Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
des Speisezimmers nahm einen herben, spröden Charakter an. Aus den hellgelben Eichenmöbeln, der allzu blanken Lampe, der neuen Matte fühlte Florent einen Vorwurf, eine Art Verurteilung heraus. Er wagte kaum mehr zu essen, aus Furcht, daß er Brotkrümchen fallen lassen, seinen Teller beschmutzen könnte. Indes war er zu einfältig, um die Lage klar zu sehen. Überall pries er die Sanftmut Lisas. Sie blieb in der Tat sehr sanft; sie sagte ihm lächelnd, wie im Scherze:
Es ist sonderbar: Sie essen jetzt nicht schlecht und werden doch nicht fetter ... Es bekommt Ihnen nicht gut.
Quenu lachte noch lauter, schlug seinem Bruder auf den Bauch und behauptete, daß der ganze Metzgerladen seinen Weg durch diesen Bauch nehmen könne, ohne für zwei Kreuzer Fett daselbst zurückzulassen. Allein in der Beharrlichkeit Lisas lag jener Haß, jenes Mißtrauen gegen die Mageren, das die Mutter Méhudin noch schroffer bekundete; es lag darin auch eine versteckte Anspielung auf das regellose Leben, das Florent führte. Sie sprach übrigens vor ihm niemals von der schönen Normännin. Als Quenu eines Abends einen Scherz wagte, ward sie so eisig kühl, daß der würdige Mann sogleich abließ. Nach dem Nachtisch saßen sie noch eine Weile beisammen. Florent, der bemerkte, daß seine Schwägerin verstimmt sei, wenn er zu früh wegging, suchte ein Gespräch anzuknüpfen. Sie saß ganz nahe bei ihm; er fand sie nicht so warm, nicht so lebendig, wie die Fischhändlerin; sie hatte auch nicht den scharfen, durchdringenden Fischgeruch; sie hatte den faden Geruch der Fette, der Braten. Kein Frösteln warf eine Falte an ihrem straff gespannten Leibchen. Die allzu feste Berührung der schönen Lisa beunruhigte seine mageren Knochen noch mehr, als die zarte Annäherung der schönen Normännin. Gavard sagte ihm einmal vertraulich, daß die Quenu sicherlich eine schöne Frau sei, aber, daß er die Frauen weniger »gepanzert« liebe.
Lisa vermied es, mit ihrem Gatten von Florent zu reden. Gewöhnlich trug sie große Geduld zur Schau. Auch hielt sie es für ein Gebot der Rechtschaffenheit, sich nicht ohne sehr ernste Gründe zwischen die zwei Brüder zu stellen. Wie sie zu sagen pflegte, war sie sehr gut, durfte aber nicht zum Äußersten getrieben werden. Sie war in einer Periode der Nachsicht; ihr Gesicht blieb stumm, ihre Höflichkeit tadellos; sie heuchelte Gleichgültigkeit und vermied sorgfältig alles, was den Beamten hätte daran erinnern können, daß er bei ihnen Wohnung und Verpflegung hatte, ohne daß man jemals sein Geld gesehen hätte. Nicht als hätte sie irgendeine Zahlung angenommen; darüber war sie erhaben. Aber er hätte doch wenigstens sein Frühstück außer dem Hause nehmen können. Eines Tages sagte sie ihrem Gatten:
Wir sind gar nie mehr allein; wenn wir miteinander reden wollen, müssen wir warten, bis wir des Abends zu Bett gegangen sind.
Und eines Abends, als sie Kissen an Kissen lagen, sagte sie:
Dein Bruder erwirbt hundertundfünfzig Franken monatlich, nicht wahr? ... Es ist doch eigentümlich, daß er nichts erübrigen kann, um sich einige Wäsche zu kaufen. Ich mußte ihm wieder drei alte Hemden aus deinem Vorrat geben.
Bah, das tut nichts, sagte Quenu. Mein Bruder ist keine große Last. Man muß ihm sein Geld lassen.
Oh, gewiß, murmelte Lisa, ohne bei der Sache weiter zu beharren. Ich sage es auch nicht deshalb ... Ob er sein Geld gut oder schlecht verwendet, geht uns doch nichts an.
Sie war überzeugt, daß er sein Geld bei den Méhudin verzehre. Nur einmal trat sie aus ihrer ruhigen, berechnenden Haltung heraus. Die schöne Normännin hatte Florent einen prächtigen Lachs zum Geschenke gemacht. Florent hatte nicht gewagt, das Geschenk zurückzuweisen und da er mit dem Fische nichts anzufangen wußte, brachte er ihn Lisa:
Machen Sie eine Pastete daraus, sagte er treuherzig.
Sie sah ihn starr an und erbleichte bis an die Lippen; dann sagte sie mit einer Stimme, deren Bewegung sie zu meistern suchte:
Glauben Sie etwa, wir hätten Not an Nahrung? Es gibt, Gott sei gelobt, bei uns noch zu essen. Tragen Sie ihn nur wieder weg!
So lassen Sie ihn für mich kochen, ich werde ihn essen, entgegnete Florent, erstaunt über ihren Ingrimm.
Nun brach sie los.
Unser Haus ist doch vielleicht keine Herberge! Sagen Sie den Leuten, die Ihnen den Fisch gegeben, sie mögen ihn kochen, wenn sie wollen. Ich habe keine Lust, mein Kochgeschirr verunreinigen zu lassen ... Tragen Sie ihn nur wieder weg, hören Sie?
Sie war nahe daran, den Fisch auf die Straße zu werfen. Er trug ihn zu Herrn Lebigre, wo Rosa den Auftrag erhielt, eine Pastete daraus zu machen. Und eines Abends verspeiste die Gesellschaft des Sonderkabinetts die Fischpastete. Gavard zahlte Austern dazu. Florent kam allmählich häufiger und fehlte kaum mehr einen Abend in dem Kabinett. Er fand daselbst eine überhitzte Umgebung, wo sein politisches Fieber sich frei entwickeln konnte. Wenn er sich jetzt in seiner Dachkammer einschloß, um zu arbeiten, ward er oft ungeduldig in der Stille dieses Raumes; das gedankliche Streben nach Freiheit genügte ihm nicht mehr; er mußte hinuntergehen und Befriedigung suchen in den schneidigen Sätzen Charvets und in den heftigen Ausfällen Logres. An den ersten Abenden war diese geräuschvolle Flut von Worten ihm lästig, er fühlte ihre Leere; aber er empfand ein Bedürfnis, sich zu betäuben, sich aufzustacheln, zu irgendeinem äußersten Entschlusse getrieben zu werden, der die Unruhe seines Geistes beschwichtigen würde. Der Geruch des Kabinetts, dieser vom Tabaksqualm und den Dünsten der Getränke geschwängerte Geruch berauschte ihn, brachte ihm ein ganz eigenartiges Behagen, ein einlullendes Sichgehenlassen, bei dem er sehr plumpe Dinge leicht hinnahm. Er kam so weit, die Gestalten zu lieben, die er hier fand, sie aufzusuchen und mit dem Vergnügen der Gewohnheit unter ihnen zu verweilen. Das sanfte und bärtige Antlitz Robines, das ernste Gesicht Clémences, der blasse, hagere Kopf Charvets, der Höcker Logres, und Gavard und Alexander und Lacaille: sie gehörten jetzt zu seinem Leben und nahmen in ihm einen immer größeren Platz ein. Es war für ihn eine ganz sinnliche Freude. Wenn er die Hand an den Messingknopf der Türe des Kabinetts legte, war ihm, als lebe dieser Knopf, erwärme ihm die Finger, drehe sich von selbst; die Berührung des geschmeidigen Handgelenks einer Frau würde kein lebhafteres Gefühl in ihm hervorgerufen haben.
In der Tat gingen in dem Kabinett sehr ernste Dinge vor. Eines Abends erklärte Logre, nachdem er noch heftiger als sonst gewettert hatte, unter wütenden Faustschlägen auf den Tisch, daß sie die Regierung stürzen müßten, wenn sie Männer wären. Und er fügte hinzu, daß man sich sogleich verständigen müsse, wenn man in der Stunde des Zusammenbruchs bereit sein wolle. Dann steckten sie die Köpfe zusammen und kamen im Flüstertone überein, daß sie eine kleine Gruppe bilden wollten, bereit für alle kommenden Ereignisse. Seit jenem Tage war Gavard überzeugt, daß er einem Geheimbunde angehöre und ein Verschwörer sei. Der Kreis erweiterte sich nicht; aber Logre versprach, ihn mit anderen, ihm bekannten Vereinigungen in Berührung zu bringen. In dem Augenblicke, wo man ganz Paris in der Hand habe, werde man den Tuilerien zum Tanze aufspielen. Nun gab es Monate hindurch endlose Erörterungen: Fragen der Organisation, Fragen des Zieles und der Mittel, Fragen des Kampfes und der künftigen Regierungsform. Sobald Rosa für Clemence den Grog, für Charvet und Robin das Bier, für Logre, Gavard und Florent den Mazagran, für Lacaille und Alexander den Schnaps gebracht hatte, wurde das Kabinett sorgfältig verrammelt und die Sitzung war eröffnet.
Charvet und Florent hatten natürlich die gewichtigsten Stimmen in diesem Kreise. Gavard hatte seine Zunge nicht meistern können und hatte nach und nach die Geschichte von Cayenne erzählt, was Florent einen Märtyrerruhm verschaffte. Seine Worte galten als Glaubensartikel. Eines Abends rief der Geflügelhändler, als man seinen abwesenden Freund angriff, in wütendem Tone:
Laßt mir Florent ungeschoren! Er war in Cayenne.
Doch Charvet fühlte sich durch diesen Vorzug sehr verletzt.
Cayenne, Cayenne, murmelte er zwischen den Zähnen; es war schließlich dort nicht so schlimm.
Er versuchte den Beweis dafür zu führen, daß die Verbannung nichts sei, daß das tiefe Leid darin bestehe, im Vaterlande zu bleiben, unterdrückt, mit geknebeltem Munde, angesichts des triumphierenden Despotismus. Übrigens sei es nicht seine Schuld, wenn er am 2. Dezember nicht verhaftet worden. Er gab sogar zu verstehen, daß alle, die sich fangen ließen, Tölpel seien. Diese geheime Eifersucht machte ihn zum systematischen Gegner Florents. Die Besprechungen endigten