Athanor 3: Die letzte Bastion. David Falk
Blick nach unten. Seine Hose brannte knapp über dem Knie. Fluchend schlug er mit der Faust die Flammen aus und riss den Schild empor. Wieder ging der Hammer darauf nieder. Athanor richtete sich auf und stach die Fackel dabei blindlings nach dem Gegner zur Rechten, der rückwärts stolperte und in die brennende Barrikade fiel. Dahinter wartete die Tür zum Versteck der Nekromanten.
Das Ziel so nah zu wissen, verlieh Athanor neue Kraft. Dieses Mal warf er sich dem Hieb des Hammerschwingers entgegen. Rumpelnd glitt die Waffe am Schild ab, während Athanor den morschen Leib ihres Besitzers rammte und in Brand steckte. Hustend wich er zurück und sah sich rasch um. Rauch und Hitze machten das Atmen zur Qual. Um ihn herum standen sämtliche Untoten in Flammen, warfen sich verzweifelt zu Boden oder rasten als lebende Fackeln ins Gewirr miteinander kämpfender Wiedergänger, die den Gang füllten, so weit der Feuerschein reichte – und vermutlich darüber hinaus.
Akkamas hatte seinen Speer eingebüßt, und seine Gewänder waren mit Brandlöchern übersät, doch er schien unverletzt. Gerade packte er einen der Untoten bei der schwarzen Robe, warf ihn auf die Flammenbarriere und benutzte ihn als Trittstein, um durch den Feuerwall zu springen.
Auge zu und durch! Athanor folgte dem Freund. Hitze brandete an ihm empor, dann fand er sich bereits hinter der Barrikade wieder. Nur ein etwa zwei Schritte schmaler Streifen blanker Boden trennte die Flammen von der mit Gold beschlagenen Tür. Kein Wächter erwartete sie. Athanor ließ den Blick über das wurmstichige alte Holz schweifen. Kein Schloss, kein Griff. Während sein Freund das Schwert zog, lehnte er sich mit der Schulter an einen Türflügel und drückte dagegen. Nichts. Akkamas kam ihm zu Hilfe, doch das Holz hätte ebenso gut eine Felswand sein können.
»Entweder haben sie von innen einen schweren Riegel vorgelegt«, keuchte Athanor, »oder …«
»Magie?« Akkamas sah an den goldenen Ornamenten empor. »Möglich. Von solchen Zaubern verstehe ich nichts.«
Einen Drachen hätte die Tür nicht aufgehalten, doch auch Athanor konnte sehen, dass es für eine Verwandlung zu eng war.
»Bleibt wohl nur, sie mit magischem Feuer zu verbrennen«, meinte Akkamas.
»Warte!« Athanor klemmte sich die Fackel zwischen die Zähne und zog das abgebrochene Schwert aus dem Gürtel, dessen halbe Klinge noch im Kadaver des Drachen Rakkathor steckte. Zum Kämpfen taugte es nicht mehr viel, doch der Zwergenschmied Wailan hatte es aus drakonis gefertigt. Bevor Akkamas dafür sorgte, dass sie verbrannten oder erstickten, war die kostbare Legierung einen Versuch wert. Entschlossen schob Athanor die Klinge in den Spalt zwischen den Türflügeln. Das Tor flog auf, als hätte ein Riese dagegen getreten. Noch während die Türflügel gegen die Wände krachten, sprang Akkamas mit erhobenem Schild und Schwert über die Schwelle. Rasch schob Athanor die abgebrochene Klinge hinter den Gürtel und folgte ihm.
Der Lärm hallte in einem düsteren Saal wider, dessen Decke sich in Dunkelheit verlor. Die hohen Säulen und fensterlosen Wände erinnerten Athanor an die Hallen der Zwerge, zu denen ihm der Zutritt nun für immer verwehrt war. Einst mochte es der Thronsaal eines Königs gewesen sein, doch die stolzen Banner jener Tage waren lange verblasst. Im matten Schein einiger Öllampen konnte er sie nur erahnen, bevor sein Blick an den Gestalten in der Mitte der Halle hängen blieb. Schwarze Roben wiesen sie als Nekromanten aus. Dem Latrinengestank nach zu urteilen, verschanzten sie sich hier schon seit Tagen.
Endlich. Athanor ließ die Fackel fallen und zog sein neues Schwert.
»Seid ihr von Sinnen?«, rief ihnen ein alter Magier entgegen. »Schließt die Tür! Sie werden uns alle umbringen!«
Athanor schnaubte. »Wer sagt, dass wir ihnen den Vortritt lassen?«
Langsam näherten sie sich den Zauberern, die sich enger zusammenscharten.
»Angst vor den eigenen Dienern?«, höhnte Akkamas. »Wie demütigend. Gut, dass euer Großmeister das nicht mehr erleben muss.«
Athanor sah, wie den Kerlen der Schreck in die Glieder fuhr.
»Sethon ist tot?«, staunte der Alte.
»Die Hand der Regentin hat den Mörder gerichtet«, bestätigte Akkamas.
Athanor warf ihm einen raschen Blick zu. Sethon hatte nicht nur Nemeras Vater, sondern auch Akkamas’ getötet, doch sein Freund ließ sich nichts anmerken.
»Sethons Fehde war seine Angelegenheit«, meldete sich ein anderer Magier zu Wort. »Wir hatten nichts damit zu tun.«
Na sicher, du Unschuldslamm.
»Bitte, Ihr Herren«, flehte ein Novize, der fast noch als Junge durchging, »wir haben Euch nichts getan. Im Namen der gütigen Urmutter, helft uns!«
»Nichts getan?«, herrschte Athanor ihn an. »Ihr verwandelt Lebende mit eurem Gift in verwesende Ungeheuer! Ihr habt ganze Dörfer ausgerottet, um an neue Leichen zu gelangen! Und du wagst es, dich auf die Gnade der Urmutter zu berufen?«
Der junge Mann fiel auf die Knie. »Das war alles ein Fehler. Ich sehe das jetzt ein. Verschont uns, Herr! Ich flehe Euch an!«
Athanor verzog angewidert das Gesicht. »Es ist immer leicht zu bereuen, wenn sich das Blatt gewendet hat.« Auch er hatte sich an seinem Volk vergangen und es erst eingesehen, als es zu spät gewesen war. Doch er hatte den Preis dafür bezahlt. Zahlte ihn noch immer.
Hinter ihm drang weniger Licht in die Halle. Die brennende Barrikade fiel allmählich in sich zusammen. Bald würde das Heer der Untoten in den Saal strömen. »Gibt es noch einen anderen Ausgang?«
Hoffnungsvoll sah der junge Magier zu ihm auf. »Nur noch eine Tür, dort hinten.« Er deutete in die Dunkelheit jenseits des Throns.
»Die Tür zur Galerie«, schätzte Akkamas.
»Aber dort sind sie auch«, warnte der Alte. »Nur der magische Riegel hält sie auf.«
Athanor zuckte mit den Schultern. »Uns wollen sie nicht. Wartet hier!« Ohne die Nekromanten aus den Augen zu lassen, zog er sich in die angegebene Richtung zurück.
»Was hast du vor?«, zischte Akkamas an seiner Seite.
»Nicht das, was du denkst«, raunte Athanor. Erst als sie das Ende der Halle fast erreicht hatten, entdeckte er im Zwielicht die kleine Tür – und die dunkle Gestalt, die sich aus den Schatten einer Nische löste. Der Nekromant hatte die Kapuze seiner schwarzen Robe übergezogen, sodass er mit der Dunkelheit förmlich verschmolz.
»Aufmachen!«, fuhr Athanor ihn an.
Trotzig straffte sich der hagere Kerl und funkelte ihn aus den Tiefen der Kapuze an. »Werdet Ihr uns helfen?«
Athanor lächelte verächtlich. Er würde nicht lügen, nur um einen elenden Leichenschänder zu überlisten. »Nein.«
»Dann werde ich Euch ein Andenken mitgeben.« Der Magier wirbelte so schnell zur Seite, dass sein Umriss verschwamm. Plötzlich standen fünf identische Gestalten vor Athanor, und jede zielte mit einem kleinen Blasebalg auf ihn. Hastig wich er zurück. Welcher war der echte Dreckskerl? Wie ein Mann stürmten sie auf ihn zu. Athanor sprang zur Seite, hob den Schild und schwang die Klinge nach dem Kerl ganz rechts. Der Stahl fuhr durch leere Luft, doch die vier anderen rückten nach. Akkamas’ Schwert sauste auf eine der Kapuzen nieder und traf – nichts. Alle fünf Gegner wandten sich ihm zu, griffen mit vorgereckter Giftspritze an. Athanor riss seinen Schild über den Kopf, ging dabei in die Knie und führte die Klinge knapp über den Boden. Wie eine Sense fuhr sie durch die Beine dreier Gestalten. Bei der Letzten traf sie auf Widerstand, schnitt durch Stoff, Haut und Sehnen und glitt am Knochen ab. Mit einem Aufschrei ging der Nekromant zu Boden. Blut schoss hervor. Seine Abbilder verschwanden, als hätte es sie nie gegeben.
Noch während der Magier fiel, sprang Athanor auf und stolperte rückwärts – fort von den Spritzern, die aus dem Blasebalg sprühten. Auch Akkamas warf sich zur Seite, rollte sich ab und kam elegant wieder auf die Füße. Rasch sah sich Athanor nach den anderen Nekromanten um, doch die feigen Hunde starrten nur stumm herüber – viele wütend, der Junge entsetzt. Hatte er wirklich geglaubt, dass Athanor