Breathe Again. Katie Weber

Breathe Again - Katie Weber


Скачать книгу

      »Was ist los?«, fragte ich nervös und schluckte schwer. Ging es um meine Mom? War sie etwa schon wieder im Krankenhaus? In letzter Zeit hatte sie immer wieder Probleme mit dem Magen. Vielleicht hatten die Ärzte endlich rausgefunden, was es war.

      Beth seufzte tief und rang sichtlich nach Worten. »Als du auf der Bühne warst, habe ich einen Anruf für dich entgegengenommen.«

      Mein Kiefer spannte sich automatisch an und ich ballte die Hände zu Fäusten. »Was für einen Anruf?« Es hätte schließlich alles und jeder sein können, doch so, wie mich meine Managerin und Freundin ansah, wusste ich: Die Nachricht, die sie am Telefon erhalten hatte, war alles andere als gut.

      »Es geht um deinen besten Freund. Er …« Ben.

      Ich erstarrte. Beth musste nicht weiterreden, denn ich wusste längst, was sie sagen wollte. »Wann?«, fragte ich nur, mehr wollte ich in diesem Augenblick nicht wissen. Mehr könnte ich nicht ertragen. Nicht jetzt.

      »Heute Morgen schon. Seine Schwester hat sich geweigert, dich anzurufen, also hat mich die Klinik vorhin selbst kontaktiert.« Beth schien mit der Situation ebenso überfordert wie ich, daher trat sie von einem Fuß auf den anderen, unschlüssig, ob sie mich zum Trost umarmen sollte oder nicht.

      »Danke«, sagte ich leise und bat sie damit wortlos, mich allein zu lassen.

      Verstehend nickte die Blondine mitfühlend, tätschelte mir ein letztes Mal die Schulter und verschwand dann aus der Garderobe, die plötzlich viel zu schmal und winzig schien, als dass ich hier frei atmen könnte.

      Eigentlich hatte ich gewusst, es würde eines Tages so kommen. Es war keine große Überraschung. Zwei ganze Jahre hatte ich Zeit gehabt, mich darauf vorzubereiten, dass es geschehen würde. Und doch fühlte ich mich in diesem Moment alles andere als erleichtert. Dabei sollte ich es sein. Ben hatte schrecklich gelitten, hatte schon lange kein normales Leben mehr führen können und fürchterliche Schmerzen aushalten müssen. Krebs war erbarmungslos. Und jetzt hatte er mir meinen besten Freund für immer genommen.

      Benommen ließ ich mich zurück auf die Couch fallen und schloss meine Augen. Mein Kopf schien leer gefegt und gleichzeitig so voll wie schon lange nicht mehr. Ich wusste überhaupt nicht mehr, was ich denken sollte. Ben war fort. Ben, der mein Leben lang wie ein Bruder für mich gewesen war. Ich hatte ihn endgültig an den Krebs verloren und nichts und niemand konnte das alles ungeschehen machen. Niemand konnte ihn mir wieder zurückbringen.

      Unweigerlich durchkreuzten apfelgrüne Augen meine Gedanken, Augen, die mich seit vielen Jahren wie ein Geist überallhin verfolgten, die mich wie ein verdammter Fluch heimsuchten.

      Annabelle. Bens kleine Schwester, sie war nun vollkommen allein. Nach ihren Eltern, die vor über sieben Jahren gegangen waren, hatte sie jetzt auch noch ihr großer und einziger Bruder verlassen. Ich hatte keine Ahnung, wie man so etwas überstand. Doch ich war sicher, sie war stark genug dafür. Das war sie schon immer, auch wenn es ihr nicht bewusst schien. Trotzdem kribbelte es in meinen Fingern, als ich daran dachte, wie es ihr in diesem Moment gehen musste.

      Nervös griff ich zu meinem Handy und suchte in den Kontakten nach ihrer Nummer, von der ich nicht einmal wusste, ob es ihre aktuelle war. Ich hatte sie vor zwei Jahren von Ben erhalten, kurz nachdem wir erfahren hatten, dass er krank war. Für alle Fälle, hatte er noch zu mir gesagt, als er mir Annies Nummer ins Handy tippte. Dabei wusste er genau, dass ich seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner kleinen Schwester hatte. Aus gutem Grund. Doch diesen wussten weder Ben noch Annabelle selbst.

      Dennoch wollte ich in diesem Augenblick dem Drang nachgeben, sie einfach anzurufen. Nur um einmal kurz ihre Stimme zu hören und mich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Obwohl Beth sagte, dass es ausgerechnet Annie gewesen war, die sich nach Bens Tod geweigert hatte, mir Bescheid zu geben, war ich ihr deswegen nicht böse. Wie könnte ich? Sie war nach wie vor wütend auf mich und ich konnte es verstehen. Schließlich hatte ich ihr bis heute keine Erklärung für meinen Kontaktabbruch liefern können. Oder wollen. Dass ich dann weiterhin mit Ben befreundet blieb, als wäre nichts gewesen, sie aber mied, war schlicht unverzeihlich. Ich war nicht blöd, ich verstand das sehr wohl. Und doch musste es so sein …

      Seufzend öffnete ich meine Augen und starrte unentschlossen zur Uhr an der Wand. Es war fast tiefste Nacht und doch wusste ich genau, Annabelle war in diesem Moment genauso wach wie ich. Unsagbar müde und dennoch wach.

      Mein Daumen glitt wie ferngesteuert über das Display meines Smartphones und wählte ihre Nummer. Es tutete ein paarmal und mein Herz stand für einige Sekunden still. Zumindest fühlte es sich so an, als ich nach einer halben Ewigkeit plötzlich eine leise Stimme am anderen Ende der Leitung hörte und mein gesamter Körper sich automatisch anspannte.

      »Hallo?« Sie war es. Sie war es eindeutig und ohne jeden Zweifel. Es war Annabelle. Doch ihre Stimme jagte mir eine Heidenangst ein. Denn sie klang schrecklich leer. Vor allem aber zerbrechlich. Als würde sie jede Sekunde von innen zerrissen werden. »Wer ist da?«, fragte sie hauchend und ich hörte unweigerlich auf zu atmen. Noch immer hatte ich nichts gesagt. Und dass sie fragen musste, zeigte, dass Ben ihr meine Nummer offenbar nicht gegeben hatte. Oder aber sie hatte sie sofort wieder aus ihren Kontakten gelöscht, was verständlich gewesen wäre.

      Ich schluckte schwer. »Annie?« Am anderen Ende der Leitung war es plötzlich totenstill. Kurz prüfte ich, ob sie einfach aufgelegt hatte, doch mein Handy zeigte mir weiterhin eine bestehende Verbindung an, also fuhr ich mir verzweifelt durch die Haare und seufzte tief. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass es dir gut geht.« Stille. Kein Geräusch, nicht mal ein Mucks war aus dem Hintergrund zu hören. »Geht es dir denn gut?«, fragte ich und hoffte, irgendwas von ihr zu hören. Egal was. Und wenn es nur ein Fluchen war. Doch alles, was ich wahrnahm, war ein leises und tiefes Ausatmen. Immerhin. »Annabelle? Sag bitte etwas, damit ich weiß, dass es dir gut geht.« Ein verächtliches Schnauben. »Annie!«

      Lautes Tuten ertönte. Fluchend warf ich das Handy gegen die Wand, wo es allerdings nicht einmal zerschellte. Stattdessen fiel es mit einem unüberhörbaren Knall zu Boden und ließ mich unbefriedigt zurück.

      Sie hatte aufgelegt. Einfach so und ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben. Dabei machte ich mir doch nur Sorgen, verdammt noch mal. Sie klang so fürchterlich fertig, als sie abnahm, ohne zu wissen, dass ausgerechnet ich sie so spät noch anrief. Sie klang nicht gut, nicht so, wie ich es in Erinnerung hatte. Und scheiße noch mal, das machte mir Angst.

      Ich hatte sie so lange nicht mehr gesehen, viele Jahre schon. Nur von Ben wusste ich überhaupt, wo sie lebte oder was sie dort so trieb. Nur durch ihn wusste ich, dass sie ihren Traum, einmal Medizin zu studieren, schon lange aufgegeben hatte. Wusste der Geier, wieso. Selbst ihr Bruder verstand es nicht und konnte sie nicht zur Vernunft rufen. Jetzt war sie auch noch vollkommen allein. Keine Familie, die ihr auf ihrem Weg folgte oder sie von Dummheiten abhielt. Annie war nun auf sich allein gestellt und musste selbst entscheiden. Und ich war mir nicht sicher, ob sie dafür bereit war. Nicht, nachdem ich sie eben gehört hatte. Auch wenn es nur sehr wenige Worte gewesen waren, sie hatten genügt, um mir Angst einzujagen und all meine Entscheidungen, die ich einst aus Überzeugung darüber, das Richtige zu tun, getroffen hatte, infrage zu stellen.

      Sieben Jahre zuvor

      Es war eine klare Sommernacht und die Sterne tanzten funkelnd über unseren Köpfen, als Ben, Annie und ich zum vermutlich letzten Mal gemeinsam auf unserem Baum saßen und hinauf in den Himmel starrten, als wäre er magisch und könnte die Zeit einfach anhalten.

      In wenigen Tagen würden mein bester Freund und seine Schwester zu ihrer Tante nach Greenfield ziehen, hunderte Meilen von hier entfernt, und ich würde sie vielleicht nie wieder sehen. Unvorstellbar für uns alle. Erst vor wenigen Wochen hatten Ben und ich unseren Highschool-Abschluss auf der Jefferson gemacht, nur wenige Monate nachdem Bens und Annies Eltern bei einem beschissenen Autounfall ums Leben gekommen waren. Sie konnten nicht einmal auf seiner Abschlussfeier dabei sein, konnten ihn nicht jubeln sehen und würden auch nicht mehr mitbekommen, wie er im Herbst nach Montana aufs College ging, so wie er sich das immer erträumt hatte.

      Nachdenklich warf ich meinem Kumpel einen kurzen Blick über die Schulter zu. Ich war stolz


Скачать книгу