Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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besiegt erklärt hätte.

      Eine der Lieblingsfragen war die der Organisation des Landes nach dem Siege.

      Wir sind doch Sieger, nicht wahr? ... begann Gavard.

      Nachdem der Sieg einmal ausgemacht war, sagte jeder seine Meinung. Es gab zwei Lager. Charvet, der sich zum Hebertismus bekannte, hatte Logre und Robine für sich. Florent, stets in seinem Menschheitstraum verloren, gab sich als Sozialisten und stützte sich auf Alexander und Lacaille. Was Gavard betrifft, so war er den gewaltsamen Ideen nicht abhold; allein da man ihm zuweilen seinen Reichtum vorwarf mit herben Spaßen, die ihn in Aufregung versetzten, war er Kommunist.

      Man muß reinen Tisch machen, sagte Charvet mit seinem knappen Tone, der so scharf klang wie ein Beilhieb. Der Stamm ist faul, man muß ihn fällen.

      Ja, ja, nahm Logre den Faden auf, wobei er aufstand, um größer zu scheinen und mit den Stößen seines Höckers die Holzwand des Kabinetts erschütterte ... Alles muß niedergerissen werden, das sage ich euch. Dann wird man weiter sehen.

      Robine nickte zustimmend mit dem Barte. Wenn die Vorschläge ganz und gar revolutionär waren, schwelgte er so recht in seinem Stillschweigen. Bei dem Worte Guillotine nahmen seine Augen einen milden Glanz an und er schloß sie halb, als sehe er die Sache und als rühre sie ihn tief; dann kratzte er sich das Kinn mit dem Knopfe seines Stockes und grunzte vergnügt dazu.

      Und doch, sagte Florent mit einem leisen Anklang von Traurigkeit, – und doch, wenn ihr den Baum fället, wird es notwendig sein, den Samen aufzubewahren ... Ich glaube im Gegenteil, daß wir den Baum erhalten müssen, um ihm neues Leben einzuimpfen. Die politische Umwälzung ist vollzogen, wir müssen heute an den Arbeiter denken; unsere Bewegung muß rein sozial sein. Ich warne euch, dieser Erlösung des Volkes entgegenzutreten. Das Volk ist müde, es will sein Teil haben.

      Diese Worte begeisterten Alexander. Er bestätigte mit seiner gutmütigen und strahlenden Miene, dies sei wahr, das Volk sei müde.

      Wir wollen unser Teil, fügte Lacaille mit drohender Miene hinzu. Alle Revolutionen waren für die Spießbürger. Jetzt ist's genug; die nächste ist für uns.

      Da war es aus mit dem guten Einvernehmen. Gavard war bereit zu teilen. Logre wies die Teilung zurück und schwor, er hänge nicht am Gelde. Allmählich beherrschte Charvet den Tumult und sprach allein:

      Die Selbstsucht der Klassen ist eine der kräftigsten Stützen der Tyrannei. Es ist schlimm, daß das Volk selbstsüchtig ist. Wenn es mit uns gehen will, wird es seinen Teil haben ... Warum soll ich mich für den Arbeiter schlagen, wenn der Arbeiter sich weigert, sich für mich zu schlagen? Übrigens liegt das Wesen der Frage nicht darin. Zehn Jahre revolutionärer Diktatur sind notwendig, um ein Land wie Frankreich an die Ausübung der Freiheit zu gewöhnen.

      Um so mehr, erklärte Clémence klar, als der Arbeiter nicht reif ist und geleitet werden muß.

      Sie sprach nur selten. Dieses große, ernste Mädchen, das unter allen diesen Männern kaum bemerkt wurde, hatte eine professorenmäßige Art zuzuhören, wenn von Politik gesprochen wurde. Sie lehnte sich an die Wand des Kabinetts, trank ihren Grog in kleinen Schlücken und betrachtete die Sprechenden, wobei sie die Augenbrauen runzelte und die Nasenflügel blähte, und so in stummer Weise ihre Zustimmung oder ihren Widerspruch zum Ausdruck brachte, was bewies, daß sie begriff, und daß sie ihre bestimmten Ansichten über die verwickeltsten Fragen hatte. Von Zeit zu Zeit rollte sie sich eine Zigarette, blies aus dem Mundwinkel ein leichtes Rauchwölkchen empor und wurde aufmerksamer. Es hatte den Anschein, als werde der Streit vor ihr geführt und als habe sie schließlich Preise zu verteilen. Sicherlich glaubte sie ihre Stellung als Frau zu behaupten, wenn sie mit ihrer Ansicht zurückhielt und sich nicht ereiferte, wie die Männer. Nur wenn die Wogen der Erörterung hoch gingen, warf sie ein Wort ein und wußte auch Charvet treffende Antworten zu geben. Im Grunde hielt sie sich für viel gescheiter als alle die Herren, und sie hatte nur Achtung vor Robine, dessen Stillschweigen sie mit ihren großen, schwarzen Augen beobachtete.

      Florent beachtete Clémence so wenig, wie die anderen Herren es taten. Für die Gesellschaft war sie ein Mann, und man schüttelte ihr so kräftig die Hand, daß ihr schier der Arm ausgerenkt ward. Eines Abends hatte Florent Gelegenheit, den famosen Rechnungen zwischen Clémence und Charvet beizuwohnen. Da die junge Frau eben ihr Geld erhalten hatte, wollte Charvet zehn Franken von ihr borgen. Allein sie verweigerte ihm diese Summe, indem sie erklärte, man müsse vorher wissen, wie die Rechnung stehe. Sie lebten auf dem Boden der freien Ehe und der freien Vermögensverfügung; jeder von ihnen bestritt genau seine Ausgaben; so schuldeten sie einander nichts, wie sie sagten, und waren keine Sklaven. Die Miete, die Nahrung, die Wäsche, die kleinen Vergnügungen: alles wurde aufgeschrieben und addiert. Nach genauer Prüfung zeigte Clémence an diesem Abend ihrem Freunde Charvet, daß er ihr bereits fünf Franken schulde. Sie gab ihm die zehn Franken mit den Worten:

      Vermerke dir's, daß du mir nunmehr fünfzehn Franken schuldest; du wirst mir sie am 5. des Monats bezahlen aus deiner Entlohnung für die Lektionen bei dem kleinen Léhudier.

      Als Rose gerufen ward, zog jeder seine paar Sous aus der Tasche, um seinen Trunk zu bezahlen. Charvet nannte Clémence lachend eine Aristokratin, weil sie Grog trank. Er sagte, sie wolle ihn demütigen, ihn fühlen lassen, daß er weniger erwerbe, was auch richtig war; und hinter seinem Lachen barg sich eine Verwahrung gegen diesen größeren Erwerb, der ihn demütigte, trotz seines Grundsatzes von der Gleichheit der Geschlechter.

      Wenn die Besprechungen auch zu keinem Einverständnisse führten, so erhielten sie doch die Herren im Atem. Ein furchtbarer Lärm drang aus dem Kabinett hervor. Die Scheiben von mattem Glase klirrten wie Trommeln. Manchmal ward der Lärm so arg, daß Rose, die am Pulte irgendeinem Blusenmann einen Trunk einschenkte, beunruhigt den Kopf umwandte.

      Sie prügeln sich da drin, sagte der Blusenmann, und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.

      Es hat keine Gefahr, entgegnete Herr Lebigre; es sind Herren, die ein Gespräch führen.

      Herr Lebigre, gegen seine anderen Gäste sehr hart, ließ sie nach Belieben schreien, ohne ihnen jemals die geringste Bemerkung zu machen. Er saß stundenlang auf dem Bänkchen vor dem Pulte, bekleidet mit einer Ärmelweste, den dicken, schläfrigen Kopf an den Spiegel gelehnt, mit dem Blicke Rose folgend, die Flaschen entkorkte oder mit dem Wischlappen hantierte. Wenn er gut gelaunt war und sie vor ihm stand, mit nackten Armen Gläser spülend, kneipte er sie wohl unbemerkt in den Schenkel, was sie mit einem behaglichen Lächeln hinnahm. Sie verriet diese Vertraulichkeit nicht mit dem leisesten Zucken; wenn er sie bis aufs Blut zwickte, sagte sie, sie sei nicht kitzlig. Indes, wenngleich er in dem Weindunste und in dem heißen Lichte einschlummerte, spitzte Herr Lebigre doch die Ohren auf das Geräusch, das aus dem Kabinett kam. Wenn der Lärm lauter wurde, erhob er sich und lehnte sich an die Glaswand; oder er trat auch ein, setzte sich eine Weile und schlug Gavard kräftig auf die Schenkel. Und er nickte zu allem beistimmend mit dem Kopfe. Der Geflügelhändler pflegte zu sagen, Herr Lebigre sei zwar kein Redner, doch könne man auf ihn zählen an dem Tage, da es »losgehe«.

      Eines Tages mußte Florent in den Hallen Frieden stiften in einem häßlichen Gezänke, das zwischen einer Fischhändlerin und Rose ausgebrochen war, weil diese, ohne es zu wollen, einen Korb Heringe umgeworfen hatte. Bei dieser Gelegenheit hörte Florent, daß Rose ein »Polizeispitzel« geschimpft wurde. Als der Friede hergestellt war, erzählte man ihm vieles von Herrn Lebigre; er gehöre zur Polizei, das sei im ganzen Stadtviertel bekannt. Fräulein Saget habe, bevor sie ihren Vorrat an Getränken bei ihm holte, erzählt, daß sie ihn einmal getroffen habe, wie er zum Rapport ging. Auch sei er ein Geldmensch, ein Wucherer, der den Grünkramhändlern zu unchristlichen Zinsen Geld leihe und Karren vermiete. Florent war davon sehr betroffen, und des Abends glaubte er den Herren alle diese Dinge mit gedämpfter Stimme wieder erzählen zu sollen. Doch sie zuckten nur mit den Achseln und lachten über seine Bedenken.

      Der arme Florent! sagte Charvet boshaft; weil er in Cayenne gewesen, glaubt er, die ganze Polizei sei hinter ihm her.

      Gavard gab sein Ehrenwort, daß Lebigre ein »Guter«, ein »Reiner« sei. Doch Logre erzürnte sich am meisten. Sein Sessel krachte in allen Fugen; er erklärte heftig, es könne so nicht


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