Die Königsfälschung. Max Melbo

Die Königsfälschung - Max Melbo


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päpstlicher »Unterhändler« dazu – ein Chorusline-Tänzer auf dem diplomatischen Parkett seiner Zeit –, Pate des französischen Kronprinzen zu werden?

      Am 18. Dezember 1638 stirbt Richelieus »rechte Hand«, Père Joseph. Richelieu will Mazzarino zu Père Josephs Nachfolger haben! Er beantragt beim Papst den Kardinalshut für Mazzarino, der sich gerade in Rom aufhält. Dieser Fakt wird im Fluss der Chronik nicht als völlige Abwegigkeit im politischen Geschehen bemerkt. Mazzarino ist nicht Priester, ist nicht Franzose, lebt nicht permanent in Frankreich und wird als französischer Kardinal vom französischen Regierungschef gegenüber dem Papst »angefordert«, um die verstorbene »rechte Hand« des französischen Staatschefs zu ersetzen!

      Ende 1639 verlässt Mazzarino Rom und trifft erneut in Frankreich ein – am 5. Januar 1640 befindet er sich in Paris und wird umgehend für Frankreich in diplomatischen Aufgaben nach Köln und Turin geschickt.

      Als 1639/40 Urban VIII. immer noch zögert, Mazzarino zum französischen Kardinal zu ernennen, lässt Richelieu Ludwig 13 unfreundlich gegenüber dem Papst werden. Schließlich wird der Kardinalshut für Mazzarino am 16. Dezember 1641 gewährt. – Wofür? Mazzarino ist kein Kurienbeamter in Rom, auch kein Bischof mit einer Diözese. Und trotzdem bekommt der nie geweihte Mazzarino am 26. Februar 1642 vom französischen König während eines öffentlichen Festaktes in der Kirche Saint Apollinaris in Valence im Rhônetal den Tonsur-Kopfschutz – das Kardinals-Birett – aufgesetzt, das ein Bote eigens von Urban VIII. aus Rom überbracht hatte. Für diese ceremonia sanctissima, vorgenommen nur vom Papst, müssen Bischöfe sich eigentlich nach Rom begeben. Ludwig 13 fungiert in einem unvergleichlichen Publikumsbetrug als »Stellvertreter des Papstes«! Zur Aufsetzung des Kardinalshutes auf Mazzarinos uneigentlichen Kardinalskopf ist es nie gekommen in dieser kardinalen Maskerade. Doch die Diözese Valence wurde dem Nichtbischof ohne Residenzpflicht trotzdem verliehen, um dem Staatsführer in spe harte Währung zufließen zu lassen.

      Am 17. April 1642, knappe zwei Monate nach Mazzarinos Erhebung zum »Stroh«-Kardinal von Valence, unternimmt Richelieu einen Staatsstreich von oben, der Mazzarino direkt in seine Regierungsposition hineinkatapultiert: Richelieu verlangt von Louis XIII, alle Kardinäle den Herzögen Frankreichs gleichzustellen, und erzwingt damit für die Kardinäle dieselbe hierarchische Position, die seit etwa tausend Jahren nur die »Prinzen von Geblüt« einnehmen.

      Damit wird Mazzarino schon Anfang 1642 als französischer Kardinalskönig avisiert.

      Es bleiben nur noch einige letzte »Federstriche«: Richelieu stirbt am 4. Dezember 1642, nicht ohne Mazzarino zuvor zu seinem Nachfolger bestimmt zu haben. Berufung Mazzarinos in den Kronrat durch Ludwig 13. Tod Ludwigs des Dreizehnten am 14. Mai 1643. Seine Witwe Anna von Österreich wird absolute Regentin und erhebt Mazzarino zum Staatsführer.

      Zeugnisse über ein offizielles Naturalisationsverfahren Mazzarinos gibt es nicht, so dass davon ausgegangen werden muss, dass er, der sich von nun an »Jules Mazarin« nennt, staatsbürgerrechtlich immer noch Italiener ist.

      So weit das »Märchen« vom Sohn eines gescheiterten sizilianischen Hutmachers, geboren am 14. Juli 1602 in Pescina, Abruzzi, im von Spanien besetzten italienischen Königreich Neapel (Geburtsort umstritten), nunmehr als 40-jähriger Mann Kardinalskönig von Frankreich.

      Nur über eine Randnotiz kann in den eigentlichen Grund dieser feudal unerhörten, unerlaubten und anderswo auch unmöglichen Laufbahn eingestiegen werden.

      Kurz vor dem Tod Ludwigs des Dreizehnten am 14. Mai 1643 wird der viereinhalbjährige Kronprinz, Louis XIV, unter der Anteilnahme vom Hof im Schloss Saint-Germain-en-Laye getauft – noch einmal war eine Demonstration nötig, denn die eigentliche sogenannte Nottaufe des Babys war schon drei Tage nach seinem öffentlichen Erscheinen am 5. September 1638 vorgenommen worden.

      Jetzt, bei dem prunkvollen Festakt am 21. April 1643, wird Kardinal Mazarin der Öffentlichkeit als Pate von Kronprinz Louis, späterem König Ludwig dem Vierzehnten, präsentiert und damit erstmals auf seine enge Beziehung zum Königspaar Anna Ö. und Ludwig 13 hingewiesen. Und doch ist Mazarin im Moment der öffentlichen Taufe immer noch ein Regierungs-Niemand – zwar als Nachfolger Richelieus nominiert, aber in der Position des neuen Regierungschefs noch nicht bestätigt. Mazarin tauft Louis XIV nicht als französischer Alleinmachthaber, der er erst in ein paar Wochen nach dem Tod von Ludwig 13 wird. Denn dann geschieht erst Mazarins eigene »Krönung« – Übernahme der »Krone« durch die Königswitwe Anna und ebenfalls durch sie die Ernennung Mazarins zum De-facto-Regenten.

      Unter dem Versteckspiel »Priester oder Nichtpriester«, »päpstlicher Gesandter oder französischer Regierungspolitiker« konnte bis in die Gegenwart hinein der Louis-XIV-Macher Mazzarino hinter dem Kardinalskönig werdenden Mazarin verschleiert werden.

      Noch die soeben im Text referierte Chronik der Mazzarino’schen Geheimtätigkeit für den Erhalt der französischen Dynastie kann nicht aus sich selbst heraus Mazzarinos wirkliches Tun in den 13 Jahren bis zu seiner Regentschaft über Frankreich erhellen, sondern arbeitet fort und fort an der Verheimlichung mit.

      Die Häufungen von Mazzarinos nebenamtlichen Distanzpositionen, die er im Jahrzehnt zwischen 1630 und 1640 übertragen bekam, wecken gegen einen politisch talentierten Mann vom Kaliber Mazzarinos den Verdacht, dass sich hinter den heruntergespielten Harmlos-Ämtern etwas anderes verbirgt, der Anmarsch von jemand kardinalspolitisch Potentem auf eine Machtposition außerhalb der Kurienkörperschaft Roms.

      Das Hin und Her Mazzarinos zwischen Papst und Frankreichs Regierungschef wäre demnach ein Spiegelgefecht, um die Zeitgenossen zu foppen, sie davon abzulenken, was Sache ist und Sache werden soll. – Papst und Frankreich waren im Zentrum des Interesses von Europa, das mit allem, was beim Anlauf Mazzarinos auf die Position des französischen Regierungschefs geschah, nicht informiert werden sollte.

      Keine der Mazzarino offiziell übertragenen Positionen war allzu festgelegt päpstlich und italienisch, so dass er jederzeit gut und schnell aus der Untergeordnetheit beim Papst in die oberste Ordnung des fremden Staates überwechseln konnte. Nichts an Mazzarino war – ihn fixierend – laufbahnmäßig definiert worden, alles immer nur nebenamtlich, inoffiziell, außer-(un)ordentlich, Honorar-halber. – Mit dieser Unterbesetzung schob man den überbegabten Politiker geradewegs auf das französische Regierungsspitzenamt zu. Jede profilierte Position eines italienischen Bischofs, italienischen Kardinals oder päpstlichen Nuntius hätte den Wechsel an die Regierungsspitze im fremden Land von beiden Seiten aus unmöglich gemacht.

      Die ein Jahrzehnt währenden Nebenbei-Tätigkeiten des in Wirklichkeit intensivst professionell Zentral-Tätigen bei gleichzeitigem Dauerpendeln zwischen Italien und Frankreich, dem drahtzieherischen Ursprungs- und dem absichtsvollen Bestimmungsland, indizieren die verwegensten Absichten, die Papst Urban VIII. und der französische Königskardinal Richelieu mit diesem Mann hatten.

      Mauschel-enthüllende Wirkung hat die Beleuchtung von zwei Begleiterscheinungen des Mazzarino’schen Anmarsches auf die französische Regierungsspitze:

      1. Mazzarino hinterließ bei seinem Tod ein Privatvermögen von 20 Millionen Livres. Die Selbstbereicherung eines Günstlings – kein Sonderfall, hier nur die Höhe des gehorteten Eigentums. Zum Vergleich: Henri IV starb nach der Sanierung des von seinen Vorläufern zerrütteten Staatshaushaltes mit einem Plus von zwölf Millionen Livres. Fast doppelt so viel floss in die Privattaschen des fünften Henri-IV-Nachfolge-Regierungschefs (Concini, Luynes, Nicolas Sillery und Richelieu waren Mazarin vorausgegangen).

      Auch Mazarins »gemachtes« Privatvermögen in Höhe von zwei sanierten Staatshaushalten – Richelieu hinterließ nur eineinhalb Millionen Livres! – wäre jedoch für sich allein noch nicht auffällig. Überraschend ist vielmehr das frühe Zufließen von Staats- und Landesgeldern in die Hände Mazzarinos – zu einer Zeit, da er noch keine sichtbare politische »Größenordnung« ist.

      Die Zuwendungen an ihn beginnen genau zehn Jahre vor Mazarins Antritt der Regentschaft über Frankreich. – Nachdem Mazzarino im März 1633 die Soutane angelegt hat, macht ihn Urban VIII. zum »Referenten«, dem nichtssagenden Titel eines »Mächtigen für alles«. Für diese wenig aussagende Tätigkeit erhält


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