Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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Frieden, nach ihrem Willen leben lassen werde. Kaum waren die jungen Leute verheiratet, so sah Mouret ein, daß er Plassans verlassen müsse, wenn er nicht Tag für Tag verdrießliche Dinge über seine Frau und seine Schwiegermutter hören wolle. Er zog mit Ursula nach Marseille, wo er sein Handwerk ausübte. Im übrigen hatte er keinen Pfennig Mitgift gefordert. Als Peter, betroffen von eo großer Uneigennützigkeit, einige Erklärungen stammeln wollte, schloß ihm Mouret den Mund: er ziehe es vor, seine Frau durch seiner Hände Arbeit zu ernähren. Der würdige Sohn des Bauern Rougon war darob ganz verblüfft; er witterte hinter diesem Benehmen irgendeine Falle.

      Er hatte nunmehr noch mit Adelaide fertig zu werden. Um keinen Preis der Welt wollte Peter noch länger mit ihr zusammenwohnen. Sie gereichte ihm zur Schande. Am liebsten würde er mit ihr den Anfang gemacht haben. Allein er sah sich zwischen zwei sehr unangenehmen Möglichkeiten. Sie im Hause behalten, sich weiter mit ihrer Schande beladen, sich eine schwere Kugel an die Beine schmieden lassen, die ihn in dem kühnen Flug seines Ehrgeizes hindern werde: das war die eine Möglichkeit. Sie aus dem Hause jagen und mit Fingern auf sich als schlechten Sohn zeigen lassen, was alle seine Berechnungen eines scheinbaren Biedermannes über den Haufen geworfen hätte: das war die andere Möglichkeit. Da er fühlte, daß er alle brauchen werde, wollte er seinen Namen bei ganz Plassans in Gunst setzen. Es gab also nur das eine Mittel: Adelaide zu bewegen, daß sie freiwillig gehe. Peter verabsäumte nichts, um dieses Ziel zu erreichen. Er war der Überzeugung, daß alle seine Roheiten durch das regellose Leben seiner Mutter entschuldigt seien. Er strafte sie, wie man ein Kind straft. Die Rollen waren vertauscht. Das arme Weib beugte sich unter diese stets erhobene Peitsche. Sie war kaum zweiundvierzig Jahre alt und hatte das scheue Stammeln, die verstörten, unterwürfigen Mienen einer kindisch gewordenen Greisin. Ihr Sohn fuhr fort, sie mit seinen strengen Blicken zu martern, in der Hoffnung, daß sie fliehen werde, wenn eines Tages ihr Mut zu Ende war. Die Unglückliche litt furchtbar durch die Schande, durch ihre unterdrückten Begierden, durch die Demütigungen, die sie über sich ergehen ließ; unempfindlich nahm sie die Schläge hin und – kehrte immer zu Macquart zurück, weil sie lieber auf dem Fleck sterben als nachgeben wollte. In manchen Nächten hätte sie zur Viorne laufen und sich ertränken mögen, wenn ihr schwacher Leib eines nervösen Weibes nicht eine entsetzliche Furcht vor dem Tode gehabt hätte. Wiederholt dachte sie daran, zu fliehen und ihren Liebhaber an der Grenze aufzusuchen; sie blieb nur deshalb in diesem Hause, dem verächtlichen Stillschweigen und den geheimen Roheiten ihres Sohnes ausgesetzt, weil sie nicht wußte, wohin sie flüchten solle. Peter sah ein, daß sie ihn längst verlassen haben würde, wenn sie einen Zufluchtsort hätte. Er wartete auf eine Gelegenheit, ihr irgendwo eine kleine Wohnung zu mieten, als ein Zufall, auf den er nicht zu hoffen gewagt hatte, eine plötzliche Verwirklichung seiner Wünsche herbeiführte. Man erfuhr in der Vorstadt, daß Macquart an der Grenze von den Zollwächtern in dem Augenblicke erschossen worden sei, als er eine Ladung Genfer Uhren einschmuggeln wollte. Es hatte seine Richtigkeit mit diesem Gerücht. Selbst der Leichnam des Schmugglers ward nicht nach Plassans gebracht; er ward irgendwo auf einem kleinen Dorfkirchhofe in den Grenzgebirgen eingescharrt. Adelaide ward durch den Schmerz über diesen Verlust um den geringen Rest ihres Verstandes gebracht. Ihr Sohn, der sie neugierig beobachtete, sah sie nicht eine Träne vergießen. Macquart hatte sie zu seiner Erbin gemacht. Sie erbte die Hütte im Saint-Mittre-Sackgäßchen und den Karabiner, den einer der Genossen des Erschossenen ihr ehrlich wiederbrachte. Schon am folgenden Tage zog sie sich in Macquarts Häuschen zurück; sie hängte das Gewehr über dem Kamin an der Wand auf und lebte da still und einsam, abgeschieden von aller Außenwelt.

      Endlich war Peter Rougon alleiniger Herr des Hauses.

       Der Gemüsegarten der Fouque war tatsächlich, wenn auch nicht rechtlich, in seinem Besitz. Es war ihm nie eingefallen, sich daselbst niederzulassen. Es war für seinen Ehrgeiz ein gar zu enges Gebiet. Die Erde zu bearbeiten, Gemüse zu ziehen schien ihm gemein, seiner Fähigkeiten unwürdig. Es drängte ihn, aus dem Bauernstande herauszutreten. Seine durch den nervösen Charakter der Mutter verfeinerte Natur empfand ein unwiderstehliches Verlangen nach den Freuden des Bürgerstandes. Darum hatte er in allen seinen Plänen den Verkauf des Grundstückes als Lösung in Aussicht genommen. Der Erlös für dieses Grundstück mußte ihm ein hübsches Stück Geld bringen und ihn in den Stand setzen, die Tochter irgendeines Bürgers heimzuführen, der ihn dann zum Genossen seines Geschäftes machen würde. Die Feldzüge des ersten Kaiserreiches lichteten zu jener Zeit sehr stark die Reihen der heiratsfähigen jungen Männer. Die Eltern zeigten sich weniger schwierig in der Wahl ihrer Schwiegersöhne. Peter sagte sich, daß das Geld alles ausgleichen und daß man über den Klatsch der Vorstadt leicht hinweggehen werde. Er wollte sich als Opfer ausgeben, als ein wackeres Herz, das durch die Schmach der Familie leidet, sie beklagt, ohne davon berührt zu werden und ohne sie zu entschuldigen. Seit mehreren Monaten schon hatte er sein Auge auf Felicité Puech, die Tochter eines Ölhändlers geworfen. Das Haus »Puech & Lacamp«, dessen Magazine in einem der dunkelsten Gäßchen der Altstadt lagen, war keineswegs in einem Zustande der Blüte. Es genoß am Platze nur wenig Kredit und man sprach von seinem bevorstehenden Bankerott. Gerade im Hinblick auf diese Gerüchte richtete Peter Rougon seine Hoffnungen nach dieser Seite. Er sah ein, daß ein in guten Verhältnissen befindlicher Kaufmann ihm niemals seine Tochter zur Frau geben werde. Er dachte, in dem Augenblick sein Ziel zu erreichen, wenn der alte Puech nimmer weiter könne, und wollte dann durch seine Klugheit und Tatkraft das Haus neu aufrichten. Das war ein geschicktes Mittel, eine Staffel höher zu steigen, sich um Kopfeslänge über seinen Stand aufzuschwingen. Er wollte vor allem diese abscheuliche Vorstadt fliehen, wo man auf seiner Familie herumtrat; er wollte das schändliche Gerede zum Verstummen bringen, indem er selbst den Namen des Fouqueschen Gartens aus der Welt schaffen würde. Darum schienen die übelriechenden Gassen der Altstadt ihm ein Paradies. Hier erst wollte er eine neue Haut annehmen.

      Bald sollte der von ihm so heiß ersehnte Augenblick kommen. Das Haus Puech & Lacamp lag in den letzten Zügen. Der junge Mensch leitete jetzt mit kluger Geschicklichkeit die Unterhandlungen wegen seiner Heirat ein. Er ward nicht gerade wie ein Retter aufgenommen, aber doch wie ein notwendiges und annehmbares Aushilfsmittel. Als die eheliche Verbindung eine beschlossene Sache war, schritt er zum Verkaufe des Gemüsegartens. Der Eigentümer des Jas-Meiffren, der seinen Besitz abrunden wollte, hatte ihm schon wiederholt Anerbietungen gemacht; bloß eine dünne, niedrige Mauer schied die beiden Besitztümer voneinander. Peter rechnete auf den Wunsch seines Nachbars, eines sehr reichen Mannes, der, um seine Laune zu befriedigen, bereit war, bis zu fünfzigtausend Franken zu gehen. Dies hieß den Gemüsegarten mit dem Zweifachen seines Wertes bezahlen. Mit der Schlauheit eines Bauern ließ Peter sich erst bitten; er wolle nicht verkaufen, sagte er; niemals werde seine Mutter einwilligen, ein Besitztum wegzugeben, auf dem die Fouque seit zweihundert Jahren von Geschlecht zu Geschlecht gelebt hatten. Doch während er zu zögern schien, bereitete er den Verkauf vor. Es waren einige Bedenken in ihm wach geworden. Nach seiner rücksichtslosen Logik gehörte der Garten ihm, und hatte er das Recht, darüber nach seinem Belieben zu verfügen. Allein auf dem Grunde dieser Sicherheit regte sich die unbestimmte Ahnung, daß er mit dem Gesetze in Widerspruch geraten könne. Er entschloß sich, einen Gerichtsvollzieher der Vorstadt zu Rate zu ziehen. Da erfuhr er schöne Dinge. Der Gerichtsvollzieher meinte, Peter habe in dieser Sache gebundene Hände. Seine Mutter allein dürfe den Garten veräußern. Dies hatte er vermutet; aber was er nicht gewußt hatte und was wie ein Keulenschlag auf ihn wirkte, war die Nachricht, daß auch Anton und Ursula, die Bastarde, die Wolfsjungen, Rechte auf dieses Besitztum hätten. Was? dieses Hurenpack wollte ihn, den legitimen Sohn, berauben? Doch die Ausführungen des Gerichtsvollziehers waren ganz klar. Adelaide habe Rougon allerdings unter der Bedingung der Gütergemeinschaft geheiratet; allein da das ganze Vermögen in unbeweglichem Besitztum bestand, war die Frau nach dem Tode des Gatten im Sinne des Gesetzes wieder seine alleinige Eigentümerin geworden; da anderseits Macquart und Adelaide ihre Kinder anerkannt hatten, waren diese Miterben des Vermögens ihrer Mutter. Als einziger Trost erfuhr Rougon, daß das Gesetz den Anteil der außerehelichen Kinder zugunsten der ehelichen verkürze. Aber dies war ihm kein Trost, denn er wollte alles haben. Nicht zehn Sous würde er mit Anton und Ursula geteilt haben. Diese Bresche des Gesetzes eröffnete ihm neue Gesichtspunkte, die er mit einer eigentümlich nachsinnenden Miene prüfte. Er sah bald ein, daß ein geschickter Mensch das Gesetz stets auf seine Seite bringen müsse. Ohne jemanden zu Rate zu ziehen – selbst den Gerichtsvollzieher nicht, dessen Argwohn er


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