Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Leben ab, den manche dieser verborgenen Heiligen untereinander ausübten. Immer waren viele ihrer Mitglieder Handwerker gewesen, wohlmeinende, etwas enge, manchmal stiere Leute, denen sich nun ähnlich geartete, die das Luthertum nicht befriedigte, anschlossen. Eine schriftliche Überlieferung hatten die alten Sekten nicht, eigentlich organisiert waren sie auch nicht, so kam es, daß sich große Verschiedenheiten unter ihnen herausbildeten. Weil sie fast alle nicht Kinder, sondern Erwachsene tauften, nannte man sie mit einem unrichtigen Ausdruck Wiedertäufer; aber diese Benennung bezeichnete allerlei Richtungen und Menschenarten. Einige wollten ein Gottesreich von lauter Gerechten errichten, aus dem jeder Sünder ausgeschieden werden sollte, bis er Buße getan hätte, einige verwarfen den Eid und erlaubten den ihrigen nicht, das Schwert zu führen und ein obrigkeitliches Amt zu bekleiden, einige waren friedlich, wollten abseits von der Welt ein Leben wie die Urchristen führen, andere wollten die Gleichheit, die sie für ein Gebot Gottes hielten, mit Gewalt durchsetzen.

      Für die vorreformatorischen, in der Verborgenheit lebenden Sekten hatte sich die Lage der Urchristen insofern wiederholt, als sie ihrer Meinung nach zwischen herrschenden Heiden oder Irrgläubigen lebten. Sie hatten natürlich keine pietätvolle Beziehung zur Obrigkeit, wenn sie auch offenen Widerstand nicht wagen konnten. Die Nichtachtung der Obrigkeit im Vergleich mit den Offenbarungen Gottes in der Schrift oder im eigenen Geiste lag daher diesen Kreisen nahe, und sie konnten, um sich zu rechtfertigen, auf manche Äußerungen Luthers in bezug auf katholische Obrigkeiten hinweisen. So kam es, daß der Verdacht aufrührerischen Wesens ihnen anhaftete. Melanchthon tadelte, daß sie einen Teil der bürgerlichen Pflichten, zum Beispiel die Eidesleistung, ablehnten; er meinte, das werde schließlich zum Aufruhr führen. Zwingli sagte in bezug auf ihre Forderung eines heiligmäßigen Lebens und ihre Abtrennung von der Welt, sie wollten das katholische Mönchswesen wieder einführen. »Sie haben es meist leicht«, sagte er, »der Freuden dieser Erde sich zu enthalten, da sie der Hefe des Volkes angehören. Könnten sie, wie sie wollten, sie würden Sardanapal und Heliogabal hinter sich lassen, jetzt aber machen sie aus ihrer Niedrigkeit sich einen Adel zurecht.« Es war ein liebloses Urteil, das manche traf, und die Erfahrung sollte zeigen, daß die strenge Enthaltsamkeit und gelobte Friedfertigkeit in zügellose Genußsucht und Gewalttätigkeit umschlagen konnte, aber es traf doch nicht alle; es waren, wie Butzer zugestand, echte Kinder Gottes darunter. Das Ausschlaggebende, das, was am meisten gegen sie aufbrachte, war die Gütergemeinschaft, die bei ihnen im Schwange war. Um eine eigentliche Gütergemeinschaft, so daß gar kein Privateigentum geduldet wäre, handelte es sich dabei nicht, sondern um einen begrenzten Verzicht auf das Eigentum zugunsten der Bedürftigen. Es ist die Art des Menschen, daß er durch nichts so verletzt werden kann, als wenn sein Eigentumsrecht angegriffen wird; er läßt im allgemeinen lieber sein Leben als seinen Besitz. Vielen war und ist die Religion und im besonderen das Christentum deshalb teuer, weil Gott mit seinem Gebot: »Du sollst nicht stehlen« das Eigentum beglaubigt hat. Schon den Bauern hatte man nachgesagt, sie wollten die Gütergemeinschaft einführen, zum Teil im guten Glauben, zum Teil, um ihnen das Ärgste und Unverzeihlichste vorzuwerfen. Sowie die Wiedertäufer in den Ruf kamen, sie wollten mit den Reichen teilen, gab es keine Gnade mehr für sie. Freilich waren unter ihnen wirklich unruhige, verworrene, trübe Köpfe, die in der vorreformatorischen Zeit als eine in Dunkel versteckte Winkelsekte nicht gefährlich werden, die aber in der Öffentlichkeit sich als Unheilstifter, mindestens Ruhestörer erweisen konnten.

      Es war nicht ganz leicht für die evangelischen Reformatoren, diese Sekten, die mit dem Christentum Ernst machen wollten, zu widerlegen, aber allmählich zogen sie Beweise aus ihrem System, um sie planvoll zurückzuweisen. In einer Schrift über göttliche und menschliche Gerechtigkeit erklärte Zwingli, daß nach der göttlichen Gerechtigkeit, die lauter und schön sei, der Christ allerdings, wenn man ihm den Rock nehme, auch den Mantel geben solle; weil aber viele Menschen Gott nicht liebten, ja nicht einmal an Gott glaubten, müsse um der Bösen willen die arme, mängelvolle menschliche Gerechtigkeit auf den Plan treten, die zwar, wenn man ihre Gebote halte, vor Gott nicht gerecht mache, aber doch von Gott geordnet sei. Der evangelische Prediger müsse zwar die göttliche Gerechtigkeit predigen, zugleich aber verlangen, daß man sich der menschlichen unterwerfe. Man kann auch sagen: die Christen sollten das Salz der Erde sein; aber man kann nicht von eitel Salz leben.

      Ein Konflikt zwischen den wiedertäuferischen Sekten und den Reformatoren war unvermeidlich. Da sie sich anfänglich in der schweizerischen Eidgenossenschaft ansammelten, ließ Zwingli sich zunächst in Gespräche mit ihnen ein und veranstaltete dann auf ihren Wunsch eine Disputation im Großmünster, zu der ein großer Zulauf war. Indessen behaupteten die Wiedertäufer, daß Zwingli immerfort rede und sie nicht zu Worte kommen lasse, und bei der Art des Gegensatzes war es wohl so, daß sie nicht ganz unrecht hatten; warfen sie ihm doch vor, daß er die Kirche der Obrigkeit unterworfen habe. Nach der letzten großen Disputation nahm der Rat an, daß die Wiedertäufer besiegt seien und verbot ihnen bei Strafe der Hinrichtung, im zürcherischen Gebiet die Wiedertaufe vorzunehmen. Da sich Felix Manz nicht unterwerfen wollte, wurde er im Jahre 1527 ertränkt; er war ein Freund Zwinglis gewesen. Es begann nun eine Verfolgung ohnegleichen, am schärfsten in den katholischen Ländern. Die meisten Fürsten gaben sich nicht die Mühe, in die Ansichten der Wiedertäufer einzudringen; daß sie von der Regel abwichen, daß man ihnen Auflehnung gegen die Obrigkeit nachsagte, genügte ihnen, um sie Verbrechern gleichzustellen. Nur wenige wußten die stillen, fleißigen Arbeiter, als die sie sich erwiesen, wenn man sie gewähren ließ, zu schätzen: in Mähren fanden sie Zuflucht und gediehen als willkommene Siedler. Überall sonst floß ihr Blut in Strömen: in Görz und Tirol wurden im Jahre 1531 tausend Hinrichtungen vollzogen. Immerhin befahl ein kaiserliches Mandat, die Bereuenden zu begnadigen, während der Herzog von Bayern entschied: wer widerruft, wird enthauptet, wer nicht widerruft, wird verbrannt. Nur wenige widerriefen. Wenn der Mut für die Überzeugung zu sterben den Menschen Wert gibt, so haben sie sich ein gutes Zeugnis ausgestellt. Sie gingen bewußt, aufrecht in den Tod, der oft durch Martern verschärft wurde.

      In dieser schreckensvollen Zeit der Verfolgung schwand vollends dahin, was noch von alter Überlieferung und Ordnung in diesen Sekten gewesen war. Anstatt der durch Handauflegung berufenen Apostel traten Propheten auf, die durch das unmittelbare Wort des Herrn beauftragt zu sein behaupteten. Einer von ihnen war Melchior Hofmann, der sich eine Zeitlang in Straßburg aufhielt und von dem beredten und klugen Butzer in einer Disputation besiegt wurde. Schön sagte einer von den Täufern: meine Zunge könnt ihr bezwingen, Gott aber bezwingt mein Herz. Mit Disputationen konnte vollends nichts ausgerichtet werden, wenn ein Teil nur die Heilige Schrift als Maßstab gelten ließ, der andere nicht. Das war auch der Fall bei dem Propheten Mathys, einem Bäcker aus Haarlem: Die Niederlande hatten von jeher Ketzer erzeugt, solche, die der römischen Kirche und ihren festen Formen und Lehren, ihrem Zeremoniell, ihrer Pracht und Weltlichkeit tiefsinnige Mystik, solche, die ihr praktische Verständigkeit und fromme Betätigung durch Wohltun entgegensetzten. Beides konnte zuweilen in schwärmerische Verstiegenheit umschlagen, besonders als die schonungslose Verfolgung die Gläubigkeit der Gequälten zum Fanatismus steigerte. Ausgewiesen und gehetzt fand Mathys mit seinen Anhängern eine Zuflucht in der westfälischen Stadt Münster, an deren schönen Dom sich alte Erinnerungen aus der Zeit des unter den Sachsen sich entfaltenden Christentums knüpfen. Es gelang den Täufern, den begabten Pfarrer Rottmann, der erst kürzlich das Evangelium in Münster eingeführt hatte, für ihre Ansichten zu gewinnen. Man ging ernstlich an die Bereitung des Gottesreiches, das zu dem bevorstehenden Ende der Zeiten überleiten sollte. Der Glaube, daß man am Ende der Zeit stehe, war damals verbreitet, auch Luther überkam er zuweilen; wenn schon die Umwälzung und Verstörung weit und breit dazu führte, um wieviel mehr mußte er sich derer bemächtigen, für die jeder Tag ein grauenvoller letzter sein konnte. Neben Mathys trat ein junger Mann, ein Schneider aus Leyden, Jan Bockelson hervor, ein schöner, sehr begabter und kühner Mensch; beide, Mathys und Bockelson, waren durch ihre Sicherheit und ihren unerschütterlichen Mut geeignet, die Menschen und namentlich die Frauen hinzureißen. Ein Teil der Münsterschen Einwohner widersetzte sich allerdings den Täufern, und eine Auseinandersetzung mit den Waffen stand bevor; da brachte der Bürgermeister, um Blutvergießen zu verhindern, eine Versöhnung zustande, wonach gegenseitige Duldung gewährleistet wurde. Als nun der Bischof von Münster, Franz von Wartenberg, sich in Bewegung setzte, um das Regiment in seiner Stadt an sich zu nehmen, bemächtigte sich Mathys der Regierung und besetzte den Rat sowie alle Ämter mit seinen Anhängern.


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