Gesammelte Werke. Ricarda Huch
unterbrochenen Kampfe standen. Der Gedanke lag nah und wurde auch ausgesprochen, daß die Aufgabe der Bekämpfung der Heiden ebensogut, ja besser zu Hause als in der Ferne ausgeführt werden könne, was die Päpste anerkannten, indem sie förmlich die kriegerischen Unternehmungen gegen die Slawen wie auch solche gegen die Ketzer als Kreuzzüge bezeichneten und sie an Verdienst den eigentlichen gleichstellten. Selbst Kaiser Konrad III., obwohl von Bernhard von Clairvaux angefeuert, lehnte die Beteiligung am Kreuzzuge ab, weil er bei der Unsicherheit im Reiche seine Anwesenheit mit Recht für notwendig hielt; erst als der wortgewaltige Prediger ihn öffentlich in der Kirche bestürmte, gab er nach, augenscheinlich von der Ergriffenheit Bernhards wirklich mit hingerissen. Auch beim ersten Kreuzzuge wurden in Deutschland allmählich eine nicht geringe Anzahl Menschen von der Begeisterung angesteckt oder durch sonstige Gründe zum Anschluß bewogen; sie zogen ungeordnet aus und wurden schon in Ungarn aufgerieben. Als Antrieb zur Kreuzfahrt führen zeitgenössische Chronisten mehreres an: den Wunsch, fremde Länder zu sehen, heimischer Armut und drängenden Gläubigern zu entfliehen, sich der Knechtschaft oder etwa gar der Strafe für begangene Verbrechen zu entziehen; nur wenige, meinen sie, seien erfüllt von dem Drange, ihr Leben für die Befreiung des Heiligen Grabes einzusetzen. Dennoch ist gewiß, daß die Befreiung und Eroberung des Grabes Christi ein mächtiger Impuls für viele war. Wie wer es irgend vermochte, nach Jerusalem pilgerte, um die Orte zu sehen und die Erde zu berühren, wo des Heilands Füße gestanden, in der Meinung, sich durch solche Wallfahrt zu entsündigen, sich dem Himmel um einige Stufen zu nähern, so empfand man auch die Schmach, das höchste christliche Heiligtum im Besitz der Heiden zu wissen. Ließ man doch die Fahne nicht in der Hand des Feindes; wieviel weniger wollte man ihm die Heimat und das Grab desjenigen überlassen, zu dem jeder als zu seinem Herrn und Heiland die lebendigste Beziehung hatte. Wenn sich dies Motiv auch mit der ungemeinen Reiselust des Mittelalters und anderen Absichten verschiedener Art vermischte, so war es doch immer ein allverständlicher, an seit der Kindheit gehegte Anschauungen rührender Anklang.
Von den Päpsten, zuerst von Urban II., ging die Idee der Kreuzzüge aus, wie ihnen ja auch die Aufgabe, das Christentum über die ganze Erde zu verbreiten, hauptsächlich zustand; grade das Heilige Land, der Christenheit so denkwürdig, den Ungläubigen zu entreißen, mußte ihnen am Herzen liegen. Die Kaiser, die das Schwert für den Papst führten und seinen Weltherrschaftsgedanken teilten, wären vor allen berufen gewesen, sich an die Spitze der gottgeweihten Heerfahrt zu stellen; allein erst Friedrich Barbarossa hat das erfaßt und großartig, wie es seine Art war, ins Werk gesetzt.
Als Saladin infolge seines Sieges bei Hittim Jerusalem erobert hatte, und Papst Gregor VIII. zur Wiedereroberung des Heiligen Landes aufforderte, machte das Wort des päpstlichen Gesandten auf dem Hoftage zu Straßburg allgemein tiefen Eindruck, der Kaiser selbst aber nahm das Kreuz erst, nachdem sein Streit mit dem Erzbischof von Köln beigelegt war, und die Anerkennung seines Sohnes Heinrich durch den Papst ihm die Gewähr bot, daß die Regierung des Reiches während seiner Abwesenheit in starken Händen ruhte; dann unternahm er den Kreuzzug mit seiner ganzen Energie, Umsicht und Besonnenheit. Mit Ungarn wurden Verabredungen über die Durchreise, die Ernährung, die Lieferung und Preise von Lebensmitteln getroffen, auch nach Griechenland wurden vorbereitende Boten geschickt. Die Versorgung suchte er auch durch die Bestimmung sicherzustellen, daß, abgesehen von Handwerkern und Knechten, den Zug nur mitmachen sollte, wer Geld zum Ankauf von Lebensmitteln für zwei Jahre mitnehmen könne. Für die Ordnung im Heer wurde durch strenge Vorschriften Sorge getragen. Auch daran dachte der Kaiser, durch besondere Maßnahmen die Juden zu schützen, die gewöhnlich das Opfer der Kreuzzugsbegeisterung wurden.
Die Fürstenversammlung zu Mainz im März 1188, auf der der Kreuzzug endgültig beschlossen wurde, stand nach dem Willen des Kaisers unter dem Vorsitz des Erlösers und wurde der Reichstag Jesu Christi genannt; ein Thronsessel war für den unsichtbaren Herren des Reiches, das sich so förmlich als Gottesreich darstellte, aufgerichtet. Der fast siebzigjährige Kaiser hatte das Bewußtsein, mit der Erfüllung der höchsten kaiserlichen Aufgabe sein Leben zu krönen. Soviel an ihm war, tat er, damit die Heerfahrt würdig und erfolgreich verlaufe. Die namentlich in Griechenland durch das Übelwollen von Regierung und Bevölkerung ihm bereiteten Schwierigkeiten überwand er durch kluge Selbstbeherrschung. Die Mühsal der Reise über rauhe Gebirge bei fortwährenden Angriffen der Türken bestand seine Willenskraft und sein gesunder Körper; als er beim Baden im Flusse Saleph ertrank, war es, wie wenn ein höherer Wille ihn auf dem Gipfel seines Daseins entrückte, bevor unvermeidliche Enttäuschungen und Verwicklungen ihn träfen. So wie es kam, nachdem auch des Kaisers Sohn, Herzog Friedrich von Schwaben, vor Akkon gestorben war, fiel ein tragischer Glanz auf ihn, der das Bild des alten Helden rühmlich vollendete. Allerdings nicht nur Friedrichs persönliche Existenz, auch der Fortgang der ersten großen Unternehmung der Deutschen im Orient, die sich so aussichtsreich angelassen hatte, war abgeschnitten. Ein folgenreiches Ereignis jedoch knüpfte sich an den Kreuzzug, das war die Gründung des Deutschen Ordens unter den Mauern von Akkon, zu der sich deutsche Ritter mit Kaufleuten aus Lübeck und Bremen vereinigten. Auch in der Ordensgründung sind die Franzosen den Deutschen vorangegangen. Die spätere Verlegung des Deutschen Ordens nach Deutschland und seine Tätigkeit im Osten stimmt in das Schicksal und die Neigung der Deutschen ein, sich Kolonien an den Grenzen der Heimat zu schaffen. Die orientalischen Kolonien: Jerusalem, Odessa, Antiochia, Tripolis sind von Westfranken und Normannen gegründet, die Deutschen hatten keinen Teil daran. Die Wirkung, die die Bekanntschaft mit den Sarazenen und die wirtschaftlichen Beziehungen zur Levante auf den Westen ausübte, betraf denn auch hauptsächlich Frankreich und Italien. Mittelbar indessen machte sich der wirtschaftliche Aufschwung der italienischen Handelsstädte, namentlich durch Venedig und Genua, auch für die Süddeutschen geltend, und die Erweiterung des Gesichtskreises, die Schärfung des Urteils und die Selbsterkenntnis, die jede Bekanntschaft mit fremden Ländern und Völkern zur Folge hat, erstreckte sich belebend, lösend und lockernd auch auf Deutschland.
Die Kolonisation
Einzelne, die der Glaubenseifer in die slawischen Länder trieb, wurden meist erschlagen und ihr Märtyrertum blieb wirkungslos, nur mit militärischer Unterstützung ließ sich etwas ausrichten. Drei Nationen waren es, die durch Eroberung der slawischen Küstenländer die Ostsee erreichen, womöglich beherrschen wollten: außer den Dänen und den Deutschen die Polen. Durch ihre Anregung wurde einer der edelsten Kirchenmänner seiner Zeit, Bischof Otto von Bamberg, zum Apostel der Slawen. Er war von Adel, aber arm, von seinen Eltern für den geistlichen Stand bestimmt; um seinem Bruder nicht zur Last zu fallen, ging er nach Polen, wo er wegen Mangels an Gelehrten bald eine Stellung als Lehrer fand und sehr geschätzt wurde. Doch war er, wenn er auch gern die Werke der antiken Dichter und Philosophen las, nicht eigentlich ein Mann der Wissenschaft, aber gewandt in der Rede und ein guter Prediger, der die seltene Kunst verstand, dem einfachen Volke die Heilswahrheiten zu vermitteln. Das Anziehende, Vornehme und Würdige seiner Erscheinung wirkte mit dazu, daß er Gesandtschaften beigeordnet und dadurch mit dem König von Polen, Wladislaw Hermann, bekannt wurde. Sein Anteil am Zustandekommen der Heirat desselben mit Heinrichs IV. Schwester Judith, der Witwe des Königs von Ungarn, machte seine Beziehungen zur königlichen Familie zu freundschaftlichen, und sie dauerten fort, nachdem er auf den Wunsch Heinrichs IV. nach Deutschland zurückgekehrt war. Heinrich machte ihn erst zu seinem Kanzler, dann zum Bischof von Bamberg. Gemäß seiner Gabe, viel zu verstehen und jedem gerecht werden zu können, hielt er es in dem großen Kampfe zwischen Papst und Kaiser mit beiden, und wenn er dadurch auch zuweilen bei beiden Anstoß erregte, begriffen sie doch, daß es nicht aus feiger Berechnung geschah, und hielten ihn trotzdem wert. Er wirkte mit beim Wormser Konkordat, das die Rechte von Papst und Kaiser in bezug auf die Bischofswahlen regelte. Ein Jahr nach dem Tode Heinrichs V., 1124, richtete der König von Polen, Boleslaw III., der seinem inzwischen verstorbenen Vater gefolgt war, die Frage an ihn, ob er geneigt sei, die Bekehrung der heidnischen Pommern zu übernehmen.
Die Sachsen waren durch ihre Kämpfe gegen Heinrich IV. und Heinrich V. von den Bemühungen, die Ostseeküste zu erobern, abgelenkt; um so eher war es Boleslaw gelungen, die Pommern zu unterwerfen. Pommern, das sich zu beiden Seiten der Oder erstreckte, galt als ein wegen seiner Naturprodukte begehrenswertes Land; es war reich an Milch, Butter