Polly bekommt ein Pferd. Thea Oljelund

Polly bekommt ein Pferd - Thea Oljelund


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um die Stute kümmern. Ich zeige dir, wie man’s macht. Und bald solltest du auch reiten lernen…“

      Polly schlief ein, sobald ihr Kopf das Kissen berührte. Als sie aufwachte, war es mit dem neuen und ungewohnten Gefühl, daß etwas unglaublich Schönes sie erwartete. Es war fast wie in ihrer Kindheit vor dem Weihnachtsabend. Die Sonne schien ins Zimmer, als sie die Rolläden hochzog. Polly blieb eine Weile am Fenster stehen und sah auf die Weide nieder, die sie am vergangenen Abend eingezäunt hatten.

      In diesem Augenblick führte Sven die Stute aus dem Stall und ließ sie auf der Wiese frei. Das frisch gestriegelte Fell der Stute glänzte, sie galoppierte voller Freude über das Gras. Ihre Mähne flatterte, die Stirnlocke bewegte sich im Takt der Galoppsprünge.

      Der Anblick war so schön, daß Polly überwältigt war. Vielleicht würde sie selbst schon bald auf dem Rücken der Stute im Sattel sitzen und wie der Wind über die Felder reiten…

      Nie zuvor hatten sich die Schulstunden für Polly so endlos hingezogen wie an diesem Tag. Sie hatte es eilig heimzukommen und kümmerte sich gar nicht darum, daß Kerstin sich im Bus betont auf einen anderen Platz setzte.

      „Dort mag ich nicht mehr sitzen“, sagte Kerstin laut. „Nicht bei dieser eingebildeten Pute aus Stockholm. Mit der kann man ja nicht reden!“

      Und da Kerstin bei den anderen beliebt war – sie ließ manchmal die eine oder andere Schulfreundin auf ihrem Pferd reiten –, mußte Polly allein sitzen. Doch es machte ihr nichts aus, so sehr freute sie sich aufs Nachhausekommen.

      Sven war von einer längeren Fahrt noch nicht zurückgekehrt, und Aila hatte es nicht geschafft, die Stute auf der Weide einzufangen. Sie kam Polly über den Hofplatz entgegen.

      „Deine Stute war den ganzen Tag draußen. Ich konnte ihr nicht mal das Halfter anlegen. Sie wirft bloß den Kopf zurück und galoppiert davon. Meinst du, daß du mit ihr zurechtkommst?“

      Polly nahm das Halfter und ging auf die Koppel. Die Stute kam auf sie zugetrabt, und Polly spürte, daß sie überhaupt keine Angst hatte.

      „Komm, Stella“, lockte sie. „Komm zu mir!“

      „Stella?“ wiederholte ihre Mutter verwundert. „Soll dein Pferd so heißen?“

      „Das ist mir so herausgerutscht“, sagte Polly. „Ich weiß selbst nicht, warum. Vielleicht, weil ich mir so oft eine Schwester gewünscht habe, die Stella heißt.“

      Die Stute war bei Polly stehengeblieben und fing an, ihre Jackentaschen zu beschnuppern.

      „Sie will wohl Zucker“, meinte Aila. „Aber das ist nicht das richtige für sie. Warte, ich hole eine Karotte aus der Küche.“

      Polly versuchte der Stute das Halfter anzulegen, doch die schüttelte so heftig den Kopf, daß das Halfter zu Boden fiel.

      „Sei doch vernünftig“, bat Polly. „Ich will dir nur das Halfter anlegen… Wir müssen in den Stall zurück, in deine Box, verstehst du das denn nicht?“

      Doch Stella wollte sie nicht verstehen. Sie galoppierte wieder freudig über die Wiese und wieherte. Als Aila mit der Karotte kam und die Stute lockte, überlegte sie es sich jedoch anders; eifrig kam sie angetrabt und begann Ailas Hand zu beschnuppern.

      „So, jetzt kannst du ihr das Halfter anlegen“, meinte Aila. „Mach schnell!“

      Und Polly schaffte es ohne jede Schwierigkeit.

      „Du mußt ihr Wasser, Heu und Hafer geben“, fuhr die Mutter fort. „Für mich ist es jetzt Zeit, das Abendessen zu kochen. Kommst du allein mit ihr zurecht?“

      „Klar!“ sagte Polly.

      Und dann erklärte Aila ihr noch, wieviel Wasser und welche Ration Heu und Hafer die Stute bekommen sollte.

      Als Polly einige Armvoll Heu von der Tenne geholt, die Krippe zur Hälfte mit Hafer gefüllt und Stella getränkt hatte, fiel es ihr schwer, ihr Pferd zu verlassen. So holte sie sich einen Eimer aus der Sattelkammer, drehte ihn um und setzte sich in die Box, um noch etwas mit Stella zu reden.

      Die Stute sah sie mit ihren sanften Augen an; sie fraß zufrieden ihren Hafer und schien nichts gegen ein bißchen Gesellschaft zu haben. Sie war voller Vertrauen. Als Stella alles aufgefressen hatte, hob sie den Kopf, sah aus dem Fenster und wieherte leise, als wollte sie sagen: Sieh doch mal, Polly, wie wunderbar es da draußen ist! Wollen wir nicht noch mal ein bißchen hinausgehen, du und ich?

      Polly stand auf, sie legte die Arme um Stellas Hals und schmiegte ihre Wange an das warme, weiche Fell.

      „Wir werden sicher Freunde“, sagte sie. „Du sollst es gut bei mir haben…, mein Pferd, meine kleine Stella!“

      Am nächsten Tag war Samstag, und Polly hatte schulfrei.

      „Willst du heute nicht versuchen, ein bißchen zu reiten?“ fragte Sven, nachdem er ihr gezeigt hatte, wie man ein Pferd mit langen, gleichmäßigen Strichen striegelt und die Kardätsche reinigt. „Sollen wir Stella satteln? Am besten, du lernst erst mal, auf einem Pferd zu sitzen, das sich langsam im Schrittempo bewegt.“

      Er legte der Stute den Sattel auf, und sie ließ es sich so ruhig gefallen, als hätte er sie vor ein Sulky gespannt, den leichten, zweirädrigen Wagen für Trabrennen. Draußen auf dem Hofplatz hob Sven Polly hoch, nachdem sie vorher Stella ein paar Runden am Zügel geführt hatten.

      Erst als Polly aufrecht im Sattel saß, entdeckten sie und Sven, daß es zum Sattel keine Steigbügel gab.

      „Hm. Dann mußt du eben vorerst mal ohne Steigbügel zurechtkommen“, sagte Sven und reichte ihr die Zügel. „Sieh mal, so hält man die Zügel; der kleine Finger bleibt außerhalb. Nicht so krampfhaft festklammern, Polly!“

      O Gott, das war ja schwindelerregend hoch, auf einem Pferd zu sitzen! Und es war ein seltsames Gefühl, etwas Lebendiges unter sich zu haben, das sich bewegte.

      „Das lerne ich nie!“ sagte Polly unglücklich. „Ich falle bestimmt gleich runter.“

      „Mach mal einen Knoten in die Zügel“, schlug Sven vor. „Dann verheddert Stella sich nicht darin, wenn du sie losläßt. Sonst kann’s passieren, daß sie die Zügel zwischen die Vorderbeine bekommt und sie zerreißt.“

      Polly folgte seinem Rat. Dann hielt sie sich mit der einen Hand am Sattel fest; in der anderen hatte sie die Zügel. Sven schnalzte leicht mit der Zunge, und Stella begann langsam zur Koppel zu gehen.

      „Sie will auf die Weide“, rief Sven. „Wart mal, ich mach das Gatter auf.“

      Polly schüttelte den Kopf. „Muß das sein? Ich möchte viel lieber in den Wald reiten!“

      „Zuerst mußt du schon mal reiten lernen, ehe du Ausflüge machen kannst“, meinte Sven. „Am besten lassen wir sie erst einfach so im Schritt gehen, damit ihr euch aneinander gewöhnt. Keine Angst, ich gehe nebenher. Die Hauptsache ist, daß du das richtige Gefühl für den Rhythmus bekommst und diese komische Kirchturmangst verlierst.“

      Ja, Polly fühlte sich wie auf einer Kirchturmspitze. Es war seltsam und unheimlich, die Welt vom Pferderücken aus zu betrachten. Auf Svens Anweisung drückte sie ihre Fersen leicht in die Flanken der Stute, und Stella ging tatsächlich ganz folgsam durch das offene Gatter. Sven folgte ihnen.

      In gleichmäßigem, gemächlichem Takt ging Stella über die Wiese. Langsam gewöhnte sich Polly daran, auf dem Pferderücken zu sitzen. Sie wurde mutiger und klammerte sich nicht mehr am Sattel fest. Sven fand, daß das Reiten für den ersten Versuch eigentlich ganz gut klappte.

      „Das geht ja prima!“ sagte er. „Siehst du, es ist gar nicht so schwer, wie du geglaubt hast.“

      Nach einer Weile wurde Sven ans Telefon gerufen. Da er das Gatter nicht hinter sich schloß, fand Stella offenbar, es wäre an der Zeit, die langweiligen Runden über die kleine Wiese zu beenden und sich ein bißchen die Gegend anzusehen. Polly hatte durchaus nichts dagegen einzuwenden. Ihrer Meinung nach konnte es nichts schaden, im Schrittempo über den Pfad zwischen


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