Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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Auflassung ihres Geschäftes wären sie gerne nach der Neustadt gezogen, wo die Kaufleute im Ruhestande lebten. Aber sie wagten es nicht; ihre Rente war zu bescheiden, sie fürchteten daselbst eine klägliche Figur zu machen. Um eine Art Mittelweg zu wählen, mieteten sie sich in der Banne-Straße ein, in einer Straße, welche das alte Stadtviertel von der Neustadt scheidet. Da ihre Wohnung in jener Häuserzeile lag, welche die Altstadt abschließt, wohnten sie zwar noch in dem Stadtviertel des gemeinen Volkes; aber sie sahen von ihren Fenstern aus wenige Schritte vor sich die Stadt der reichen Leute; sie befanden sich an der Schwelle des verheißenen Landes.

      Ihre im zweiten Stockwerk gelegene Wohnung bestand aus drei großen Zimmern. Sie hatten ein Speisezimmer, einen Salon und ein Schlafzimmer daraus gemacht. Im ersten Stock wohnte der Hauseigentümer, ein Regenschirmhändler, dessen Laden im Erdgeschoß lag. Das schmale und nicht tiefe Haus hatte bloß zwei Stockwerke. Als Felicité einzog, preßte es ihr das Herz zusammen. Bei anderen Leuten zu wohnen ist in der Provinz ein Geständnis der Armut. Jede wohlhabende Familie in Plassans hat ihr eigenes Haus; die Häuser waren daselbst zu sehr niedrigen Preisen zu kaufen. Peter hielt die Hand fest am Säckel und wollte nichts von Verschönerungen der Wohnung hören; die alten, fadenscheinigen, abgenützten, schlotterbeinigen Möbel mußten weiter dienen, ohne auch nur eine Ausbesserung zu erfahren. Felicité, welche die Gründe dieser Knickerei sehr wohl begriff, gab sich alle erdenkliche Mühe, diesen Trümmern einen neuen Glanz zu verleihen; gewisse allzu schadhafte Möbelstücke leimte und nagelte sie notdürftig zusammen; den abgenützten Samt der Sessel besserte sie aus.

      Das Eßzimmer, das gleich der Küche nach dem Hofe zu lag, blieb fast leer. Ein Tisch und ein Dutzend Stühle verloren sich fast im Halbdunkel dieses großen Raumes, dessen einziges Fenster eine Aussicht auf die graue Mauer des Nachbarhauses bot. Da außer ihnen beiden niemand das Schlafzimmer betrat, hatte Felicité daselbst die außer Gebrauch gesetzten Möbel untergebracht; nebst dem Bette, einem Spind, einem Schreibpulte und einem Toilettentische sah man daselbst zwei Wiegen übereinander gestellt, einen Speiseschrank ohne Türen, einen leeren Bücherkasten: lauter altehrwürdiges Gerümpel, das die alte Frau hinauszuwerfen sich nicht entschließen konnte. Ihre ganze Sorgfalt aber galt ihrem Salon. Es gelang ihr fast, einen bewohnbaren Ort aus ihm zu machen. Da waren Möbel von blaßgelbem Samt mit eingewebten Seidenblumen. In der Mitte stand ein Tischchen mit Marmorplatte; Konsolen mit Spiegeln darüber standen an beiden Enden des Salons. Sogar ein Teppich war da, der allerdings nur die Mitte des Fußbodens bedeckte, und ein Hängeleuchter, umgeben von einer Hülle aus weißer Musseline, die mit Fliegenschmutz wie übersät war. An den Wänden hingen sechs Bilder, die die großen Schlachten Napoleons darstellten. Diese Einrichtung stammte noch aus den ersten Jahren des Kaiserreiches. Felicité setzte bei ihrem Gatten so viel durch, daß zur Verschönerung des Raumes die Wände mit einer orangegelben Papiertapete belegt wurden. So hatte der Salon eine seltsam gelbe Farbe bekommen, die ihm ein trügerisches, blendendes Licht verlieh; die Möbel, die Tapete, die Vorhänge waren gelb; der Teppich, die Marmorplatten auf dem Tisch und den Konsolen spielten ins Gelbliche. Wenn die Vorhänge geschlossen waren, bestand ein ziemlicher Einklang zwischen diesen Farbenschattierungen, und der Salon bot einen fast sauberen Anblick. Allein Felicité hatte einen ganz anderen Luxus geträumt. Mit stummer Verzweiflung sah sie dieses schlecht verhüllte Elend. Gewöhnlich hielt sie sich im Salon, dem besten Zimmer der Wohnung auf. Eine ihrer liebsten und zugleich bittersten Zerstreuungen war es, sich an eines der Fenster dieses Zimmers zu setzen, die auf die Banne-Straße gingen. Von hier sah sie schräg hinüber nach dem Platze der Unterpräfektur. Da war das Paradies ihrer Träume. Dieser kleine, kahle, saubere Platz mit den hell gestrichenen Häusern schien ihr ein Eden. Zehn Jahre ihres Lebens hätte sie dafür hingegeben, eines dieser Häuser ihr Eigen zu nennen. Das Haus an der linken Ecke, wo der Steuereinnehmer wohnte, führte sie ganz besonders in Versuchung. Es gelüstete sie danach mit der Gier eines schwangeren Weibes. Manchmal, wenn die Fenster der Wohnung des Einnehmers offen waren und sie einige Stücke des reichen Mobiliars sah, glaubte sie beim Anblick dieses Luxus, daß der Schlag sie rühren müsse.

      Zu jener Zeit machten die Rougon eine seltsame Krise der Eitelkeit und der unbefriedigten Begierden durch. Die wenigen guten Regungen, die sie noch gehabt, verdarben jetzt. Sie gaben sich als Opfer des Mißgeschicks, aber ohne sich zu fügen, vielmehr heißhungriger denn je und mehr denn je entschlossen, nicht eher zu sterben, als bis ihre Begierden befriedigt sein würden. Trotz ihres vorgerückten Alters gaben sie keine einzige ihrer Hoffnungen auf; Felicité sagte, sie habe das Vorgefühl, daß sie reich sterben werde. Aber mit jedem Tage lastete ihre Armut schwerer auf ihnen. Wenn sie ihre vergeblichen Anstrengungen überdachten; wenn sie sich ihrer in ewigem Kampfe verlebten dreißig Jahre erinnerten, der Enttäuschungen, die ihre Kinder ihnen bereitet hatten, und wenn sie sehen mußten, wie aus ihren Luftschlössern dieser gelbe Salon geworden war, dessen Vorhänge sie herabziehen mußten, um seine Häßlichkeit zu verbergen: wurden sie von tiefer Wut ergriffen. Um sich zu trösten, entwarfen sie dann ungeheuere Glückspläne und suchten nach unerhörten Möglichkeiten; Felicité träumte, daß sie das große Los mit hunderttausend Franken gewann; Peter bildete sich ein, daß er irgendeine wunderbare Spekulation durchführen werde. Sie lebten in einem einzigen Gedanken: ihr Glück machen, sogleich, in wenigen Stunden; reich werden, genießen, und sei es auch nur ein Jahr lang. Ihr ganzes Wesen strebte rücksichtslos und ohne Unterlaß diesem Ziele zu. Sie zählten noch immer halb und halb auf ihre Söhne, mit der Selbstsucht solcher Eltern, die sich nicht mit dem Gedanken befreunden können, ihre Kinder zur Schule geschickt zu haben, ohne für ihre Person einen Nutzen davon zu haben.

      Felicité schien gar nicht gealtert; sie war noch immer die kleine, schwarze Frau, die nicht ruhig sitzen konnte und die immer umherhüpfte und summte wie eine Grille. Wer sie von rückwärts gesehen hätte, wie sie auf dem Bürgersteig dahin trippelte, würde sie nach ihren mageren Schultern und ihrem schmächtigen Wüchse für ein Mädchen von fünfzehn Jahren gehalten haben. Auch ihr Gesicht hatte sich nicht verändert; es war nur hohler geworden und sah immer mehr und mehr dem Frätzchen eines Hausmarders ähnlich; man hätte ihren Kopf für den eines Kindes gehalten, der zu Pergament eingetrocknet war, ohne seine Züge zu verändern.

      Was Peter Rougon betrifft, so hatte er Fett angesetzt; er war ein Achtung gebietender Bürger geworden, dem nichts als eine große Rente fehlte, um ein ganz und gar würdiger Herr zu sein. Sein schwammiges, bleiches Gesicht, seine Schwerfälligkeit, seine schläfrige Miene, alles schien Geld zu schwitzen. Eines Tages hörte er einen Bauer, der ihn nicht kannte, ausrufen: »Der Dicke da muß ein rechter Geldprotz sein, der um sein Mittagsmahl gewiß nicht verlegen ist.« Diese Bemerkung traf ihn im Innersten des Herzens; er hielt es für einen grausamen Scherz des Schicksals, ein armer Teufel geblieben zu sein, während er die Fette und die zufriedene Würde eines Millionärs zur Schau trug. Wenn er sich am Sonntag vor seinem handtellergroßen Spiegel rasierte, sagte er sich, daß er mit Frack und weißer Halsbinde bei dem Herrn Unterpräfekten eine viel bessere Figur machen würde als gar mancher von den Würdenträgern der Stadt. Dieser Bauernsohn, den die Sorgen seines Handels gebleicht hatten, der bei seiner sitzenden Lebensweise dick geworden war und seine gehässigen Begierden unter der natürlichen Ruhe seiner Züge verbarg, hatte in der Tat die nichtssagende, feierliche Miene, die tölpelhafte Vierschrötigkeit, die einen Mann in einem vornehmen Salon eine so vorteilhafte Figur machen lassen. Man behauptete, daß seine Frau ihn am Gängelbande führe; darin aber täuschte man sich. Er war von einem tierischen Eigensinn; stieß er an einen klar ausgesprochenen, fremden Willen, so konnte er dermaßen in Zorn geraten, daß er bereit war dreinzuhauen. Allein Felicité war zu schlau, als daß sie ihn durch Widerspruch gereizt hätte; die lebhafte Schmetterlingsnatur dieser zwerghaften Frau vermied es, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen; wenn sie von ihrem Manne etwas erlangen oder ihn nach einer Richtung drängen wollte, die sie für die bessere hielt, umschwärmte sie ihn mit ihrem Heuschreckenflug, stach ihn von allen Seiten, kam hundertmal auf ihren Gegenstand zurück, bis er nachgab, ohne es zu merken. Er hatte übrigens das Bewußtsein, daß sie klüger sei als er, und ließ sich geduldig ihre Ratschläge gefallen. Nützlicher als die Schmeißfliege versah übrigens Felicité manchmal alle Arbeit des Hauses, während sie ihrem Manne mit ihren Plänen um die Ohren summte. Die beiden Ehegatten – so selten diese Erscheinung auch sein mag – warfen ihre Mißerfolge niemals einander vor; bloß die Frage der Ausbildung der Kinder entfesselte manchmal ein kleines häusliches Unwetter.

      Die


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