Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3) - Ricarda Huch


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einmal wie im Scherze, Ramée verstehe wohl die Kunst, die Karten mit den Fingern zu sehen. Nein, sagte Ramée, während ein diabolisches Lächeln um seinen Mund lauerte, er habe nur die Gewohnheit, vor dem Spiel dreimal auf die Karten zu klopfen und dabei für sich zu sprechen: ›Im Namen der heiligen Jungfrau‹; das helfe zum Gewinnen, der Herzog könne es auch versuchen. Der Herzog spielte und verlor daraufhin weiter, ohne etwas zu sagen, und sehnte den Tag herbei, wo der Zahlmeister aus Prag einträfe.

      Endlich sagte Ramée, er müsse die Truppen nun in ein anderes Quartier führen, wenn sie nicht alle Hungers sterben sollten. Der Herzog habe ja nicht einmal eine Vollmacht, man könne nicht wissen, ob er wirklich einen Auftrag vom Kaiser empfangen habe. Wie er es wagen könne, seine fürstliche Ehre anzutasten, schrie der Herzog zornig; wer er sei, sich solcher Sprache gegen einen Reichsfürsten zu unterstehen! Der Herzog solle sich nicht aufregen, sagte Ramée, wenn das Geld komme, sei er bereit, ihn um Verzeihung zu bitten. Unterdessen möge er die Truppen beschwichtigen, die sich zusammengerottet hätten und ihren Sold verlangten. Dazu erklärte sich der Herzog bereit, rüstete sich, stieg zu Pferde und ließ sich von Ramée auf einen Platz führen, wo die Meuterer in einem Haufen zusammenstanden. Bei seinem Anblick erhob sich ein lautes Murren, Pfeifen und Aneinanderschlagen der Waffen, auch an drohenden Gebärden und Zurufen fehlte es nicht. Wütend sprang der Herzog vom Pferde, riß einem eine Trommel aus der Hand, schlug mit dem Griff seines Schwertes darauf und verschaffte sich endlich Gehör, worauf er sagte, die Truppen hätten zwar ein Recht auf ihren Sold, aber ihn auf diese meuterische Art zu verlangen, stehe rechtschaffenen Soldaten nicht zu. In zwei Tagen werde das Geld eintreffen, er stehe mit seinem fürstlichen Wort dafür, so lange sollten sie sich gedulden.

      Nach Verlauf dieser Zeit suchte Ramée den Herzog auf und sagte mit seinem teuflischen Lächeln, wenn der Herzog nach Prag zurück wolle, biete er ihm ein Geleit von zuverlässigen Leuten an, die ihn auf verborgenen Wegen aus Passau führen sollten, damit er das Lager vermeide. Er für seinen Teil glaube wohl, daß der Herzog es ehrlich gemeint habe, die wilde Soldateska könne sich aber leicht einbilden, er habe ihnen eine Falle aufgestellt, und ihren Zorn an seiner Person auslassen, zumal er kein Katholik sei.

      Trotz seines Mißtrauens und heimlichen Ärgers entschloß sich der Herzog, das Anerbieten des Ramée anzunehmen, und machte sich bei einbrechender Dämmerung nach Prag auf. Die Pistole im Gürtel, folgte er zu Pferd zwei Bewaffneten, die ihn über Hügel und durch Wälder an einem vereisten, krachenden Fluß entlang verwachsene Pfade führten, nicht wenig froh, als er an der Grenze des Bistums wohlbehalten auf der gemeinen Heerstraße anlangte. In Prag warteten seiner neue Enttäuschungen und Widerwärtigkeiten, indem der Kaiser sich nicht sehen ließ und die böhmischen Stände ihn, den Herzog, mit Vorwürfen anfielen und ihr Geld von ihm zurückforderten, das sie auf sein Wort hergegeben hätten, das aber nicht auf den ihnen vorschwebenden Zweck verwandt sei.

      *

      Johannes Kepler bewohnte auf der Kleinen Seite, nicht weit vom Schlosse, ein Haus, in dessen dunklen Räumen seine Frau sich heimisch zu fühlen niemals gelernt hatte: ihr fehlte die frische, heitere Luft der Steiermark, aus der sie stammte, der harmlose Frohsinn ihrer Landsleute, die Familie und das sorglose Wirtschaften, an das sie in ihrem Elternhause gewöhnt gewesen war. Da ihr Mann das Gehalt, auf das er Anspruch hatte, fast niemals erhielt, fehlte es immer an Geld, und es kam vor, daß sie die Wäsche und die Gewänder, die sie für sich und die Kinder brauchte, nicht anschaffen konnte. In den ersten Jahren hatte sie ihren Mann gedrängt, beim Kaiser auf der richtigen Auszahlung des Gehaltes zu bestehen, obwohl sie sah, daß ihm das schwer wurde, und merkte, daß es nicht nützte; später jedoch tat sie es nicht mehr, hörte überhaupt auf, irgend etwas ändern zu wollen, sondern wurde untätig und starrte oft stundenlang in schwermütigen Gedanken vor sich nieder. Ihr einst liebliches Gesicht fing an abgezehrt und ältlich auszusehen, und ihre schönen Augen hatten oft einen verstörten Ausdruck und wichen dem Blick anderer scheu aus. Gegen die Mitte des Februar erkrankte ein Kind, ein zierliches braunes Mädchen mit geheimnisvollen Augen und wunderlichen, phantastischen Einfällen, das Kepler besonders liebte. Es war Nachmittag und dämmerte schon im Wohnzimmer, als die Frau, die im Schatten saß, plötzlich aufschrie, weil es stark an die Haustür geklopft habe; die Gerüchte von dem Herannahen der Passauer Truppen machten sie reizbar und ängstlich. Kepler, der das kranke Kind im Arme hatte, trat an das Fenster und blickte auf die Gasse; drunten sei alles still, sagte er beruhigend zu seiner Frau, sie müsse sich getäuscht haben. Indessen war es der Leibarzt des Kaisers, Doktor Altmanstetter, der als ein Freund des Hauses sich nach dem Befinden der Kranken umsehen wollte und gleich darauf in das Wohnzimmer trat. Wie es auf der Burg stehe? fragte Kepler; ob sich der Kaiser bequemt habe, die Passauer aufzuhalten?

      Es sehe böse oben aus, sagte Altmanstetter. Der Kaiser habe zuletzt wohl oder übel nachgeben und Befehl ausgehen lassen müssen, daß die Passauer aus Böhmen gingen; aber sie rückten gleichwohl an, da sie den Befehl für erzwungen hielten und des Kaisers eigentliche Meinung besser kennten. Selbst der Lobkowitz habe den Kaiser gewarnt, nur der Martinitz und der Slawata hätten ihm beigestanden und bliesen in das Kriegshorn; der spanische Gesandte solle so entrüstet über den Bischof von Passau, nämlich den Erzherzog Leopold, sein, daß er gesagt habe, da er nicht ruhig sitzen könne, solle man ihn laufen oder hängen lassen.

      Die Frau jammerte, was aus ihnen werden solle, wenn das Kriegsvolk in Prag einfiele? Die Evangelischen würde es gewiß nicht am Leben lassen. Altmanstetter tröstete sie, es gelte den Ständen, sie sollten gezwungen werden, den Majestätsbrief wieder herauszugeben, und mit den Häuptern, als Thurn, Budowa und Kinsky, hätte man auch vielleicht etwas Blutiges vor. Kepler aber gehöre dem kaiserlichen Hofstaat an und habe nichts zu besorgen. Sie sollten nur für die Nacht das Haus gut verschließen. Das fiebernde Kind, das still zugehört hatte, hob jetzt den Kopf und sagte, es fürchte sich nicht vor den Soldaten, denn wenn sie sie umbrächten, kämen sie in den Himmel, mit Ausnahme des Doktors, der könne nicht mit hinein. Dieser lachte, setzte sich zu dem Kinde, das ihn schalkhaft anlächelte, und wollte wissen, warum er nicht in den Himmel kommen könne. Es stehe geschrieben, sagte es endlich, die Pforte zum Himmel sei eng, da werde der Doktor wohl nicht hindurchkommen. Hierüber lachte er laut und herzlich, daß sein umfangreicher Leib schütterte, und noch während er die Treppe hinunterging, hörte man sein Gelächter. Kepler herzte sein Kind und trug es in sein Bett zu den Geschwistern, worauf er wieder zu seiner Frau zurückkehrte. Er wollte noch in die Dachkammer gehen, um die Sterne zu beobachten, sagte er, weil die Nacht so klar sei; sie solle unterdessen die Magd hereinrufen, damit ihr die Weile nicht lang werde. Ob er denn durchaus hinaufgehen müsse? sagte sie schüchtern. Er möge ihr nur zuvor sagen, ob die Stelle aus der Offenbarung auf die Passauer zu deuten sei: ›Und die Zahl des reisigen Zeuges war vieltausendmal tausend; und ich hörete ihre Zahl. Und also sah ich die Rosse im Gesicht, und die darauf saßen, daß sie hatten feurige und gelbe und schwefelichte Panzer, und die Häupter der Rosse wie die Häupter der Löwen, und aus ihrem Munde ging Feuer und Rauch und Schwefel.‹

      Nicht doch, sagte Kepler ungeduldig, das beziehe sich auf längstvergangene Zeiten; aber Rosse mit Löwenköpfen hätte es nach seiner Meinung selbst damals nicht gegeben, das werde wohl ein Symbol oder ein Geflunker sein. Sie solle sich doch mit dem vielen Bibellesen die Gedanken nicht schwer machen.

      »Was sollte ich wohl sonst tun?« sagte sie traurig, indem sie ihn aus ihren dunklen Augen ansah. Ein peinliches Gefühl zog sein Herz zusammen; sie solle jetzt ein wenig mit der Magd plaudern, sagte er, er komme bald wieder und bleibe dann bei ihr. Damit ging er schnell aus der Tür und stieg die schmale Treppe zu dem Dachstübchen hinauf, wo er zu arbeiten pflegte und wo ein Schemel an dem niedrigen Fenster stand. Da das Haus hoch lag, konnte er die Alte und die Neue Stadt jenseit der Moldau überblicken: wie eine geängstete, in die Hürde zusammengedrängte Herde schienen die Häuser sich eins am anderen verbergen zu wollen. Dicht über dem Horizonte, der Erde zugehörig, hing der abnehmende Mond, eine trübe Laterne am Stabe eines armen Hirten; aber hoch oben begannen die Sterne aus schwarzen Schluchten an ihre Stelle zu treten. Wie Kepler den Blick hinaufrichtete und die vertrauten Erscheinungen aufsuchte, fielen die Sorgen, die ihn noch eben bedrückt hatten, von ihm ab; er ging denselben Weg und trank dieselbe Luft wie die Dämonen des Himmels, vernahm nichts mehr als die labyrinthische Fuge ihrer diamantenen Bahn. Ja, von allen Sterblichen war er es, der ihre unberührbaren Spuren gefunden, ihre geheimnisvollen Verschlingungen entwirrt hatte.


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