Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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denn die Frage war nicht die und man verlangte von dir nicht, daß du diesem Herrn Geld leihen, noch auch, daß du mit ihm Geschäfte machen sollest. Du hattest nur der Regierung zu zeigen, daß du mit dem Gedeihen des Wursthandels zufrieden seist.

      Doch jetzt erinnerte sich Quenu einer Phrase Charvets, der erklärt hatte, daß »diese feisten Spießbürger, diese satten Krämer, die ihre Unterstützung einer Regierung des allgemeinen Mißbehagens leihen, zuerst in die Kloake geworfen werden müßten. Nur der Selbstsucht ihres Bauches habe man es zu danken, daß der Despotismus sich der Nation auf den Nacken setze und sie aufzehre«. Er wollte die Redensart beenden; allein Lisa schnitt ihm entrüstet das Wort ab.

      Laß gut sein, rief sie; mein Gewissen hat mir nichts vorzuwerfen. Ich bin keinen Sou schuldig, biete zu keinem Mischmasch die Hand, kaufe und verkaufe gute Ware und fordere keine höheren Preise, als mein Nachbar ... Was du da sagst, mag für unsere Vettern, die Saccard, Geltung haben. Sie tun, als wüßten sie gar nicht, daß ich in Paris bin; aber ich bin stolzer als sie und mache mir gar nichts aus ihren Millionen. Man sagt, Saccard sei Bauspekulant und bestehle alle Welt. Das nimmt mich nicht wunder; er ist ja deshalb nach Paris gegangen. Er liebt es, sich im Gelde zu wälzen, um es nachher zum Fenster hinauszuwerfen wie ein Narr. Daß man Leute dieses Schlages, die ungeheure Reichtümer erwerben, anklagt, kann ich sehr gut begreifen.

       Was mich betrifft, so achte ich Saccard nicht, damit du es nur weißt ... Aber wir, die wir ruhig leben, die wir fünfzehn Jahre brauchen, um unsern Wohlstand zu sichern; wir, die wir uns mit Politik nicht befassen, deren ganze Sorge darauf gerichtet ist, unsere Tochter zu erziehen und unser Schifflein in den Hafen zu steuern: wir sind doch ehrliche Leute! Laß mich in Frieden mit deinen dummen Späßen!

      Sie setzte sich auf den Rand des Bettes. Quenu war wankend gemacht.

      Höre mich an, fuhr sie mit ernster Stimme fort. Du willst doch nicht – denke ich – daß man deinen Laden plündert, deinen Keller leert, dein Geld raubt? Wenn diese Leute aus der Weinstube des Herrn Lebigre die Oberhand gewännen: glaubst du, du könntest am nächsten Tage warm in deinem Bette liegen, wie jetzt? Und wenn du in deine Küche gingest, glaubst du, du könntest dich ruhig an deine Sülzen machen, wie du es jetzt tust? Nein, nicht wahr? ... Also, warum redest du davon, die Regierung zu stürzen, die dich schützt und dir gestattet, Ersparnisse zu machen? Du hast ein Weib, du hast eine Tochter, du gehörst vor allem ihnen. Du wärest strafbar, wenn du ihr Glück auf das Spiel setzen wolltest. Nur Leute ohne Heim, nur Leute, die nichts zu verlieren haben, wollen Flintenschüsse hören. Du wirst doch nicht der Angeführte bei der Hetze sein wollen! So bleibe denn ruhig zu Hause, dicker Schöps; iß gut, schlaf gut, erwirb Geld und behalte dein ruhiges Gewissen. Sage dir, daß Frankreich, wenn das Kaiserreich es zu arg treibt, ohne dich fertig wird. Frankreich bedarf deiner nicht!

      Sie ließ ihr helles, frohes Lachen vernehmen und Quenu war überzeugt. Sie hatte schließlich recht. Sie war eine schöne Frau, wie sie da am Bettrande saß, zu so früher Stunde fein gekämmt, frisch und sauber, mit ihrem blendend weißen Linnen. Während er Lisa zuhörte, betrachtete er ihrer beiden Bilder, die zu beiden Seiten des Kamins hingen; gewiß, sie waren rechtschaffene Leute, sahen sehr anständig aus, schwarz gekleidet, in Goldrahmen gefaßt. Auch das Gemach selbst schien das Zimmer vornehmer Personen zu sein; die Schutztücher von Spitzen breiteten sich gleichsam als Rechtschaffenheit auf die Sessel; der Teppich, die Vorhänge, die mit Landschaften bemalten Porzellanvasen kündeten ihre Arbeitsamkeit und ihren Geschmack für Bequemlichkeit. Da drückte er sich noch tiefer in die Federbetten, wo es schön warm war wie in einer Badewanne. Und es schien ihm, als sei er Gefahr gelaufen, alles bei Herrn Lebigre zu verlieren, sein großes Bett, sein wohl verschlossenes Zimmer, seinen Wurstladen, an den er jetzt mit Rührung und Gewissensbissen dachte. Von Lisa, von den Möbeln, von allen lieblichen Dingen, die ihn umgaben, stieg ein Wohlbehagen auf, das ihm in köstlicher Weise den Atem raubte.

      Du hast einen schönen Weg eingeschlagen, Närrchen, sagte seine Frau, als sie ihn besiegt sah. Doch sie hätten erst über unsere Leiber, über meinen und Paulinens Leib, gehen müssen ... Du wirst dir nicht mehr beikommen lassen, dir ein Urteil über die Regierung zu erlauben, wie? Alle Regierungen sind gleich. Man unterstützt diese, man wird auch eine andere unterstützen müssen, und so muß es sein. Die Hauptsache ist, im Alter seine Renten in Ruhe zu verzehren und mit der Gewißheit, daß man sie rechtschaffen erworben.

      Quenu nickte zustimmend. Er versuchte eine Rechtfertigung.

      Gavard ist es ... murmelte er.

      Doch sie unterbrach ihn und sagte in ernstem Tone:

      Nein, nicht Gavard ist es ... Ich weiß, wer es ist. Und der Betreffende täte sehr wohl, an seine eigene Sicherheit zu denken, ehe er die anderer aufs Spiel setzt.

      Sprichst du von Florent? fragte Quenu nach einer Weile schüchtern.

      Sie antwortete nicht sogleich. Sie erhob sich und kehrte zum Schreibpulte zurück, als halte sie gewaltsam an sich. Dann sagte sie mit klarer Stimme:

      Ja, von Florent ... du weißt, wie geduldig ich bin; ich möchte mich nicht in das Verhältnis zwischen dir und deinem Bruder einmengen. Die Familienbande sind heilig. Allein das Maß ist endlich voll. Seitdem dein Bruder hier ist, geht alles schlimm und schlimmer ... Doch besser, ich sage nichts! ...

      Abermals trat Stillschweigen ein. Da ihr Mann verlegen nach der Zimmerdecke starrte, fuhr sie in heftigerem Tone fort:

      Er scheint gar nicht zu bemerken, was wir für ihn tun. Wir haben uns eingeschränkt, haben ihm die Stube Augustines überlassen und das arme Mädchen schläft ohne Klage in einer Kammer, wo sie keine Luft hat. Wir geben ihm morgens und abends die Nahrung, wir sorgen für seine kleinen Bedürfnisse ... Er nimmt alles als etwas Natürliches hin. Er verdient Geld und man weiß nicht, wohin es kommt; oder vielmehr, man weiß es nur zu gut.

      Und sein Erbteil? bemerkte Quenu, den diese, gegen seinen Bruder vorgebrachten Beschuldigungen schmerzten.

      Lisa blieb betroffen; ihr Zorn war verflogen.

      Du hast recht, die Erbschaft ... Die Rechnung liegt da, in diesem Schubfache. Er wollte sie nicht, du erinnerst dich wohl? Dies beweist, daß er ein Mensch ohne Kopf, ohne Lebensfähigkeit ist. Wenn er nur einen Gedanken hätte, würde er mit diesem Gelde längst etwas angefangen haben. Ich möchte, daß wir es nicht mehr hätten; es wäre uns die Befreiung von einer Last ... Ich habe ihm schon zweimal von dieser Sache gesprochen, aber er wollte nichts davon hören. Du sollst ihn dazu bestimmen, daß er das Geld nehme. Trachte mit ihm davon zu reden.

      Quenu antwortete mit einem Grunzen. Lisa beharrte nicht weiter bei der Sache; sie war der Ansicht, dem Gebote der Rechtschaffenheit Genüge geleistet zu haben.

      Nein, er ist nicht so wie andere Männer, sagte sie nach einer Weile. Sein Benehmen ist gar nicht beruhigend. Ich sage es dir, weil wir gerade davon sprechen ... Ich will mich mit seinem Lebenswandel nicht näher befassen, obgleich schon im ganzen Stadtviertel davon gesprochen wird. Mag er bei uns essen, wohnen, uns zu Einschränkungen zwingen, alles ist zu ertragen. Aber ich werde ihm nicht gestatten, uns in die Politik zu verwickeln. Wenn er dir noch einmal den Kopf toll macht, wenn er uns nur im mindesten bloßstellt, entledige ich mich seiner kurzerhand. Das kündige ich dir an.

      Florent war verurteilt. Sie tat sich Gewalt an, um sich nicht Luft zu machen, um nicht ihrem angehäuften Unmut freien Lauf zu lassen. Er verletzte all ihr Empfinden, beleidigte sie, erschreckte sie, machte sie wahrhaft unglücklich. Sie brummte noch zwischen den Zähnen:

      Ein Mensch, der die häßlichsten Erlebnisse gehabt, der sich kein eigenes Heim hat schaffen können ... Ich begreife, daß der Flintenschüsse fordert. Er hole sich sie, wenn er sie liebt; aber er lasse die rechtschaffenen Leute in ihrer Familie ... Und dann: er gefällt mir nicht, ich sage es rundheraus. Er riecht nach Fischen, wenn er des Abends bei Tische sitzt. Das hindert mich zu essen. Er verliert dadurch keinen Bissen; freilich bekommt es ihm nur schlecht; der Unglückliche wird nicht fett, weil er durch und durch von Bosheit angefressen ist.

       Sie hatte sich jetzt dem Fenster genähert. Sie sah Florent, der durch die Rambuteau-Straße ging, um sich auf den Fischmarkt zu begeben. Die Zufuhr von Fischen war diesen Morgen eine ungeheure; die Körbe zeigten weithin ihren Silberschimmer;


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