Gesammelte Werke. Ricarda Huch
geneigt war. Bald darauf wurden im Interesse fester Zusammenfassung aller Kräfte diejenigen ausgewiesen, die sich nicht taufen lassen wollten. Trotzdem blieben an Widerstrebenden noch einige 100 Mann und 2000 Frauen zurück. Man rühmt das Geschick und die Umsicht der Regierenden, den Heroismus der gesamten Bevölkerung, dann, daß die belagerte Stadt beinah anderthalb Jahre lang, vom Februar 1534 bis zum Juni 1535 standhielt. Nachdem Mathys, bei einem Ausfall tapfer kämpfend, gefallen war, wurde Jan von Leyden sein Nachfolger. Er zog allen Besitz ein, um ihn gleichmäßig zu verteilen, und führte die Vielweiberei ein; alle Frauen mußten entweder heiraten oder sich in den Schutz eines Mannes begeben. Diese Maßregeln hingen mit den Bedürfnissen der Verteidigung zusammen, aber sie kamen auch den ausgelassenen Trieben vieler und Jan Bockelsons selbst entgegen. Die Feinde benutzten es, um die Täufer viehischen Lebens und der gottlosen Gütergemeinschaft zu bezichtigen. Den Belagerten nützte nicht nur, daß in den Truppen des Bischofs Unordnung herrschte und manche zu ihnen übergingen, sondern hauptsächlich, daß die angreifenden Stände sich nicht darüber einigen konnten, wie es mit der Stadt nach ihrer Unterwerfung gehalten werden sollte. Gemäß der Reichsverfassung mußten nämlich die benachbarten Kreise dem Bischof bei der Herstellung der Ordnung Hilfe leisten: die evangelischen wollten nicht, daß sie einem katholischen, die Städte nicht, daß sie einem Fürsten ausgeliefert würde. In der Verlegenheit wurden Vermittlungsversuche gemacht; sie scheiterten aber an Johanns unbeugsamer Weigerung, sich mit den Papisten zu vertragen. Endlich bequemten sich die Kreise zur Hilfeleistung, und da das nichts fruchtete, bequemte sich auch das Reich; aber doch brachte erst Verrat die unglückselige Stadt zu Fall. Nach dem Aufstand in Münster, der eine so lange, kostspielige Rüstung nötig gemacht hatte, nach den Ausschreitungen, die alle verketzernden Anklagen rechtfertigten, war der Haß auf die Wiedertäufer noch ärger als zuvor. Der einzige Fürst, der sich weigerte, ein Todesurteil an ihnen zu vollstrecken, war Philipp von Hessen; wenn Sektierer in seinem Lande gefangen wurden, bemühte er sich persönlich oder durch seine Geistlichen, sie durch gütliches Zureden für die Kirche zu gewinnen. Luther hatte anfänglich Mitleid mit den Verfolgten und hielt mit endgültigem Urteil zurück, weil er nicht genügend Bescheid über sie wisse, verstand sich aber schließlich doch zur Billigung von Hinrichtungen. Die Probleme indessen, die die Täufer anrührten, haben ihn zeitlebens beschäftigt. Schon im Jahre 1526 schrieb er: »Diejenigen, die mit Ernst Christen wollen sein und das Evangelium mit Hand und Mund bekennen, müßten mit Namen sich einzeichnen und abgesondert von dem allerlei Volk in einem Haus allein sich versammeln, zum Gebet, zum Lesen, zum Taufen, die Sakramente zu empfangen und andere christliche Werke zu üben. In dieser Ordnung könnte man die, so sie sich nicht christlich hielten, kennen, strafen, bessern, ausstoßen oder in Bann tun. Hier könnte man auch ein gemeines Almosen der Christen auflegen, das williglich gegeben und unter die Armen ausgeteilt würde.« Es waren täuferische Ideen, die ihn da bewegten, Erinnerungen vielleicht auch an die Alt-Evangelischen und ihren Führer Staupitz. Immer wieder hat er sich gefragt, ob es nicht möglich sei, Menschen, denen es mit der Nachfolge Christi Ernst sei, in kleinen Kreisen zusammenzufassen, wo seine Gebote eher verwirklicht werden könnten, als es innerhalb seiner Kirche möglich war. Wenn er gelegentlich ausgesprochen hat, daß es eine dreifache Kirche geben sollte, eine für die Einfältigen, Kinder und Bauern, eine für die werdenden Christen und eine für die Vollendeten, wo die Kuppel fällt, um den offenen Himmel einströmen zu lassen, so muß man an die bei Ketzern und Mystikern geltende Stufenreihe denken.
Frauen
Melanchthon, der ein sehr reizbares Gemüt hatte und an trüben Stimmungen litt, war einstmals besonders niedergedrückt und geneigt, an aller Welt zu verzweifeln. Da geschah es, daß er im Hause eines Freundes dessen Frau sah, wie sie am Herde mit der Zubereitung des Essens beschäftigt, ein kleines Kind auf dem Arme trug und ein etwas größeres, das ihr am Kleide hing, das Vaterunser lehrte. Als ihm so vor Augen stand, was für Mühe von der Frau täglich getragen, was für Arbeit täglich geleistet wird, wie mitten durch die rohen und bösartigen Leidenschaften des Lebens ein Strom von wirkender Güte von ihr ausgeht, löste sich das Gewicht von seiner Brust, er sah zuversichtlicher in die Zukunft. Er mochte das Gefühl haben, welches ein nordischer Dichter in den Ausspruch gefaßt hat: die Frauen sind die Stützen der Gesellschaft. Man hätte sie bewundern können, wenn sie nur die schweren Aufgaben des täglichen Lebens, die gerade auf ihnen, den zarten, lasteten, freudig, ihrer eigenen Bequemlichkeit nicht achtend, auf sich genommen hätten; aber sie beteiligten sich auch mit ganzer Seele an den Kämpfen der Zeit. Die dramatischen, besonders die religiös gefärbten Epochen sind der Entfaltung der Frau günstig; denn die Frau, die weniger als der Mann gewöhnt ist, für den Erwerb zu sorgen, die alle Gefühlswerte höher schätzt als der Mann, deren Erleben sich zum großen Teil auf der Ebene der Phantasie abspielt, gibt sich im allgemeinen ihren Überzeugungen rückhaltloser hin als der Mann, vor allem, wenn sie sich auf das Göttliche beziehen. Wie alle Menschen, die ihre Kraft weniger aus einem starken, gesunden Körper als aus seelischen Quellen ziehen, scheint sie ihr in Kämpfen eher zu wachsen als sich zu erschöpfen, weicht sie vor keiner Anstrengung, keinem Opfer zurück. Das gilt besonders von der deutschen Frau, deren geistiges Leben, wieviel Ausnahmen es auch geben mag, zum Religiösen neigt.
An der humanistischen Bewegung hat die deutsche Frau sich nicht beteiligt, wenn es auch einzelne Frauen gab, die Latein lernten und die alten Schriftsteller lasen, aber Fragen über ciceronianischen oder taciteischen Stil, oder ob dieser oder jener Text der echte sei, interessierten sie wenig. Den Glauben aber verstanden sie, hier entschieden sie sich mit Leidenschaft und Sicherheit. So waren sie in den Anfängen des Christentums gewesen, so unter den Mystikern, Waldensern und anderen Ketzern. In den Ketzerprozessen wurden Frauen wie Männer verhört, gefoltert, verbrannt. Ein schönes Mädchen aus Holland, Hille Feiken, kam zur Zeit des Münsterschen Aufruhrs in das Lager des Bischofs, um wie Judith erst zu verführen, dann zu töten; stolz und unbeugsam ertrug sie die Qualen, die ihr angetan wurden. Frauen lasen die Bibel weniger wie die Männer, die sich mit dem Auslegen schwer verständlicher Stellen abgaben, sondern um sich von dem Strom des Glaubens durchrauschen und erschüttern zu lassen.
Die damaligen Umstände brachten es mit sich, daß die meisten Reformatoren früh heirateten; denn das war nicht nur eine persönliche Angelegenheit, sondern eine grundsätzliche Kundgebung gegen die Altgläubigen. Manche von ihnen, wie zum Beispiel Martin Butzer und sein Freund Fazius, waren im Anfang ihrer Laufbahn stellenlos und mittellos. Die außerordentliche Sparsamkeit, zu der sie gezwungen waren, belastete am meisten die Frau, die mit den geringsten Mitteln einen Haushalt führen und Kinder aufziehen sollte. Besserte sich die Stellung des Mannes, wurde ihre Aufgabe nicht leichter. Die Reformatoren, die, wie Zwingli es ausdrückt, eine Art Tribunen sein sollten neben den Stadträten oder neben den Fürsten, waren in verantwortungsvoller und ausgesetzter Lage. Sie waren Botschafter der göttlichen Majestät und hatten als Vertreter einer solchen Macht großes Ansehn aber auch schwere Pflichten. Männer, wie Luther oder wie Martin Butzer in Straßburg, machten ein großes Haus, hatten viel Gäste, darunter Vertriebene, die unterstützt werden mußten. Nach Straßburg flohen viel Franzosen, besonders seit die hugenottische Bewegung zunahm; wenn es möglich war, beschäftigte sie der Rat, einstweilen nahmen die Geistlichen auf, soviel sie konnten. Luthers Familie war dauernd durch Flüchtlinge, Schützlinge, Freunde vermehrt. Die Frau mußte dafür aufkommen, daß alle behaust und bewirtet wurden. Daneben wurden sie zu den sozialen Einrichtungen herangezogen, die die Stadträte unter dem Einfluß der Reformation ins Leben riefen. Aus übriggebliebenen Briefen geht hervor, daß sie ein erwünschtes Element der regen Geselligkeit waren, die die Häuser der Reformation belebte. In jener erregten Zeit, wo täglich Neues, Bedrohliches oder Günstiges sich begab, erhofft oder gefürchtet wurde, kamen die Menschen gern zusammen und beredeten ihre Interessen. Wenn Seuchen ausbrachen, was nicht selten der Fall war, durften die Pfarrer nicht fliehen, sondern sie blieben, predigten und trösteten; den Frauen fiel die Pflege der Kranken zu. Von den vielen Kindern, die sie zur Welt gebracht, gepflegt und erzogen hatten, starben fast immer einige. Das war so, es mußte erlitten werden; aber es wird sich schmerzhaft, oft vielleicht unheilbar in die Seele der Mutter eingegraben haben, wenn sie es auch verschwieg. Im Jahre 1531 starb, allgemein betrauert, der Baseler Reformator Oekolampad und gleichzeitig die Frau seines Herzensfreundes Wolfgang Capito