist wirklich zu dumm!“

      Polly erwiderte nichts, aber in ihr brodelte es. Und sie war noch immer zornig, als sie nach Hause kam und ihre Schulmappe auf einen Stuhl warf.

      Sven und Aila saßen in der Küche.

      „Na, wie war’s heute in der Schule?“ fragte ihre Mutter.

      „Wie immer“, sagte Polly mürrisch. „Sterbenslangweilig, mit anderen Worten.“

      „Könntest du mir mal einen Gefallen tun und den Eimer hier in den Stall tragen?“ fragte Aila.

      „Kann ich nicht vorher etwas essen? Ich bin total ausgehungert.“

      „Klar“, erwiderte die Mutter und stellte ein paar belegte Brote und ein Glas Milch vor sie hin. „Iß nur.“

      „Hör mal, Polly“, sagte Sven plötzlich, „ist in deiner Klasse jemand, der ein Pferd hat?“

      Polly sah schnell auf. Die beiden konnten doch unmöglich wissen, daß sie mit Kerstin Streit gehabt hatte!

      „Ja, die Kerstin“, murmelte sie. „Sie ist unmöglich, redet dauernd von ihrem Pferd. Man kriegt schon vom Zuhören zuviel. So ein dummes Geschwätz!“

      „Aha“, erwiderte Sven nachdenklich und warf seiner Frau über den Tisch hinweg einen Blick zu. „Magst du vielleicht keine Pferde?“

      „Du hast’s erraten“, sagte Polly. „Ich mag keine Pferde. Sie gehören zum Landleben, und alles, was mit dem Landleben zu tun hat, finde ich scheußlich.“

      „Aha“, sagte Sven wieder. „Na ja, wenn du mit dem Essen fertig bist, kannst du vielleicht mal mit dem Eimer hier in den Stall gehen.“

      Polly warf einen Blick in den Eimer.

      „Was ist denn das für ein Zeug?“ fragte sie. Sie faßte hinein und ließ den Hafer durch die Finger rieseln. „Wofür braucht ihr denn das?“

      „Das ist Hafer.“ Die Mutter lächelte. „Du kannst den Eimer in die Box stellen.“

      „Welche Box?“

      „Ach, Sven hat den Stall ein bißchen umgebaut. Du wirst es schon sehen“, sagte Aila. „Aber zieh deine Jacke an, wenn du hinausgehst, es ist kalt heute.“

      Polly nahm den Eimer und verließ die Küche. Irgendwie benahmen sich ihre Mutter und Sven seltsam, fand sie. Sie war etwas verwirrt. Die beiden hatten sie so merkwürdig angesehen. Und warum um alles in der Welt sollte sie mit einem Eimer voller Hafer in den Stall gehen?

      Sie öffnete die Stalltür und blieb verdutzt stehen. In dem alten Gebäude war es plötzlich so hell und sauber; alles war verändert. Und dort war eine große Box. Polly starrte hinüber. Dann sah sie über die Halbtür hinweg in zwei sanfte Pferdeaugen, hörte ein leises Schnauben, als die Stute den Eimer in ihrer Hand entdeckte.

      Ein Pferd! Ein Pferd!

      Woher kam es denn plötzlich? Wem gehörte es? Warum hatten ihr Mama und Sven nichts davon gesagt?

      Ein ungeduldiges Wiehern riß sie aus ihrer Erstarrung.

      „Stell den Eimer in die Box“, hatte Mama gesagt. Klar, Pferde fressen ja Hafer!

      Polly öffnete die Boxtür und stellte den Eimer ab. Sofort fuhr das Pferd mit der Nase in den Eimer und begann zu fressen. Polly strich ihm mit der Hand leicht über den Hals. Das Fell fühlte sich warm an und weich wie Samt.

      Mit großen Augen sah Polly sich um. Der Stall war kaum wiederzuerkennen. Hatte Sven in Wirklichkeit den Stall umgebaut, als er behauptete, er würde Nistkästen zimmern?

      Sie merkte gar nicht, daß ihre Mutter und Sven in der Stalltür standen.

      „Na, Polly, was sagst du? Magst du noch immer keine Pferde?“

      Polly fuhr herum. Ihre blauen Augen waren weit geöffnet. Sie war völlig verwirrt.

      „Ob ich was mag? Oh, hier ist’s wirklich wunderschön. Aber wem gehört das Pferd?“

      „Dir“, sagte ihre Mutter. „Das ist dein Pferd.“

      „Meins?“ Polly sah sie ungläubig an. „Meines?“

      „Ja, willst du es denn nicht haben?“

      „Aber… ich kann doch nicht reiten, ich kenne mich ja nicht aus mit Pferden!“ sagte Polly. Sie war zu überwältigt, um richtig begreifen zu können, was geschah.

      Die Stute hatte ihren Hafer gefressen und drängte sich an Polly. Unwillkürlich legte Polly den Arm um ihren Hals.

      „Mein Pferd“, wiederholte sie und glaubte zu träumen. „Aber… warum habe ich es denn bekommen?“

      „Na ja, jetzt, wo wir auf dem Land wohnen und ein Pferd halten können, dachten wir, du würdest dich freuen, wenn du eines bekommst, das dir gehört“, erklärte die Mutter. „Sven hat den Stall umgebaut, wie du siehst, und jetzt ist alles da, was man für ein Pferd braucht – vom Futter bis zum Putzzeug. Sven kann dir die Grundbegriffe des Reitens beibringen und dir zeigen, wie man ein Pferd striegelt. Einen Sattel hast du auch schon. Er hängt in der Sattelkammer.“

      „Bloß eins konnte ich noch nicht tun“, fügte Sven hinzu. „Ich muß die Wiese neben dem Stall einzäunen, damit die Stute draußen frei herumlaufen kann. Holz für den Zaun ist genug da, aber wir müssen erst mal die Pfosten in den Boden rammen und dann die Querlatten annageln. Hilfst du mir dabei, Polly?“

      „Wenn du das Pferd nicht haben willst, machen wir den Kauf rückgängig“, sagte Aila und warf ihrer Tochter einen Blick zu.

      Polly stand noch immer wie betäubt in der Box.

      „Du hast ja gesagt, daß du keine Pferde magst… Oder wie ist das nun?“

      Die Stute hob den Kopf und rieb ihre Nüstern an Pollys Arm. „Nein, nein“, sagte Polly bestürzt. „Ich meine… natürlich will ich das Pferd, das weißt du doch! Aber ich bin ganz durchgedreht, heiliger Strohsack…“

      Und dann rannte sie los und umarmte ihre Mutter heftig. Nach einer Weile, als sie ein bißchen ruhiger wurde, sah sie, daß auch ihre Mutter Tränen in den Augen hatte.

      „Dann freust du dich also“, sagte sie.

      „Ja, wahnsinnig!“ erwiderte Polly und schluchzte.

      „Es war Svens Einfall“, erklärte die Mutter. „Und er hat die ganze Arbeit gemacht. Er hofft nämlich, daß du dich hier wohler fühlen wirst, wenn du einen vierbeinigen Freund hast.“

      Polly brachte es zwar nicht über sich, auch Sven zu umarmen, aber sie sah ihn mit leuchtenden Augen an.

      „Vielen Dank“, sagte sie. „Du bist große Klasse. Klar helfe ich dir mit dem Zaun. Sollen wir jetzt gleich anfangen?“

      Sven lächelte. „Gern. Die Löcher für die Zaunpfähle habe ich schon gegraben. Wir könnten sofort die Pfähle hinaustragen.“

      Sie arbeiteten mehrere Stunden lang. Gegen acht Uhr rief Aila zum Abendessen; doch danach wollte Polly wieder hinaus.

      „Wir haben nur noch eine Schmalseite und das Gatter“, sagte sie. „Das schaffen wir doch heute abend noch?“

      „Sicher. Du warst wirklich tüchtig“, lobte Sven sie. „Ich finde, du stellst dich so geschickt an, als hättest du schon öfter geholfen, einen Zaun aufzustellen. Und Nägel schlägst du ebenso gut ein wie ich.“

      Um zehn war der Zaun fertig. Er leuchtete richtig im Mondschein. Polly war froh


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