Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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bald sein Gegensatz. Da in Wittenberg Melanchthon der führende Theologe war, sammelten sich in Jena die auf den Buchstaben Luthers Eingeschworenen und bekämpften Melanchthon als Verräter. Vom Schicksal bestimmt, vor der Welt die Rolle des treuesten Gefährten Luthers, gleichsam seines anderen Ichs zu spielen, und innerlich mit dem toten Freunde in Zwiespalt, von den Anhängern desselben gehaßt, führte der Unglückliche ein gequältes Leben. »Herr Philippus«, schrieb sein Schüler, der Burgunder Hubert Languet, der ihn wie einen Vater verehrte, »ist durch Jahre, Mühen, Lästerungen und Verleumdungen so gebrochen, daß von seiner gewohnten Heiterkeit gar nichts übrig ist.« Wer dachte noch daran, daß der junge Melanchthon in übermütiger Laune an den Dunkelmännerbriefen mitgewirkt hatte! Man kannte ihn nur noch verbittert, verkrampft, gehetzt und geängstigt. Er begrüßte den Tod, der ihn aus dem saeculum sophisticum, wie er es nannte, abrief. Immerhin konnte sich diese theologische Wut an ihm, dem Träger eines weithin berühmten Namens, nicht anders als schriftlich in bösartigen Anspielungen vergreifen, härter war das Los einiger seiner Jünger, gleichfalls angesehener Männer. Melanchthons Schwiegersohn, Caspar Peucer, Leibarzt des Kurfürsten August, und dessen Kanzler, Georg Craco, waren sich bewußt, daß sie ihre Ansichten am Dresdener Hofe geradezu nicht vertreten durften, denn August und seine Frau, eine dänische Prinzessin, hielten am strengsten Luthertum fest; aber sie trauten es sich zu, unvermerkt das Bekenntnis im Sinne ihrer Anschauungen umzuwandeln. Man nannte diese Haltung Kryptocalvinismus. Der Kurfürst vertraute diesen Männern, mit denen er in häufigem Verkehr stand, ganz, so daß er auf die Verdächtigungen, die gegen sie vorgebracht wurden, nicht hörte; um so größer war sein Zorn, als ihre geheimen Meinungen und Absichten durch einen Brief, der in unrechte Hände gelangte, an den Tag kamen. In der Tat mußte dem Kurfürsten klarwerden, daß in dem Verhalten der beiden Männer eine Nichtachtung seiner Person lag, denn einen bedeutenden Geist würden sie kaum hintergehen zu können geglaubt haben. Die Rachsucht pflegte den frommen Fürsten zu einem Teufel zu machen, der mit Lust zusah, wenn seinen Feinden das Herz aus dem Leibe gerissen wurde; der unglückliche Kanzler starb an den Folgen der Folter; Peucer blieb trotz aller Fürbitten, namentlich von seiten des Kurfürsten von der Pfalz, zehn Jahre im Kerker. Er wurde frei, als der alte Kurfürst nach dem Tode seiner geliebten Anna eine junge Anhaltinerin heimführte, die, jedenfalls auf Anregung ihres Vaters, sich die Freilassung des Schwergeprüften als Geschenk erbat. Melanchthon hat die Katastrophe seiner Anhänger nicht erlebt; er starb im Jahre 1561.

      Wenn die Calvinisten in gewisser Hinsicht weitherziger als die Lutheraner erschienen, so war das in ihrer Lage begründet. Da sie anfangs im Reich nicht zugelassen und von den Lutheranern mehr als die Katholischen gehaßt wurden, strebten sie im eigenen Interesse eine Einigung aller protestantischen Bekenntnisse an. Calvin war persönlich äußerst unduldsam. Aus der Verbrennung des unglücklichen Servet, der die Dreieinigkeitslehre angriff, ist ihm freilich insofern kein besonderer Vorwurf zu machen, als Servet für einen Atheisten galt und auf allen Seiten die Meinung herrschte, daß Atheisten und Gotteslästerer mit dem Tode zu bestrafen seien: Sebastiano Castellio, der sich gegen die Hinrichtung Servets äußerte, bildete durchaus eine Ausnahme. Beza schrieb in bezug auf Castellios davon handelnde Veröffentlichung, seit dem Beginn des Christentums seien solche Gotteslästerungen nicht gehört worden.

      Trotz dieser betonten und systematischen Unduldsamkeit erwies sich allmählich der Calvinismus in der Tat der Toleranz zugänglicher als das Luthertum. Das lag schon daran, daß die Calvinisten gebildeter und vornehmer, in der Lebensführung sittlicher waren als die Lutheraner. Diese selbst bekannten gelegentlich, daß die Calvinisten ihnen an Schriftkenntnis, an Sittlichkeit, an Tapferkeit und Fürsorge für die Armen und Kranken überlegen wären. Wie es schon im Mittelalter der Fall gewesen war, gab es in den Niederlanden vorbildliche Armenanstalten, ihre Spitäler, sagte man im Reich, glichen Palästen. An den Höfen der Calvinisten wurden Wissenschaften und Künste, Kenntnis der Sprachen gepflegt; der kursächsische Hof gab nach Augusts Tode das Beispiel der Völlerei und Roheit. Dazu kam, daß die Calvinisten tätig, arbeitsam, unternehmend, also trotz ihrer Kirchlichkeit und Tugend dem Weltlichen sehr verbunden waren. Handel und Gewerbe brachten eine gewisse Weitherzigkeit gegenüber fremden Nationen und Bekenntnissen mit sich.

      Einzelne kannten auch im eigentlichen Reformationszeitalter eine Duldsamkeit, die gerade auf christlicher Religiosität beruht. Unter den Fürsten zeichnete sich der Landgraf Philipp von Hessen aus, der in seinem Testament sagt: »Einigen Menschen um deswegen, daß er unrecht glaubt, zu töten, haben wir nie getan, wollen auch unsere Söhne vermahnt haben, solches nicht zu tun, denn wir's, daß es wider Gott ist, halten.« Daß der liebenswerte Fürst an diesem Grundsatz festhielt, ist ihm um so höher anzurechnen, als die befreundeten Fürsten und Geistlichen ihn davon abzubringen suchten. Er hatte, obwohl für seine Person überzeugter Protestant, ein Gefühl sowohl für die Begrenztheit wie für die Vielförmigkeit aller menschlichen Einsicht und wagte es, sich an dem guten Willen der Menschen genügen zu lassen. Man kann die eingehenden, verständigen, herzlichen Briefe, die er an Irrgläubige geschrieben hat, um sie zu seiner Ansicht zu bekehren, in denen er seinen Stand völlig beiseite gesetzt, ja vergessen zu haben scheint, nicht ohne warme Teilnahme lesen.

      War Wilhelm von Oranien nicht ganz so eindeutig wie Philipp, benützte er die Duldsamkeit wirklich als Mittel zu politischen Zwecken, so muß man doch annehmen, daß sie in seiner Gesinnung lag, daß er in seinem gefahrvollen Leben auf die Allmacht Gottes zu vertrauen gelernt hatte, ohne doch zu glauben, daß seine Auffassung des Göttlichen die einzig mögliche und die einzig erlaubte sei. Auch hat ihm schließlich das Bestehen auf religiöser Duldung eher geschadet als genützt; sein treuer Freund und Anhänger sogar, der hochgebildete Philipp Marnix von Ste. Aldegonde, hielt es für eine unbegreifliche Verirrung, daß er den Erzfeinden, den Katholiken, Duldung gewähren wollte. Oranien ging so weit, Mennoniten, Wiedertäufer von der friedlichen Art, zuzulassen und durchzusetzen, daß der übliche Bürgereid von ihnen nicht gefordert wurde. »Der Prinz«, schrieb Marnix einem Freunde, »will nicht leiden, daß die Wiedertäufer das Bürgerrecht verlieren sollen. Er antwortete mir bitter, ihr Ja sei so gut wie unser Eid, und wir sollten die Sache nicht weiter treiben, es sei denn, wir wollten auch dem Papst das Recht zuerkennen, uns zu seinem Gottesdienst wider unser Gewissen zu zwingen.« Es ist derselbe Gedankengang, den Wilhelm von Hessen dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz vorhielt.

      Um die Zeit von Oraniens Tod wurde in der Nähe von Flensburg Georg Calixtus, eigentlich Kallisön, geboren, der als Professor der kürzlich durch Herzog Julius von Braunschweig gegründeten Universität Helmstedt für Verständigung aller christlichen Bekenntnisse wirkte. Er war beeinflußt durch Melanchthon, dessen Schüler sein Vater gewesen war; auch Erasmus kann man unter seine geistigen Ahnherren zählen. Offenbar machte sich hier eine Stammeseigentümlichkeit geltend, die von jeher in den nordwestlichen Gegenden zur Entfaltung eines undogmatischen, in Werken der Nächstenliebe, überhaupt im Leben und Handeln sich betätigenden Christentums geführt hatte. Es war damals die Zeit der großen Humanisten, Scaliger, Casaubonus, die in Leiden wirkten und die ganz im Sinne Melanchthons über alles die Barbarei haßten und fürchteten. Zu ihnen trat der junge Calixt in Beziehung. Nachdem er durch sie mit dem Calvinismus in Verbindung getreten war, suchte er Katholiken kennenzulernen und erfüllte sich mit Bewunderung der Größe der alten Kirche. Die Mehrzahl der evangelischen Theologen bekämpften Calixtus. Man nannte seine universale Richtung, die die Unterschiede zwischen den Bekenntnissen abschwächen wollte, Synkretismus und verdächtigte seine Anhänger als lau und rationalistisch, ja als servil, weil Calixtus wegen der Streitsucht der protestantischen Theologie die Herrschaft des Staates in der Kirche für besser hielt als die Herrschaft der Theologen. Das war allerdings ein zweischneidiger Standpunkt. Politisch führte der Calixtinismus oder Philippismus zur Parteinahme für den Kaiser: die Calixtiner betrachteten die Schweden als Feinde, nicht als Erretter. Die tragische Verwicklung der deutschen Angelegenheiten zeigt sich darin, daß der aus edelster Gesinnung hervorgehende Calixtinismus, obwohl auf der Grundlage des Luthertums entstanden, das Bestehen des Luthertums hätte gefährden können.

      Wenn Oraniens Ideen sich in Holland anfangs nur sehr beschränkt, später weitgehend verwirklichten, so ist das nicht nur seinem persönlichen Einfluß, sondern ebensosehr dem Umstande zuzuschreiben, daß Holland als ein handeltreibender, am Meer gelegener Staat seinen Vorteil darin fand, daß verschiedene Nationen und Bekenntnisse sich zu friedlichem Verkehr auf seinem Boden trafen. Auch Venedig genoß den Ruf,


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