Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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hat das gesagt? fragte sie mit leiser Stimme.

      Und noch andere Dinge, deren ich mich nicht erinnere. Sie begreifen, ich habe ihn gehört, darum kränken Sie sich nicht weiter, Madame Quenu. Sie wissen ja, bei mir kommt nichts heraus; ich bin alt genug um zu wissen, was einem Manne gefährlich werden kann ... Es bleibt unter uns.

      Lisa hatte sich gefaßt. Sie war stolz auf das gute Einvernehmen ihres Hauses; sie gab nicht das mindeste Wölkchen an ihrem Ehehimmel zu. Sie zuckte denn auch schließlich mit den Achseln und sagte lächelnd:

      Das sind Dummheiten, um damit Kinder zum Lachen zu bringen.

      Als die drei Frauen wieder auf der Straße waren, kamen sie dahin überein, daß Lisa eine drollige Miene gemacht habe. Alles – der Vetter, die Méhudin, Gavard, die Quenu mit ihren unbegreiflichen Geschichten – nimmt ein böses Ende. Frau Lecoeur fragte, was mit den Leuten geschehe, die wegen der Politik verhaftet werden. Fräulein Saget wußte nur soviel, daß sie nicht wieder zum Vorschein kommen; worauf die Sarriette sagte, daß man sie vielleicht in die Seine werfe, wie Jules es verlangte.

      Beim Frühstück und bei der Abendmahlzeit vermied die Wursthändlerin jede Anspielung. Als Florent und Quenu am Abend zu Herrn Lebigre gingen, schien alle Strenge aus ihren Blicken geschwunden zu sein. Allein gerade an diesem Abende wurde die Frage der nächsten Verfassung erörtert, und es war ein Uhr morgens, als die Herren sich entschlossen, das Kabinett zu verlassen; die Türe war geschlossen, sie mußten bei dem Seitenpförtchen hinaus, einer nach dem andern, und sich bücken, um hindurchzukommen. Unter lebhaften Gewissensbissen kehrte Quenu heim; er öffnete so sachte wie möglich die Türen der Wohnung, ging auf den Fußspitzen durch den Salon, mit ausgestreckten Armen, um nicht an die Möbel anzustoßen. Alles schlief. In das Schlafzimmer eintretend sah er zu seinem großen Verdrusse, daß Lisa die Kerze hatte brennen lassen; inmitten der tiefen Stille brannte diese Kerze mit hoher, trübseliger Flamme. Als er seine Schuhe auszog und auf den Teppich hinstellte, schlug die Uhr halb zwei so hell, daß er sich ganz betroffen umwandte, jede Bewegung fürchtend und mit wütender Miene den vergoldeten Gutenberg betrachtend, der die Uhr schmückte. Er sah nur den Rücken Lisas, die den Kopf fest in das Kissen drückte; aber er merkte wohl, daß sie nicht schlief, daß sie, die weit offenen Augen auf die Mauer geheftet, da liegen mochte. Dieser breite Rücken mit den vollen Schultern war bleich in seinem verhaltenen Zorne; er blähte sich und bewahrte die Unbeweglichkeit und Schwere einer Anklage, auf die es nichts zu erwidern gab. Völlig aus der Fassung gebracht durch die harte Strenge dieses Rückens, der ihn mit dem starren Gesichte eines Richters zu betrachten schien, schlüpfte Quenu unter die Bettdecke, blies die Kerze aus und verhielt sich still. Er war am Rande des Bettes geblieben, um seine Frau nicht zu berühren. Sie schlief noch immer nicht, er hätte darauf schwören können. Dann überließ er sich dem Schlafe, er war verzweifelt, daß sie nicht sprach, und fand doch nicht den Mut, ihr gute Nacht zu sagen, machtlos angesichts dieser unerbittlichen Masse, die seiner Unterwürfigkeit jede Annäherung wehrte.

      Am anderen Morgen schlief er lange. Als er erwachte – mitten im Bette liegend und bis an das Kinn zugedeckt – sah er Lisa vor dem Schreibtisch sitzen, mit dem Ordnen von Papieren beschäftigt; sie war aufgestanden, ohne daß er – in seiner großen Schläfrigkeit nach den Ausschweifungen des gestrigen Abends – es merkte. Er faßte sich ein Herz und sagte aus dem Schlafzimmer heraus:

      Warum hast du mich denn nicht geweckt? ... Was machst du dort?

      Ich ordne die Schubfächer, entgegnete sie sehr ruhig, mit ihrer gewöhnlichen Stimme. Er fühlte sich erleichtert. Doch sie fügte hinzu:

      Man kann nicht wissen, was geschieht; wenn die Polizei käme ...

      Wie, die Polizei?

      Gewiß, da du dich jetzt mit Politik beschäftigst.

      Er setzte sich höchlich erschrocken im Bette auf; dieser heftige und unvorhergesehene Angriff traf ihn schwer.

      Ich beschäftige mich mit Politik ... ich beschäftige mich mit Politik ... wiederholte er. Das geht die Polizei nichts an. Ich kompromittiere mich nicht.

      Nein, entgegnete Lisa achselzuckend; du sprichst bloß davon, alle Welt erschießen zu lassen.

      Ich? Ich?

      Und du schreist das in einer Weinstube ... Fräulein Saget hat dich gehört. Das ganze Stadtviertel weiß jetzt, daß du ein Roter bist.

      Er legte sich gleich wieder hin. Er war noch nicht ganz wach. Lisas Worte gellten ihm in den Ohren, als habe er schon die schweren Tritte der Gendarmen vor der Türe des Schlafzimmers gehört. Er sah sie an, wie sie frisiert, eingeschnürt, in ihrem gewöhnlichen Anzüge vor ihm stand, und duckte sich noch mehr, als er sie in diesem dramatischen Augenblicke so gleichmütig fand.

      Du weißt, ich lasse dir volle Freiheit, nahm sie nach einer Weile auf, wobei sie fortfuhr, die Papiere zu ordnen; ich will nicht »die Hosen tragen«, wie man zu sagen pflegt. Du bist der Herr, du kannst unsere Stellung wagen, unsern Kredit kompromittieren, das Haus zugrunde richten ... Meine Aufgabe wird es dann sein, Paulinens Interessen wahrzunehmen.

      Er widersprach; doch sie winkte ihm zu schweigen und fügte hinzu:

      Nein, sage nichts; ich will keinen Streit, nicht einmal eine Auseinandersetzung herbeiführen. Ja, wenn du mich um Rat gefragt, wenn wir über die Sache gesprochen hätten, dann hätte ich dir allerdings meine Meinung gesagt. Man hat unrecht zu glauben, daß die Frauen nichts von Politik verstehen ... Soll ich dir meine Politik sagen?

      Sie hatte sich erhoben, ging vom Bett zum Fenster und wischte mit dem Finger die Staubkörnchen weg, die sie an dem blanken Spiegelschrein und an der Kommode bemerkte.

      Es ist die Politik der ehrbaren Leute ... Ich bin der Regierung dankbar, wenn mein Handel gut geht, wenn ich meine Suppe ruhig essen kann und nicht mit Flintenschüssen aus dem Schlafe geweckt werde. Es waren schöne Zustände im Jahre 1848, nicht wahr? Der Onkel Gradelle hat uns seine Bücher gezeigt; er hat damals mehr als sechstausend Franken verloren. Wir haben jetzt das Kaiserreich, und alle Geschäfte gehen gut. Du kannst nicht das Gegenteil behaupten. Was wollt ihr also? Was werdet ihr mehr haben, wenn ihr alle Welt erschossen habt?

      Sie stellte sich mit gekreuzten Armen vor das Nachtkästchen hin, Quenu gegenüber, der unter den Federbetten verschwand. Er versuchte zu erklären, was die Herren wollten; aber er verwickelte sich in den politischen und sozialen Systemen Charvets und Florents; er sprach von mißverstandenen Grundsätzen, von der Herrschaft der Demokratie, von der Wiedergeburt der Gesellschaft und mengte alles dermaßen durcheinander, daß Lisa mit den Achseln zuckte, ohne zu begreifen. Schließlich half er sich heraus, indem er auf das Kaiserreich schimpfte; es sei eine Regierung der Ausschweifungen, der anrüchigen Geschäfte, des Diebstahls mit bewaffneter Hand.

      Wir sind, sagte er, einer Redensart Logres sich erinnernd, wir sind die Beute einer Bande von Abenteurern, die Frankreich plündern, entehren, morden ... Das ist genug!

      Sie zuckte noch immer mit den Schultern.

      Ist das alles, was du zu sagen hast? fragte sie kaltblütig. Was kümmert mich, was du mir da erzählst? Und wenn dem so wäre, was weiter? ... Rate ich dir etwa, ein unredlicher Mann zu sein? Dränge ich dich dazu, deine Wechsel nicht einzulösen, deine Kunden zu betrügen, mit unrechtmäßig erworbenen Talern dich allzu rasch zu bereichern? Du bringst mich schließlich noch in Zorn! Wir sind ehrliche Leute, die niemanden plündern und niemanden morden. Das genügt. Die anderen haben mich nicht zu kümmern; mögen sie Hundsfötter sein, wenn sie wollen.

      Sie war stolz und prächtig; hoch aufgerichtet ging sie wieder in der Stube auf und ab und fuhr fort:

      Jenen zuliebe, die nichts haben, sollen wir also darauf verzichten, unseren Lebensunterhalt zu gewinnen? Sicher will ich die günstigen Verhältnisse ausnützen und eine Regierung unterstützen, die den Handel sichert. Wenn diese Regierung häßliche Dinge begeht, so will ich es nicht wissen. Ich tue nichts Schlechtes und fürchte nicht, daß man im Stadtviertel mit dem Finger auf mich zeigt. Es wäre doch zu dumm, sich mit Windmühlen zu schlagen. Du erinnerst dich, daß bei den Wahlen Gavard sagte, der Kandidat des Kaisers sei ein Mann, der Bankerott gemacht und sich durch schmutzige Geschichten


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