Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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reizten jedoch den König nicht so wie das Meer; schon sein Vater hatte eingesehen, daß es eine Lebensfrage für sein Reich sei, das Meer zu erreichen, daß nur dadurch Polen in Wettbewerb mit den anderen Völkern treten könne. Es galt nun, nachdem das Land gewaltsam der polnischen Oberhoheit unterworfen war, die Bevölkerung zu christianisieren und dadurch ein wirksameres Band zu knüpfen als es das eiserne der Waffen war. Otto sagte ja zu der Aufforderung des Königs, wenn es ihm auch schwer wurde, das schöne Land, das ihm Heimat geworden war, zu verlassen; ein rüstiger Mensch weicht dem Wink des Schicksals nicht aus, am wenigsten einer Aufgabe, bei der er seine Kräfte wie nie zuvor entfalten kann. Bemerkenswert klug und vorsichtig wie ein erfahrener Mann von Welt ging er bei den Vorbereitungen der Reise zu Werke. Es war ihm bekannt, daß die Pommern halbverhungerte Asketen, die in ihr Land kamen, verachteten und voraussetzten, sie hätten es weniger auf ihr Seelenheil als auf den Überfluß ihres Landes abgesehen; um das zu vermeiden, sorgte er für ein ansehnliches Auftreten seiner Expedition und versah sich mit Stoffen und anderen Gegenständen, die er als Geschenke austeilen konnte. So erschien er in jeder Hinsicht als der Gebende, Beglückende. Die Reise ging durch den Böhmerwald nach Prag, von da über Breslau nach Gnesen, wo ihn Boleslaw empfing. Der König gab ihm einige seiner Großen als Begleiter mit, damit die Slawen gewarnt würden, sich nicht an dem unter polnischem Schutz stehenden Missionar zu vergreifen.

      Der slawische Herzog von Pommern war dem Christentum geneigt und wurde durch Otto noch mehr dafür gewonnen. Offenen Widerstand fand er in Wollin, da, wo die Trümmer der Jomsburg standen, die der Sitz dänisch-wendischer Seeräuber gewesen war; aber auch die von Wollin erklärten sich nachträglich bereit, das Christentum anzunehmen, wenn die Hauptstadt, Stettin, es täte. Wohl trugen die Drohungen und Versprechungen des polnischen Königs zum Erfolge bei, mehr aber tat die Persönlichkeit und das Wort des gütigen Bischofs. Es wird berichtet, wie er zwei vornehme Knaben, deren Lieblichkeit sich in sein Herz stahl, an sich zu ziehen wußte, wie er ihnen von der Unsterblichkeit der Seele und vom Ewigen Leben sprach und sie für das Christentum gewann, wie die Mutter, die heimlich schon Christin war, von Glück überströmt, die Getauften in ihre Arme schloß, wie der Vater, zu Tode betrübt, aus Liebe zu den Söhnen, doch auch das Christentum annahm. So mochten einzelne eine innere Wandlung erfahren, sei es, daß der fremde Bischof ihnen ein höheres Menschentum darstellte, sei es, daß sein Wort ihren Horizont aufriß und einen Ausblick in tiefere Himmel öffnete; die Mehrzahl jedoch merkte sich die Tatsache, daß der Christengott mächtiger war und besser schützte als ihre Götter, ohne den entthronten nachzutrauern oder dem neuen sich zu ergeben. Otto verfuhr immer schonend. Von den Schätzen des berühmten, schöngeschnitzten Tempels zu Stettin eignete er sich nichts an, nur das Bild des dreiköpfigen Triglav nahm er für sich, um es nach Rom zu schicken. Als eine heilige Eiche gefällt werden sollte und die Bevölkerung um ihre Erhaltung bat, indem sie versprach, sie künftig nicht anzubeten, nur als schönen Baum zu verehren, gewährte er den Wunsch, vielleicht selbst gerührt von der Pracht des alten Waldhauptes. Am meisten zeigte Otto die Überlegenheit seines Geistes, als der Herzog von Pommern benachbarte heidnische Slawen unterworfen hatte und die Gefangenen als Sklaven verkauft wurden; befreien konnte er sie nicht, aber er sorgte dafür, daß wenigstens die Schwächeren entlassen und daß die Familien nicht getrennt wurden.

      Wieder empfingen die Christen vom Charakter der heidnischen Pommern einen günstigen Eindruck: Diebstahl und Betrug kannten sie nicht, die Gastlichkeit trieben sie so weit, daß der Tisch bei ihnen immer gedeckt war, man brauchte nur zuzugreifen. Manche weigerten sich Christen zu werden, mit der Begründung, daß bei den Christen den Räubern die Augen ausgestochen und die Füße abgehauen würden; man wolle die Religion eines Landes nicht, wo es solche Verbrechen und solche Strafen gebe.

      Otto ging bis Kolberg und kehrte dann, nachdem er seine neugewonnenen Gemeinden noch einmal besucht hatte, nach Bamberg zurück. Als er einige Jahre später Pommern zum zweitenmal besuchte, reiste er mit Vermeidung der Polen über Halle, dazu bewogen wahrscheinlich durch Lothar, der inzwischen Kaiser geworden war. Lothar erreichte auch, daß Boleslaw sein Königreich von ihm zu Lehen nehmen mußte, wodurch Pommern wenigstens mittelbar mit Deutschland verknüpft wurde. Die wichtige Frage aber, welchem Erzbistum die neue pommersche Kirche unterstellt werden sollte, wurde nicht zugunsten Deutschlands entschieden. Ein Jahr nach Ottos Tode, der 1139 starb, begründete der Papst ein pommersches Bistum Wollin und unterwarf es unmittelbar dem päpstlichen Stuhl, damit die Ansprüche sowohl des Erzbistums Gnesen wie des Erzbistums Magdeburg ausschaltend, das die Bestimmungen Ottos I. für sich anführen konnte, wie eines etwaigen Erzbistums Bamberg, das Ausgangspunkt der Bekehrung gewesen war.

      Nach dem Tode Boleslaws III. sank die polnische Macht, so daß nun nur Sachsen und Dänemark um die baltische Küste kämpften. Es handelte sich zunächst um die Befriedung von Nordalbingien, dem Lande nördlich der Elbe, dem heutigen Holstein, das namentlich an der Küste von slawischen Stämmen bewohnt war. Als Nachbarn betroffen waren der König von Dänemark, der Herzog von Sachsen, der Graf von Holstein und der Erzbischof von Bremen. Als Missionar bot sich dem Herzog Lothar der tüchtige und opferwillige Priester Wizelin an. Wizelin war niedriger Geburt und stammte aus Hameln. Als junger Mann lebte er verschwenderisch in den Tag hinein, bis er sein Vermögen verzehrt hatte, dann fand er Unterkommen bei einer mildtätigen Gräfin von Eberstein, die wohl seine Begabung herausfühlte. Daß ihre Hausgenossen ihn wegen seines Mangels an Bildung hänselten, reizte seinen Stolz, er verließ das Haus der guten Frau, holte in Paderborn das versäumte Studium nach und wurde ein gelehrter und strenger Schulmeister. Nachdem er noch den Einfluß des fanatischen, später heiliggesprochenen Norbert erfahren hatte, trug er dem Herzog Lothar seinen Wunsch vor, den Slawen das Christentum zu bringen, worauf die Burg Segeberg und daneben eine Kirche gegründet wurden. Wizelin hat in Holstein teils aus Granit, teils aus Backstein die kleinen wetterfesten Kirchen gebaut, von denen viele, wenn auch nicht unverändert, noch stehen und seinen Namen tragen. Unermüdlich wanderte er durch das Land und predigte, immer wieder zerstörten die Heiden, was eben aufgebaut war. Unwirtlich, öde, armselig war die Gegend, der Wind pfiff über kahle Felder und Sümpfe. Wenn die Glocke läutete, folgten nur wenig Gläubige ihrem Ruf, wenige brachten dem alten Bischof eine Gabe. Die weltlichen Gewalten erschwerten durch Härte und Habgier seine Aufgabe mehr, als daß sie ihm nützten. Sein Nachfolger, Bischof Gerold, ein Schwabe, klein von Körper, aber großen Geistes, wollte einst, es war im Jahre 1156, in Aldenburg die Weihnacht feiern. Er fand einen verödeten Ort, ohne Mauern, ohne Einwohner, ohne Kirche, nur eine kleine von Wizelin errichtete Kapelle gab es; das war sein Bischofssitz. Schaudernd vor Kälte und im Gefühl eisiger Einsamkeit zelebrierte er zwischen Haufen von Schnee das heilige Amt, wobei niemand außer Pribislaw, dem Fürsten der Slawen, und dessen Begleiter seine Gemeinde waren. Er mußte dankbar sein, daß Pribislaw ihn nach dem Gottesdienst in ein entferntes Dorf führte und zu einem reichlichen Mahl einlud. Als Gerold den Slawenfürsten aufforderte, sich taufen zu lassen, setzte ihm dieser die traurige Lage seines Volkes auseinander. Sie würden von den christlichen Fürsten so mit Abgaben überfordert, so aufs äußerste ausgepreßt, daß für sie der Tod besser als das Leben wäre. Das Land verlassen und sich anderswo ansiedeln könnten sie nicht, denn überall drohe das gleiche Elend, sie wären also gezwungen, auf das Meer zu gehen und Seeraub zu treiben. Gerold glaubte die Anklage abweisen zu müssen; sie sollten Christen werden, sagte er, wie die Sachsen und alle übrigen Völker, dann würde man sie nicht mehr quälen. Pribislaw entgegnete, wenn der Herzog wollte, daß sie den Glauben der Sachsen teilten, solle er ihnen auch die gleichen Güter geben und die gleichen Zehnten von ihnen fordern.

      Das Wort von der Liebe Gottes verhallte in den mörderischen Kämpfen wie ein menschlicher Hilferuf im Tosen von Meer und Sturm. Derjenige, der ihnen schließlich ein Ende machte, Heinrich der Löwe, ließ Gott und Christentum so ganz beiseite, daß die Geistlichen seinen Weg nicht ohne Mißbilligung verfolgten. Heinrich der Löwe, 1129 wahrscheinlich in Ravensberg geboren, erlebte als Kind die Ächtung seines Vaters, den Sturz seines Hauses und wurde durch solche Eindrücke besonders früh zur Teilnahme an den allgemeinen Angelegenheiten geführt. Mit zehn Jahren verlor er den Vater, mit zwölf Jahren die stolze, hochangesehene Großmutter, die alte Kaiserin Richenza, die ihn zum Vertreter der sächsischen Ansprüche und im Haß gegen die Staufer erzogen hatte. Mit achtzehn Jahren trat er mit seiner Forderung, in die bayrische Herzogswürde wieder eingesetzt zu werden, hervor, die sein Vetter, Friedrich I., sowie er konnte, befriedigte. Obwohl dunkel von Haar und Augen, war er mehr Sachse


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