Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3) - Ricarda Huch


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      Von Neuburg führte Wolfgang Wilhelm seine Frau nach Düsseldorf und hätte sich der neuen Würde uneingeschränkt freuen können, wenn sein Beichtvater ihn nicht gedrängt hätte, nunmehr seine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche offen zu bekennen, weil dies zum Heil seiner Untertanen, die sich ihm anschließen würden und müßten, notwendig sei. Wolfgang Wilhelm wagte keinen Gegengrund zu äußern und ordnete, da es einmal sein mußte, die Zeremonie festlich an, damit das vorauszusehende Murren des Volkes durch einen bedeutenden Eindruck überwältigt werde.

      An den Hof von Neuburg waren zuweilen Gerüchte von einer großen Veränderung gedrungen, die in Düsseldorf im Schwange sei; aber Philipp Ludwig hatte es nicht laut werden lassen und sich einzureden gesucht, daß ein solcher Verrat seines Sohnes unmöglich sei. Endlich ließ er den Heilbrunner zu sich rufen und fragte ihn, indem er ihn scharf ansah, ob er glaube, daß Wolfgang Wilhelm seinen Gott und seinen Vater zugleich verraten habe? Heilbrunner schwieg eine Weile mit niedergeschlagenen Augen; dann sagte er: »Weil Euer Gnaden es mir befehlen, so will ich antworten. Ich habe mich lange gesträubt, es zu glauben, und mit Gott deswegen gestritten. Abraham hat Isaak unschuldig geopfert und David Absalom schuldig, und beide waren treue Knechte Gottes. Wir müssen kämpfen und ausharren bis ans Ende: das von Euer Gnaden und meines sind nicht mehr fern.« Hierauf setzte sich Philipp Ludwig an seinen Schreibtisch und forderte von seinem Sohne eine runde, offene Erklärung, die denn auch erfolgte. Wolfgang Wilhelm und Magdalena schrieben zusammen in höflichen, entschiedenen Worten, daß es so sei und nicht anders sein könne und daß sie hofften, der Vater werde es ihm, Wolfgang Wilhelm, nicht verargen, daß er nach seiner Überzeugung gehandelt habe.

      Das Blatt zitterte in den Händen des alten Mannes, während er las, und die Tränen begannen ihm langsam über das Gesicht zu laufen. Sein Herz war so hart geschlagen, daß er nicht einmal in der Bibel Trost finden konnte. Nicht nur der Abfall seines Sohnes war es, der ihn bekümmerte, sondern der Gedanke an die bitteren Folgen, die für seine armen Untertanen daraus erwachsen mußten, wenn der Abtrünnige ihnen seinen Irrglauben aufzwingen würde. Viele Stunden verbrachte er in leisem Gespräch mit seiner Frau, lange saß er aber auch allein, von einem drohenden Schwall teuflischer Zweifel geängstigt. Warum ließ Gott es zu, daß die Arbeit seines Lebens zunichte gemacht werde, sein Gärtlein, in dem er das Unkraut des Unglaubens und des Lasters ausgejätet, wo er Frömmigkeit, Ordnung und Tugend gesät und aufgehen gesehen hatte, von seinem eigenen Sohne verwüstet wurde? Er hatte geglaubt, der Segen Gottes ruhe auf seinem Tagewerk, und nun sollte sein brechendes Auge es scheitern sehen. War es eine ihm auferlegte Prüfung, wie konnte Gott den Verlust so vieler Seelen damit verbinden?

      Den ernstlichen Vorstellungen Heilbrunners, man müsse sich dem Verhängnis Gottes auch dann unterwerfen, wenn man es nach seinem schwachen menschlichen Verstande nicht begreife, fügte er sich, insofern er nicht laut klagte; anstatt dessen beschäftigte er sich in großer Unruhe damit, das Unheil, soviel an ihm war, von seinem Lande abzuwenden. Nachdem er dem Sohne in ernsten Worten sein Unrecht vorgehalten hatte, forderte er von ihm ein bündiges Versprechen, in seinem väterlichen Erblande die Augsburgische Konfession nicht antasten noch ausländische Beamte dort einführen zu wollen, welches Wolfgang Wilhelm nach langem Zögern auch gab, dabei die Unverbrüchlichkeit eines Fürstenwortes betonend. Dann band er seinem zweiten und seinem dritten Sohne, August und Johann Friedrich, aufs Herz, dem reinen Glauben, in dem sie auferzogen wären, unerschütterlich anzuhangen, sich durch keinen irdischen Vorteil, Bedrohung oder Verlockung abwendig machen zu lassen, auch stets für ihre Untertanen, wenn diese etwa trotz aller Verträge von Wolfgang Wilhelm bedrängt werden sollten, väterlich zu sorgen und einzuspringen, da Gott die Seelen der Untertanen von den Fürsten fordern werde. Augusts aufrichtiger Blick und treues Wort beruhigten ihn über dessen Zukunft, für den schwachen und etwas vergnügungssüchtigen Johann Friedrich dagegen mußte der ältere Bruder die Verantwortung mit übernehmen. Heilbrunner und die übrigen Geistlichen erhielten den Auftrag, an jedem Sonntag die Gemeinde auf die bevorstehende Gefahr aufmerksam zu machen und sie zur Glaubenstreue zu vermahnen. Es herrschte im ganzen Ländchen Betrübnis und Sorge, und aus freien Stücken beteten alle täglich, Gott möge ihren frommen Fürsten erhalten und das Übel von ihnen abwenden.

      Nichtsdestoweniger ging das Leben des schon lange gichtleidenden alten Fürsten schnell zur Neige. Er änderte nichts in seiner Lebensführung, stand in der Morgenfrühe auf, aß zur Mittagszeit seinen Brei, obwohl er ihm fast zuwider war, arbeitete mit seinen Räten und las zur bestimmten Stunde in der Bibel; aber seine Angehörigen sahen ihn oft mitten in der Beschäftigung einschlafen oder leer vor sich hin stieren, während ihm Tränen aus den Augen schlichen. In den ersten Tagen des August ließ er die Frömmsten und Redlichsten aus der Bürgerschaft, wie die Prediger sie vorschlugen, zu sich auf das Schloß fordern, um ihnen Maßregeln für ihr Verhalten nach seinem Tode zu geben. Sie würden nun bald, redete er sie an, eine Herde ohne Hirten sein und könnten leicht den Wölfen, die jederzeit umgingen, zur Beute fallen. Zwar würden seine Söhne ihnen fürstlich und getreulich vorstehen, und Heilbrunner würde ihnen nach wie vor Gottes Wort auslegen und sie zum Guten anhalten, aber sie wüßten ja wohl auch, wie böse die Zeitläufte wären, welche Macht der Teufel auf Erden besäße und wie weit der päpstliche Antichrist seine Schlingen würfe. Da müßten sie denn auch selbst mit Beständigkeit gewappnet sein, wenn sie die Prüfung bestehen und dereinst den Himmel gewinnen wollten. Danach fragte er viele von ihnen einzeln, wie sie sich verhalten würden, wenn sie mit Gewalt zur Messe gezwungen werden sollten, ob sie sich fügen oder Hab und Gut preisgeben, auswandern und ihre irdische Zukunft Gott anheimgeben wollten. Einige Männer sagten, sie hofften das Beste, aber landsfremde Bettler würden nirgends gern gesehen, man müsse auch für Weib und Kind Sorge tragen; einige Frauen, sie würden sich nach dem Willen ihrer Männer verhalten; aber ein paar alte Männer und alte Witwen sagten, von Gottes Wort würden sie nicht lassen, sollten sie auch darüber Leib und Gut verlieren müssen, und sie würden dem Herzog gleich die Hand darauf geben.

      Er wisse wohl, daß die Prüfung hart sei, sagte Philipp August, aber himmlischer Lohn harre des Überwinders, und er wolle auch hier und dort für sie beten. Dann prägte er ihnen ein, seinen Söhnen Gehorsam zu leisten, wenn er bald nicht mehr sein werde, und sagte ihnen Lebewohl, worauf alle unter herzzerbrechendem Schluchzen auseinandergingen.

      Einige Tage später fiel der alte Herzog beim Aufstehen in Ohnmacht, erholte sich aber wieder und ließ sich vollends ankleiden, wennschon die Ärzte Bedenken äußerten und Familie und Dienerschaft sich kopfschüttelnd daran erinnerten, daß man den 12. August schrieb, also gerade drei Monate nach dem Übertritt Wolfgang Wilhelms in Düsseldorf verflossen waren. Wie alltäglich nahm er dann an einer Sitzung der Räte teil und ließ sich von Heilbrunner ein Kapitel aus der Bibel erklären, um doch für alle Fälle auf das Ende vorbereitet zu sein. Beim Mittagessen, das bald nach zehn Uhr stattfand und an dem seine Gemahlin, seine Söhne, Heilbrunner und ein Arzt teilnahmen, legte er plötzlich den Löffel aus der Hand und schlief ein, um nicht mehr zum Leben zu erwachen.

      Der Todesfall rief unendlichen Jammer im neuburgischen Lande hervor; nun, hieß es im Volke, würde man das Schicksal des benachbarten Donauwörth erleiden, wo die Schlechten, die ihren Glauben verrieten, Anstellungen und Ämter erhielten und straflos die Besseren quälen und unterdrücken dürften. Es waren in den letzten Jahren viele Donauwörther nach Neuburg gezogen, und diese sahen nun kommen, daß ihres Bleibens auch hier nicht wäre, sondern daß sie weiterwandern müßten, ärmer und hoffnungsloser als zuvor.

      Im Februar des folgenden Jahres, nämlich 1615, hielt Wolfgang Wilhelm seinen Einzug in Neuburg und erklärte rundweg, von seinem Erbrecht nichts aufgeben zu wollen, worauf sich August und Johann Friedrich, um nur etwas zu bekommen, zu einem Vertrage bequemten, der jeden von ihnen mit einem kleinen Gebiet abfand, August mit Sulzbach und Johann Friedrich mit Hilpoltsheim, so aber, daß dem Ältesten, Wolfgang Wilhelm, auch über diese Landesteile die Oberhoheit zustand. Traurig verließen die verwitwete Herzogin und ihre Söhne das Neuburger Schloß, denen bald auch Jakob Heilbrunner, von der neuen Regierung verabschiedet, folgte.

      War die neuburgische Vermählung unheilvoll für die evangelische Sache gewesen, so wurde in dem älteren Zweige der pfälzischen Familie im selben Jahre eine gefeiert, die den Verlust reicher einbringen zu sollen schien: der junge, eben mündig gewordene Kurfürst Friedrich V. nämlich führte die englische Prinzessin


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