Die Königsfälschung. Max Melbo

Die Königsfälschung - Max Melbo


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sie Mazzarino ein mondänes Leben in den Salons von Rom ermöglichen. Er ist zu diesem Zeitpunkt 30/31 Jahre alt.

      Ab dem 3. März 1634 beginnen dann die aufgeschlüsselten finanziellen Zuwendungen, nunmehr aus französischen staatlich-kirchlichen Quellen belegt, zuerst aus der Abtei von Saint-Avold in Lothringen. Es ist das Jahr, in dem der französische Regierungschef, Kardinal Richelieu, den beiden rätselhaften Italienern »zur besonderen Verwendung«, Mazzarino und Campanella, einen glänzenden Empfang in Paris bereiten lässt.

      1637 erhält Mazzarino die Einkünfte aus der Abtei Saint-Médard in Soissons, östlich von Compiègne. Angeblich ist Mazzarino zu dieser Zeit in Rom. (Bis zur Publikation der vollständigen Mazarin-Notizen können auch die Reisen Mazzarinos nicht genau verifiziert werden.)

      Wiederum angeblich verlässt Mazzarino Rom Ende 1639 für immer, kauft sich dort aber am 23. März 1641 den Palast des Kardinals Guido Bentivoglio – von den Einkünften seiner Diplomatenposten nicht bezahlbar!

      Auch wenn es möglich ist, dass Mazzarino den Kaufvertrag nicht persönlich unterzeichnet hat, fällt doch eine Doppelstrategie auf: in Richtung französischer Regierungschef streben, sich aber gleichzeitig schon in Rom das Gebäude eines regierenden (Kirchen-) Fürsten zulegen.

      Am Ende seiner französischen Regierungszeit erhält Mazarin Einkünfte aus über 60 Positionen, Titeln und verbrieften Berechtigungen, die zur Multimillionenhöhe seiner Hinterlassenschaften gemacht werden konnten.

      Die Unermesslich-Bereicherung Mazarins ist noch immer nicht »Beleg« genug, dass sich dahinter etwas anderes als nur das übliche tausendfache Eigene-Taschen-Füllen der europäischen politisch-wirtschaftlichen Machthaber verbirgt – praktiziert bis zum heutigen Tag. – Bei Mazarin fällt höchstens auf, dass nicht er sich bereichert hat, sondern dass ihm geldbringende Positionen und Ämter vom fremden Land regel(un)recht »nachgeworfen« wurden – und das geschieht schon zu einer Zeit, da er noch nicht die Macht hatte, sich selbst zu bereichern.

      2. Ganz aus dem Usus der Aristokratisierung im feudalen Zeitalter rutscht die Behandlung der Familie Mazarins durch den französischen Staat.

      Die Herkunft Mazzarinos väterlicherseits ist bürgerlich-bäuerlich, mütterlicherseits kleinadlig. Vater Pietro Mazzarino hatte sich nach seinem Scheitern als sizilianischer Hutmacher nach Rom in die Dienste des – für die spanischen Okkupanten tätigen – Artillerie-Offiziers Filippo Colonna begeben, über dessen Vermittlung er Ortensia Bufalini begegnete, einer Colonna-Haus-Zugehörigen, die Pietro heiratete.

      Giulio ist das älteste Kind von Pietro und Ortensia, sein jüngerer Bruder Michele wird klipp und klar Priester (später echter französischer Bischof und Kardinal). Von Giulios vier jüngeren Schwestern wird die älteste Äbtissin, die drei jüngeren heiraten, die dritte Schwester bleibt kinderlos, die zweite und die vierte bekommen insgesamt elf Kinder, vor allem sieben Töchter, auf die es der französische Staat unter Mazarin alsbald abgesehen haben wird: Die zwei Nichten Martinozzi und die fünf Nichten Mancini lässt Mazarin 1653 – nach seiner Rückkehr in die Position des Regierungschefs – zu sich kommen und in enger Beziehung mit dem jungen König Louis XIV heranziehen! – Der inzwischen 15/16-jährige Louis verliebt sich in Marie Mancini so »schwer«, dass er sie heiraten will. Mit Olympia Mancini soll er sogar ein Kind gezeugt haben, den späteren Prinz Eugen, untergeschoben dem Herzog von Savoyen!

      Sämtliche sieben Nichten Mazarins werden mit dem europäischen Hoch- und Herrschaftsadel verheiratet. Mazarin selbst stirbt als Herzog von Nevers, welchen Titel er seinem Neffen, Philippe Jules Mancini, vererbt.

      Aristokratisierungen von Personen und Familien waren seit Jahrhunderten das Recht der Landesfürsten. Beim Umgang mit Mazarins Familie geschieht etwas anderes. Über Sex- und Sach-Meriten von Bürgerinnen und Bürgern hinaus wird ein ganzer Clan nicht nur in Adelspositionen gehoben, sondern auch umgehend mit den europäischen adligen Herrschenden verbandelt. Die beiden Schwäger Mazarins, die Herren Mancini und Martinozzi, werden eilig baronettiert und vergräflicht, damit ihre Töchter, Mazarins Nichten, schon als »Geborene« in den Hochadel einheiraten können.

      Hinter der biografisch-biologischen Europa-Verflechtung der Nichten des französischen Kardinalskönigs – in Verbindung mit der emotional-sexuellen Verquickung der Nichten mit dem französischen König, Ludwig 14, selbst – verbarg sich ein zur Methode erhobenes staatspolitisches Interesse: Die Verheiratungen und Liaisons waren Abdichtungsmaßnahmen gegen die Inkontinenz des Faktes des am Hof von Paris in der Position des Königs aufwachsenden, in natura unadeligen »Kardinalslümmels«. Je adliger dessen Pate und Beschaffer Mazarin war – er hatte sich das Herzogtum Nevers gekauft! –, je hoch- und Herrschafts-aristokratischer seine Familie mit den legitimen Machthabern Europas vernetzt wurde, desto weniger kam es darauf an, woher der »Hergeholte« eigentlich selbst »stammte«. Der Beschaffer und die Seinen waren nun von höchstem Stande, wie sie europaweit demonstrierten. Das sollte auf den Beschafften abfärben, als sei er ein Stück von ihnen.

      Mazarin hat in »weiser Voraussicht« gehandelt. Neben ihm gab es bis zu einem Dutzend Mitwissende von der »Operation Kronprinz«. Mazarin musste davon ausgehen, dass zumindest in der nächsten Generation die Geheimhaltung undicht werden könnte. Wenn selbst der Hochadel Frankreichs und Europas mit der Familie des Beschaffers verheiratet war, konnte sich niemand Machtpotentes mehr gegen den »Emporkömmling« verhalten. Auch die blaublütigen »Hohen« waren nun mit ihrer siebenfachen »Runterheiratung« in die Familie des gebürtigen Sizilianers ein Stück von ihm.

      Die französischen, deutschen und englischsprachigen Lexika, Enzyklopädien und sogar die Spezial-Biografien können sich nicht entscheiden, den jungen Mazzarino eindeutig beim Namen zu nennen. Sie stellen ihn mit zwei verschiedenen Namen vor: »Mazarino oder Mazarini«.

      Die italienischen, spanischen und portugiesischen Standardwerke tun das nicht. Mazzarinos Geburtsname wird immer mit einem »o« am Ende geschrieben und in der überwiegenden Mehrzahl mit zwei »z«, entsprechend der sizilianischen Stadt Mazzarino, woher der Name kommt.

      Giulio Raimondo Mazzarino ist in Süditalien geboren, in Rom zur Schule gegangen, hat in Italien studiert und gearbeitet, einen zweijährigen Aufenthalt in Spanien (Madrid) absolviert und an der spanischen Universität von Alcalá Jura studiert.

      Unter seinem Namen »Mazzarino« ist Mazarin mehr als 30 Jahre »gelaufen«, in denen er noch nicht als französischer Staatspräsident, der er zwischen 40 und 58 war, Retuschen an seinem Namen und mit seiner Biografie vorgenommen hat, um »fast« französisch und »ganz« aristokratisch und dadurch vor der französischen Öffentlichkeit berechtigt zu erscheinen, als Consortiums-»König« mit Königin Anna von Österreich und als Interims-Regent für den unmündigen Ludwig den Vierzehnten zu fungieren.

      Der Name »Mazzarini« taucht in Mazzarinos Taufurkunde auf, in der alle Namen der Beteiligten latinisiert wurden. Der Täufling Giulio Raimondo heißt »Julius Raimundus«, der Vater Pietro »Petrus aus Palermo (Sizilien)«, die Mutter Ortensia »Hortensia« und die Familie Mazzarino »Mazzarini« (74, S. 6).

      Dieses einmalige Ereignis der »Umbenennung« nur über einen einzigen Buchstaben »verwirrt« nicht den Originalnamen Mazzarino. Es war in der Zeit Mode, Namen für bestimmte, begrenzte Zwecke zu latinisieren: Cornelius Jansen publizierte unter »Jansenius«, René Descartes unter »Cartesius«.

      Auch in Briefen noch Ende 1629, Anfang 1630 wird der Unterhändler im Mantuanischen Erbfolgestreit so genannt, wie er von Geburt an hieß und sich vor seiner französischen Spitzenposition präsentierte: »(Signor) Mazzarino« (74, S. 29).

      Das Papsttum in Not

      Wie kommen die römischen Spitzenpolitiker des Kirchenstaates Vatikan dazu, sich auf so eine heikle Angelegenheit einzulassen und durch einen der Ihren, eingeschleust in die französische Regierungsapparatur, den französischen Thronfolger zu organisieren?

      Ihre Aktion war die Ultima Ratio, das System des Papsttums zu retten. Das Papsttum, ein Parasit auf Gläubigen und Kirche, war seit einem halben Jahr-tausend in die Krise geraten. Auseinandersetzungen zwischen Kaisern/Königen (der Erb-Aristokratie)


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