Athanor 3: Die letzte Bastion. David Falk
die schroffen Hänge. Ein perfektes Versteck. Obwohl es in den Spalten des Gesteins mit Sicherheit Schießscharten gab, war von Weitem nichts zu erkennen. Als sie näher kamen, entdeckte er am Fuß des Bergs ein geschlossenes Tor. Es würde Akkamas’ Drachenfeuer nicht lange standhalten, aber bis es so weit war, boten sie Geschützen ein zu gutes Ziel. »Wie kommen wir rein?«
»Von oben«, antwortete Akkamas und schwang sich höher hinauf, bis sie über dem Gipfel kreisten.
Unter ihnen gähnte der Krater des alten Vulkans. Athanor neigte sich vor, um bis zum Grund zu spähen. Die steilen Wände reichten mehrere Stockwerke tief hinab. Mit ihren Fenstern und von Säulen gestützten Galerien ähnelten sie eher dem Innenhof eines düsteren Palasts denn einer Festung. Nichts rührte sich, doch in den Schatten der Gänge konnte sich eine halbe Armee verbergen.
Athanor rückte Bogen und Köcher auf seinem Rücken zurecht, stülpte sich den dionischen Helm aus Nemeras Rüstkammer über und löste Schild und Speer von dem Hornstachel, an den er sie geknotet hatte. Den Arm durch die Lederschlaufen des Schilds zu schieben und den Speer zu umfassen, war ihm in den Jahren des Kriegs so in Fleisch und Blut übergangen, dass es sich anfühlte wie nach Hause zu kommen. Sobald er die Finger um die Waffen schloss, war er bereit, Leben zu nehmen und das eigene für den Sieg zu geben. »Räuchern wir die Schweine aus!« Es wurde Zeit, dass diese Untotenplage ein Ende fand.
Getragen von seiner Magie und kräftigen Flügelschlägen sank Akkamas in den Krater hinab. Im Vorüberschweben ließ Athanor den Blick über die leeren Galerien und dunklen Nischen schweifen. Die Festung blieb gespenstisch still.
»Achtung!« Athanor riss den Schild höher. Auf einem der Wandelgänge lösten sich Gestalten aus den Schatten und traten lautlos ans steinerne Geländer. Sie bewegten sich langsam, hoben keine Waffen. Von Tod und Verwesung entstellte Gesichter blickten Athanor mit leeren Augenhöhlen an. Einigen hing das faulende Fleisch noch in Fetzen von den Knochen. Schwarze Roben … Hatte er etwa untote Nekromanten vor sich? Athanor wagte nicht, sie aus dem Auge zu lassen, während Akkamas ohne Hast weitersank. Einträchtig standen sie neben ihren Opfern, geraubten Leichen aus den Grabkammern Dions, von der Wüstenluft ausgedörrt. Was ging in diesen Untoten vor?
Sobald Akkamas’ Klauen den Boden berührten, sprang Athanor ab und brachte den Drachen zwischen sich und den Feind. Noch immer sahen die Wiedergänger stumm zu ihm herab. Warum griffen sie nicht an? Und weshalb nur diese eine Galerie?
»Willst du sie verbrennen, bevor sie sich’s anders überlegen?«, fragte er, ohne den Blick von ihnen zu nehmen.
»Nein«, erwiderte der Drache und schrumpfte so rasch, dass seine Umrisse verschwammen. Oder lag es an der Magie der Verwandlung? Im nächsten Moment stand Akkamas in menschlicher Gestalt auf dem plötzlich weit und leer wirkenden Hof. »Sie sind nebeneinander aufgereiht«, erklärte der in dionische Gewänder gehüllte Krieger und gürtete das darüber getragene Kettenhemd mit dem Schwertgurt, den er auf seinem Rücken mitgebracht hatte. »Ich müsste mehrere Flammenstöße verschwenden.«
Athanor brummte zustimmend, obwohl ihm die Antwort nicht schmeckte. Seit sie gemeinsam hinter den letzten Nekromanten herjagten, um ihnen das Handwerk zu legen, wusste er, dass auch die Kräfte des Drachen ihre Grenzen hatten. Wachsam musterte er Türen und Galerien, bis sein Freund Speer und Schild in den Händen hielt. »Gehen wir rein und machen dem Spuk ein Ende.« Entschlossen schritt er zur nächsten Tür und trat dagegen, dass sie halb barst, halb aufflog. Dahinter war es dunkel. Athanor hielt den Speer bereit zum Stoß und stieg über die Schwelle. Er erwartete, dass sich ein hungriger Basilisk auf ihn stürzte, doch nur seine eigenen Schritte hallten in dem hohen Gang.
»Ziemlich finster«, befand Akkamas, der nun ebenfalls eine Klappe vor einem Auge trug. Neben ihnen gleißte eine erloschene Fackel in magischem weißem Feuer auf. Athanor wechselte den Speer in die Schildhand und nahm sie von der Wand. Gegen Untote waren Flammen ohnehin die bessere Waffe. Aber gegen ihre lebenden Herren?
Rücken an Rücken drangen sie in die Festung vor und stießen oder traten die Türen entlang des Gangs auf – jeder auf seiner Seite. Da sich nichts regte, rückten sie weiter vor, bis sich der Flur in zwei Richtungen verzweigte. Noch hatten sie weder eine lebende noch eine tote Seele zu Gesicht bekommen.
»Irgendetwas geht hier vor«, argwöhnte Akkamas. »Sie wissen doch längst, dass wir hier sind.«
»Vielleicht haben sie sich auf dem Stockwerk dieser einen Galerie verschanzt.«
Akkamas nickte. »Sehen wir dort nach.«
Sein Freund sprach es nicht aus, doch Athanor war sicher, dass Akkamas ebenso mit einer Falle rechnete wie er. Spontan entschieden sie sich für eine Seite und folgten dem Gang auf der Suche nach einer Treppe. Sie ignorierten nun die Türen und kamen viel schneller voran. Immer wieder leuchtete Athanor mit der Fackel über die Wände oder zum Boden hinab. In einem der Ordenshäuser war Akkamas in eine verborgene Schlangengrube gestürzt, weil die vermeintliche Steinplatte darüber nur Illusion gewesen war. Glücklicherweise konnte Schlangengift Drachen nichts anhaben, doch nur die verfluchten Nekromanten wussten, welche Tücken diese Burg für ungebetene Gäste bereithielt. Sei’s drum! Wenn er anfing, vor jedem Schritt den Boden abzuklopfen, verbrachten sie einen ganzen Mond hier.
Endlich stießen sie auf Treppen, von denen eine nach oben und die andere tiefer in den Berg hinabführte. Ohne Zögern eilten sie die Stufen empor, bis Akkamas unvermittelt stehen blieb. »Hörst du das?«
Athanor hielt inne und lauschte. Im ersten Moment war da nur das Knistern der Fackel, doch dann nahm er ein leises Schaben und Knirschen wahr. Es war ein anhaltendes, aber fast unmerklich an- und abschwellendes Geräusch wie das ferne Rauschen eines Wildbachs – und es weckte Erinnerungen. Athanor sah das Heer der Untoten wieder vor sich, eine Armee aus morscher Haut und Knochen, die aus den Ruinen Theroias stieg. »Wiedergänger.«
Akkamas nickte. »Und nicht wenige.«
Das Geräusch kam von unten. »Sie folgen uns.« Athanor lief weiter. Er brauchte eine neue Fackel, bevor die Untoten sie einholten. Auf dem nächsten Treppenabsatz steckte ein weiterer Fackelrest in einer Halterung an der Wand. Warum fanden sie nur erloschene Stümpfe? Waren längst alle Nekromanten aus der Festung geflohen? Doch wenn es keine Herren mehr gab, die sie beschworen und versklavten, weshalb sollten die Toten dann noch umgehen?
Athanor entzündete seinen Fund an der heruntergebrannten Fackel, die ihm bereits die Hand ansengte. Das Knirschen aus der Tiefe kam näher.
»Sie werden uns den Weg abschneiden«, prophezeite Akkamas. »Dann stecken wir zwischen zwei Gegnern fest.«
»Das tun wir bereits.«
»Stellen wir sie, solange wir den Rücken frei haben«, beschloss Akkamas und wandte sich den Stufen nach unten zu, um den Gegner gebührend zu empfangen.
»Wenn sie uns hier in die Zange nehmen, dringen wir nie zu ihren Herren vor«, hielt Athanor dagegen. »Wir müssen das Übel an der Wurzel ausreißen, sonst nimmt dieser Kampf kein Ende.« Ohne Akkamas’ Antwort abzuwarten, eilte er die nächste Treppe hinauf. Rasche Schritte hinter ihm verrieten, dass ihm sein Freund folgte. Athanor stürmte weiter, bis er glaubte, auf Höhe des Säulengangs mit den Untoten zu sein. Doch nach etlichen Abzweigen und Windungen hatte er die Orientierung verloren. »Wo zum Dunklen müssen wir hin?«
Auch Akkamas sah sich unschlüssig um. Die schmucklos aus dem dunklen Gestein gehauenen Wände boten keinen Anhaltspunkt. Von der Treppe aus führten Gänge in drei Richtungen, und so weit der Fackelschein reichte, sahen alle gleich aus. Leise hallten die schlurfenden Schritte zahlloser Wiedergänger herauf. »Nehmen wir einfach an, wir hätten den Krater vor uns, und probieren es aus.«
Athanor knurrte nur und eilte nach links. Wieder kamen sie an mehreren schlichten Holztüren vorbei, aber unter keiner schimmerte Licht hindurch. Sie mussten sich zu weit im Berg befinden, als dass die Räume Fenster zum Hof haben konnten. Allmählich krümmte sich der Gang. Jäh spürte Athanor einen stechenden Schmerz in der Hand und warf die Fackel fort. Der nur noch handbreite Stummel brannte am Boden weiter, während Athanor Ersatz von der Wand nahm.
»Halt