Gesammelte Werke. Ricarda Huch
was er erobern konnte, gehörte ihm. Der Jüngling ergriff die Regierung sofort wie ein Mann; soweit ihm seine Verpflichtungen gegen den Kaiser Zeit ließen, beschäftigte er sich mit der Stärkung seiner herzoglichen Macht und mit der Unterwerfung der Slawen. Vorurteile in bezug auf Rasse oder Glauben hatte er nicht; wie er sich mit dem König von Dänemark verbündete, um die Slawen zu besiegen, suchte er die Freundschaft des Slawenfürsten Pribislaw und später von dessen Sohne Niklot, ohne sich andererseits dadurch gebunden zu fühlen, wenn es ihm nicht mehr nützlich schien. Dänemark die Hälfte der gemachten Eroberungen zu überlassen, wie abgemacht wurde, war wohl von Anfang an nicht seine Absicht. Auch einem treuen Freund und Mitstreiter gegenüber, wie Adolf von Schauenburg war, mäßigte er seine Herrschsucht nicht.
Den Schauenburgern, einem reichen und tapferen Geschlecht, von deren Stammburg in der Gegend von Minden noch Ruinen vorhanden sind, verlieh Konrad II. die Grafenwürde. Lothar belehnte als Herzog von Sachsen den Grafen Adolf I. mit der Grafschaft Holstein, die von den Holsten, Stormarn und Dithmarschen bewohnt war und an das slawische Nordalbingien grenzte. Ihm folgte sein Sohn Adolf II., der ursprünglich zum Geistlichen bestimmt gewesen war und infolge seiner Erziehung nicht nur eine gründlichere Bildung, sondern auch eine tiefere Auffassung seiner Pflichten hatte, als bei den weltlichen Fürsten üblich war. Er sprach geläufig lateinisch und verstand auch das Slawische. Er bemühte sich, die unterworfenen Slawen für das Christentum zu gewinnen und kultivierte das neugewonnene Land in großartiger Weise durch Ansiedlung von Friesen, Holländern und Westfalen, denen er es unter vorteilhaften Bedingungen überließ. Auf einer Insel zwischen den Flüssen Wackenitz und Trave, wo die Slawen in einem heiligen Hain die Götter verehrt hatten, gründete er die Stadt Lübeck, die die günstige Lage an der Ostsee schnell erblühen ließ. Da Heinrich durch sie seine binnenländische Stadt Bardewiek benachteiligt fand, verlangte er, daß Adolf ihm Lübeck abtrete, als sich Adolf weigerte, vernichtete er Lübecks Handel; das Ende war, daß Adolf um der Stadt und um des Friedens willen nachgab und sie dem Herzog schenkte. Graf Adolf, den der Chronist sowohl wegen seiner Herzensgüte wie wegen seiner Klugheit rühmt, fiel im Jahre 1164 in der großen Slawenschlacht bei Demmin, die über seinem Leichnam in einem vollständigen Siege endete. Wenn Heinrich der Löwe ihm, seinem väterlichen Freunde, an verständiger und menschlicher Gesinnung nachstand, so überragte er ihn an Willensgewalt und Macht der Persönlichkeit. Da er sich als König geboren fühlte, behandelte er alle, die sich weigerten, ihm untertan zu sein, als Rebellen. Unterwarfen sie sich, sorgte er für sie als König. Bei seinen Städtegründungen, Lübeck und Schwerin, verfuhr er mit außerordentlicher Weitherzigkeit; denn er behielt sich nur die hohe Gerichtsbarkeit vor, übrigens gestand er den Bürgern volle Selbstverwaltung zu, in der Meinung, so am sichersten das Gemeinwesen zur Blüte zu bringen. Entsprechend dem germanischen Begriff der Eigenkirche erhielten die Bürger das Recht der Pfarrerwahl für die Pfarrkirche. Es ist nicht unmöglich, daß Heinrich in seiner Städtepolitik durch seinen Schwiegervater Konrad von Zähringen beeinflußt war, der schon vor Jahrzehnten mit großer Liberalität die Stadt Freiburg gegründet hatte; aber vor allem leitete ihn der sichere politische Blick, sein natürliches Erbe. Den kühnen Geist der sächsischen Kaufleute, die mit ihren Handelsreisen ein wirtschaftliches Netz über das Meer nach England und Skandinavien und im Osten bis Rußland spannten, erkannte er als dem seinigen verwandt, er verband sich mit ihm und machte ihn sich zunutze. Auch in der Beziehung zu den Slawen zeigte er großen Sinn. Kam es ihm mehr auf ihre Abgaben an als auf ihr Seelenheil, so wollte er sie auch nicht als Heiden vernichten, und an dem Kreuzzuge, der gegen sie unternommen wurde, beteiligte er sich nur ungern. Nationale Abneigung lag ihm fern, er überließ dem Slawenfürsten Pribislaw, der ihm treu blieb, einen Teil Mecklenburgs als Fürstentum. Pribislaw ist der Ahnherr der Dynastie, die bis 1918 in Mecklenburg regiert hat. Zwar wenn man liest, daß Graf Gunzelin von Schwerin, des Herzogs treuer Diener, jeden Slawen, der anderswo als auf der richtigen Straße angetroffen wurde, ohne sich ausweisen zu können, aufhängen ließ, so sieht man, daß der unwillkürlich verdrängende Druck, den die arbeits- und ordnungsgewöhnteren Deutschen auf die Slawen ausübten, durch gewalttätige Maßregeln verstärkt wurde. »Allenthalben sind die Slawen aufgerieben und vertrieben worden; vom Ozean ist starkes und unzähliges Volk gekommen, das der Slawen Land gewann.« So, mit wenigen Sätzen beschließt der Pfarrer Helmold zu Bösau am Plöner See, der Chronist dieser Kämpfe, die Geschichte vom Untergang der Slawen in Deutschland. »Die kläglichen Überreste der Slawen sahen sich infolge des Getreidemangels und der Verheerung ihrer Felder gezwungen, sippenweise zu den Pommern oder Dänen zu fliehen, die sie erbarmungslos an die Polen, Sorben und Böhmen verkauften.« Sie waren die Besiegten, die Schwächeren. Keineswegs fehlte es ihnen an Tapferkeit und kriegerischer Kraft; denn jahrhundertelang hielten sie sich nicht nur gegen die Deutschen, sondern warfen sie zurück und wüteten unter ihnen mit derselben Grausamkeit, die sie erlitten hatten. Weichen mußten sie schließlich der größeren Leistungsfähigkeit der arbeitsamen Deutschen und der höheren Entwicklung ihrer Landwirtschaft. Ihren krummen Pflug ohne Eisen würden sie wohl nicht so lange behalten haben, wenn sie weniger unruhig, weniger träge, mehr geneigt zu andauernder, regelmäßiger Arbeit gewesen wären. Die Deutschen empfanden, solange sie einigermaßen frei und des Ertrages ihrer Arbeit sicher waren, die Arbeit nicht als Fluch, sondern als wesentlichen Inhalt ihres Lebens und Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Wie die Tüchtigkeit der Deutschen anerkannt wurde, geht daraus hervor, daß auch slawische und andere fremde Fürsten sie zur Besiedlung ins Land riefen.
Neben Heinrich dem Löwen und Adolf von Holstein waren Erzbischof Wichmann von Magdeburg und Albrecht der Bär große Kolonisatoren. Beide stammten aus der Gegend des Harzes. Erzbischof Wichmann hat das Land Jüterbog besiedelt und die Stadt Jüterbog gegründet und mit dem Magdeburger Recht beschenkt. Der schöne, lebenslustige Mann, ein treuer Anhänger des Kaisers, gehörte zu den Gegnern Heinrichs des Löwen, suchte aber doch immer eine persönliche Verständigung zu ermöglichen. Er hielt seine Stadt Magdeburg in fester Hand; aber von ihm stammt eine Urkunde, in der er bei Begründung einer Schusterinnung festsetzt, dieselbe solle keine andere als selbstgewählte Behörden über sich haben, weil Ehre und Nutzen ohne Freiheit als gemeine Knechtschaft anzusehen sei. Mit derselben Liberalität verfuhr er bei Ansetzung der Siedler; sie brauchten weder Haus- noch Bodenzins zu zahlen, bis sie einen genügenden Ertrag ihres Anbaus erzielt hatten. Albrecht der Bär hat die Altmark und die Mark Brandenburg an das Reich gebracht und mit Deutschen besiedelt. Er hatte mit dem slawischen Fürsten von Brandenburg einen Erbvertrag geschlossen, und es ist überliefert, als derselbe gestorben sei, habe seine Frau seinen Tod verheimlicht, bis der von ihr benachrichtigte Albrecht unbemerkt angekommen sei, um die Regierung zu übernehmen. Auch die Lausitzen, die jahrhundertelang ein zwischen Polen, Böhmen und Deutschen schwankender Besitz waren, wurden um diese Zeit endgültig germanisiert. Schon der berühmte Wiprecht von Groitzsch, der zur Zeit der letzten salischen Kaiser auf den Granitfelsen bei der späteren Stadt Bautzen als Markgraf mächtig waltete, hatte Franken, Holsten, Bayern und Thüringer ins Land gerufen, die in den Namen noch blühender Familien eine Spur gelassen haben. Für die Christianisierung und Germanisierung der Gegend der südlichen Elbe und ihrer Nebenflüsse waren von jeher die Bischöfe von Meißen tätig.
Was die Bauern von Westfalen, Holland, Friesland, Flandern veranlaßte, ihre Heimat aufzugeben und auszuwandern bis in die Wälder eines ungarischen Grenzlandes, wo Wolf und Luchs und Elentier heimisch waren, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Aus zeitgenössischen Andeutungen muß man schließen, daß es zum Teil Küstenbewohner waren, denen Sturmfluten das noch nicht eingedeichte Land entrissen hatten, zum Teil diejenigen Bauernsöhne, die, während der Jüngste nach holländischem und flämischem Recht den Hof erbte, ihr Glück in der Fremde zu suchen pflegten. Aber abgesehen von den besonderen Umständen ist es natürlich, daß aus dem überreich besiedelten Westen stets ein Teil der Bevölkerung abzuströmen bereit war. Man sieht, wie groß die Zahl der freien Bauern im nordwestlichen Deutschland noch gewesen sein muß, denn die Hörigen würden ihre Herren nicht in so großer Zahl entlassen haben. Daß die benachbarten Grundherren sie bedrückten und abhängig zu machen suchten, wird sie mit bewogen haben, den weiten Weg nach dem Osten zu wagen.
Deutschland konnte noch verschwenden mit Land und mit Menschen. Zahllose wurden aufgerieben, zahllose waren sofort wieder da, ebenso kampflustig, arbeitstüchtig und todbereit, und unabsehbar harrten ihrer rauhen Hände die lehmige Scholle, der Sumpf, die unendlichen Eichen- und Buchenwälder. Daß ein so weites, nur dünn bewohntes