Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3) - Ricarda Huch


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Todessprung in den Raum gewagt, und anstatt daß er an der Feste zerschmetterte, rissen geschmiedete Ketten und öffneten sich verschlossene Pforten, durch die die Unendlichkeit wie Frühling hereinquoll und ihn trug. Ihn, das dürftige Tier der Erde, hatte die Welt als ihren Bürger empfangen, da er sie durchdacht und entdeckt hatte. Er stand auf, öffnete das Fenster, durch das die kalte Winterluft eindrang, und beugte sich hinaus; eine mächtige Trunkenheit schien ihn in den mit Göttlichkeit erfüllten Abgrund hinabzuschleudern, dem er sich gleich fühlte, er, auch bodenlos und von göttlichen Gedanken überfließend. Wie er sich um Welten schwang, durchströmten ihn Welten; an dem winzigen Fenster eines zerbrechlichen Hauses stand er und lenkte sie an dem unentrinnbaren Bande seines Geistes.

      Aus diesem Taumel schreckte ihn plötzlich verworrener Lärm, der, wie er glaubte, aus der Richtung des Südtores herkam. Er horchte einen Augenblick hinaus, schloß das Fenster und lief die Treppe so hastig hinunter, daß er stolperte. Als er in das Wohnzimmer trat, warf sich seine Frau an seinen Hals; die Magd lief betend und jammernd hierhin und dorthin. »Siehst du,« sagte die Frau, »es kommt doch so, wie es von den Reisigen geschrieben steht: ›und von diesen ward ertötet das dritte Teil der Menschen‹.« Kepler sagte beruhigend, so groß sei die Gefahr nicht, die Stände hätten auch Truppen und würden die Stadt wohl verteidigen. Sie könnten auch auf die Burg flüchten, dort wären sie ganz sicher, der Kaiser würde ihnen ein Obdach nicht versagen. Vom Kaiser, rief sie entsetzt, gehe ja das Morden aus, er werde sie so wenig sparen, wie Karl IX. seinen Admiral Coligny geschont hätte. Lieber wolle sie ihre Kinder von den Soldaten aufgespießt sehen, als sie dem alten Satan auf der Burg ausliefern. Indem sie so sprach, öffnete sich leise die Tür, und das kleine Mädchen trippelte auf bloßen Füßen im langen Nachtkittel herein und sagte mit heller Stimme, die Eltern sollten dableiben, damit sie miteinander in den Himmel gingen. »Ist Herr Altmanstetter nicht da?« fragte es, indem es neugierig um sich blickte; »ich möchte ihn gern zur Hölle fahren sehen.« Kepler raffte das kleine Mädchen an sich und wickelte es in ein Tuch; um die anderen Kinder nicht zu wecken und dadurch die Unruhe zu vermehren, trug er es nicht in die Schlafkammer zurück.

      Indessen war der Lärm nähergekommen, man hörte Geschrei und das Krachen von Schüssen. Während die Magd betete, flüsterte Keplers Frau, angstvoll in einen Winkel stierend: »Ich höre das Blut durch die Gasse rinnen, ich höre es von den Dächern tropfen, ich höre es über die Stiege hinunterfließen«, und wieder von vorne und weiter. Plötzlich erdröhnten Fußtritte dicht unter den Fenstern, und gleich darauf krachte eine Tür, wie wenn mit Keulen dagegen geschlagen würde. Es sei im Nachbarhause, sagte Kepler, der, das Kind auf dem Arme, am Fenster stand, hatte aber noch nicht ausgesprochen, als gellendes Geschrei ertönte, ausgestoßen von auf der Straße oder im Nebenhause Überfallenen. Im gleichen Augenblick schrie auch die Magd auf, die bis dahin laut gebetet hatte, und wie Kepler sich umdrehte, sah er seine Frau mit den Armen in die Luft greifen und dann in einem Krampfe bewußtlos zu Boden stürzen.

      Während Kepler sich um Frau und Kind bemühte, wälzte sich die Schar der Söldner weiter, angeführt vom Erzherzog Leopold und bekämpft von den ständischen Truppen, deren jedoch zu wenige waren, um sie zurückzuwerfen. Einer kleinen Abteilung gelang es, über die Moldaubrücke in die Altstadt zu dringen, dort aber wurden sie bis auf wenige getötet; denn die Bürgerschaft hatte Zeit gehabt, sich zu bewaffnen, und wehrte sich ingrimmig. Nachdem die Eindringlinge überwältigt waren, warf sich die entfesselte Kampflust auf die in der Stadt befindlichen Gegner, Klöster von Jesuiten und Kapuzinern, die, von niemandem verteidigt, greuelvoll ausgemordet wurden. In der Kleinseite quartierten sich die Passauer ein und wirtschafteten gewalttätig; aus Angst vor Marter und Mord verließen viele Bewohner ihre Häuser und irrten auf der Straße umher, bis die Sorge um ihre Habseligkeiten sie wieder zurücktrieb.

      Einen wichtigen Fang hatten die Söldner mit den Personen der Grafen Thurn, Wenzel, Kinsky und Fels von Colonna getan, die, zum Teil verwundet, vom Erzherzoge gefangengehalten wurden. Ramée redete ihm zu, sie ohne weiteres zu töten, er selbst erbiete sich zur Exekution; Graf Sulz hingegen beschwor den Unschlüssigen, sich nicht durch Mord zu beflecken. Solange sie lebten, stifteten sie Schaden, sagte Ramée, man brauche nicht soviel Aufheben von ein paar ketzerischen Schuften zu machen. – Der Kaiser könne sie vor ein Gericht stellen, sagte Sulz, vielleicht könne man sich auch mit ihnen vertragen, indem man ihnen Geld oder hohe Ämter anbiete. »Es ist genug,« sagte er zu Leopold, »daß das Volk Euch mitten unter Banditen gesehen hat, die rauben und morden, als ob dies ihr Geschäft sei. Ihr habt die Kirche in Eurer Person bloßgestellt. Hätte ich gewußt, daß es dahin kommen könnte!«

      Das hätte er freilich wissen können, sagte Ramée höhnisch. Ob er gedacht hätte, sie sollten bescheiden wie Bettler anklopfen und demütig um den Sieg flehen als um ein Almosen? Wo Sulz bisher Krieg geführt hätte, und ob die Söldner da einen Bettelsack trügen anstatt Schwerter und Lanzen?

      Inzwischen war der Kaiser gehobener Stimmung und ließ niemanden von denen vor, die ihn anflehen wollten, durch einen entschiedenen Befehl den Greueln und Leiden Unschuldiger Einhalt zu tun. Anstatt dessen unterhielt er sich mit dem Maler Bloemart, der aus Rom zurückgekehrt war und ihm ein Bild des deutschen Malers Adam Elsheimer beschrieb, das er gesehen hatte und das die Zerstörung Trojas darstellte. Keiner habe zuvor vermocht, erzählte er, auf ein Bild zu malen, was ohne Umriß mit dem Raum selbst zusammenflösse: stürmische Finsternis, glühende Nacht. Auf dieser Tafel habe der wunderbare, in gedankenvolle Schwermut versunkene Mann gleichsam sich selbst zur Erscheinung gebracht: seinen erlöschenden Geist bewundere man in der Flammenpracht der zusammenstürzenden Burg und dem Untergang des herrlichen Volkes. Begierig hörte der Kaiser zu und wünschte das Bild zu besitzen, es koste, was es wolle; wenn Elsheimer nach Prag kommen und in seinen Dienst treten möchte, so solle es ihm an nichts fehlen, kürzlich sei der alte Spranger gestorben, er könne dessen Witwe heiraten und sich gleich in ein gepolstertes Nest setzen.

      Am zweiten Abend nach dem Einfall der Passauer gelang es doch Hannewald und dem Grafen Sulz, zum Kaiser vorzudringen, der mit Rhutsky beim Brettspiel saß und die Herren zum Mitspielen einlud. Ach Gott, sagte Graf Sulz, hätte der Kaiser den Jammer gesehen, der unten in der Stadt herrsche, möchte es ihm das Spiel verleiden. Er wäre eben auf dem Wege zur Burg einer Frau begegnet, die hätte den blutüberströmten Leichnam eines kleinen Kindes auf dem Arm getragen und singend hin und her gewiegt; unter den Fenstern der Burg ständen Verzweifelte und heulten zum Kaiser hinauf um Hilfe; ob er es nicht höre? Es sei, als hätte die Hölle einen Spalt aufgetan und ihre Greuel herausgelassen.

      Die Leute hätten es nicht anders haben wollen, sagte der Kaiser gleichgültig, die Stadt hätte es mit den Rebellen gehalten, nun dürfe man die Soldaten in ihrem Geschäft nicht stören. Sie sollten sich keine Mühe geben, ihn zu erweichen, er wolle fest bleiben.

      Was denn aber werden solle? fragte Sulz, die Hände ringend. Es sei dem Erzherzoge nicht gelungen, die Altstadt zu erobern, auch auf der Kleinen Seite fasse sich die Bürgerschaft jetzt zum Widerstand zusammen. Matthias sei im Anrücken, die Stadt werde sich mit ihm verbünden, dann sei der Kaiser verloren. Ramée denke nur an Raub und wie er seine Beute vor der Ankunft des Matthias in Sicherheit bringen könne. Hätte man sich doch nie mit dem Wüterich eingelassen! Jetzt kam aber auch Leopold und flehte den Kaiser an, sich nicht abwendig machen zu lassen. Würde der Kaiser nur fest zu ihm halten, so sei noch nichts verloren. Er hätte Verbindungen in der Altstadt und könne Feuer anlegen lassen, wenn der Kaiser ihn dazu ermächtige; es sei besser, daß Prag in Flammen aufgehe, als daß es dem Feind in die Hände falle und der Kaiser zugleich. Während die übrigen Leopold wegen eines solchen Vorschlags tadelten, trat der Kaiser an das Fenster und stellte sich vor, wie wohl es ihm täte, wenn er die treulose Stadt in Feuersnot zu seinen Füßen sich winden, den Rauch über die Vernichtung sich hinwälzen sähe. Er ärgerte sich über seinen Neffen, der auf seinen Befehl zu der Brandstiftung wartete; auch er hatte nicht Mut zu handeln, sondern wollte die Verantwortung für die Tat auf ihn wälzen, solcher Diener bedurfte er nicht, sondern kluger und entschlossener, die seinen Willen erkannten und ausführten, bevor er noch selbst es wußte. Dazwischen kam die Furcht vor Matthias, der mit jedem Augenblick an der Spitze eines Heeres näherkam. War es nicht besser, wie Hannewald riet, Leopold und seine Genossen zu verleugnen und Frieden mit den Ständen und der Stadt zu machen, so daß Matthias vor verschlossene Türen käme und wieder abziehen müßte?

      Noch


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