Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
zeigten, waren durchsichtig wie Kristall wie bei den jungen Kätzchen, die an der Schwindsucht zugrunde gehen.
Den beiden Bastardkindern gegenüber schien Peter ein Fremder zu sein. Wer nicht die Wurzeln seines Wesens prüfte, mußte finden, daß er von jenen ganz verschieden war. Noch niemals war ein Kind in dem Maße der wohl abgewogene Durchschnitt der zwei Geschöpfe, die ihn gezeugt hatten. Er hielt die richtige Mitte zwischen dem Bauer Rougon und dem nervösen Weib Adelaide. Seine Mutter hatte, indem sie ihn gebar, ein weniger plumpes Exemplar seines Vaters zur Welt gebracht. Die stille, verborgene Arbeit der Charaktere, die mit der Zeit ein Geschlecht verbessert oder zur Entartung treibt, schien mit Peter Rougon die erste Frucht gezeitigt zu haben. Auch er war nur ein Bauer, aber ein Bauer mit einer minder groben Haut und einem minder harten Gesicht, mit einem geschmeidigen, weiter ausgreifenden Verstände. Sein Vater und seine Mutter hatten sich in ihm wechselseitig verbessert. Hatte Adelaidens Natur, die der Aufruhr der Nerven sehr gefällig verfeinerte, die plumpe Schwerfälligkeit Rougons gedämpft und gemildert, so war anderseits die wuchtige Massigkeit des letzteren ein wirksames Hindernis gegen die körperliche Zerrüttung der jungen Frau. Peter kannte weder die Wutausbrüche, noch die krankhaften Träumereien der Wolfsjungen des Macquart. Sehr schlecht erzogen, geräuschvoll wie alle Kinder, die sich selbst überlassen bleiben, besaß er doch einen Bodensatz von Überlegung, der ihn stets abhielt, eine nutzlose Dummheit zu begehen. Sein Laster, sein Müßiggang, seine Genußsucht hatten nicht das instinktive Ungestüm der Laster Antons; er wollte sie vor aller Welt rechtschaffen pflegen und befriedigen. In seiner fetten, mittelgroßen Gestalt, in seinem langen, blassen Gesichte, wo die Züge des Vaters sich durch solche der Mutter verfeinert hatten, las man schon den tückischen Ehrgeiz, das unersättliche Bedürfnis nach Genuß, das kalte Herz und den neidvollen Haß des Bauernsohnes, den das Vermögen und die Nervosität der Mutter zu einem Bürger gemacht hatten.
Als Peter im Alter von siebzehn Jahren die unordentliche Lebensführung seiner Mutter und das eigenartige Verhältnis seiner Geschwister erfuhr und zu erfassen vermochte, war er weder betrübt noch entrüstet, aber er begann über die Haltung nachzudenken, welche er zur Wahrung seiner Interessen beobachten mußte. Von den drei Kindern hatte er allein mit einer gewissen Regelmäßigkeit die Schule besucht. Ein Bauer, der die Notwendigkeit des Unterrichtes einsieht, wird gewöhnlich ein schlauer Rechner. Die schmähliche Art und Weise, wie die Kinder in der Schule seinen Bruder Anton behandelten, erweckte den ersten Verdacht in ihm. Später erklärte er sich alle die seltsamen Blicke und Reden. Die wüste Wirtschaft im Hause öffnete ihm vollends die Augen. Von nun ab waren Anton und Ursula für ihn unverschämte Schmarotzer, Mäuler, die an seinem Gute zehrten. Seine Mutter beurteilte er genau so wie die übrige Bevölkerung der Vorstadt, d. h. wie ein Weib, das man einsperren müsse, das ihm schließlich sein Vermögen vergeude, wenn er dem nicht rechtzeitig vorbeuge. Was ihn vollends erbitterte, waren die Diebereien des Gemüsegärtners. Über Nacht wurde aus dem ausgelassenen Rangen ein sparsamer, habsüchtiger Bursche, der sehr schnell heranreifte bei dem Anblick der Luderwirtschaft, die er nicht ohne Abscheu länger mit ansehen konnte. Ihm gehörten die Gemüse, deren Erlös zum größten Teil in die Taschen des Gärtners floß; ihm gehörten der Wein und das Brot, das die Bastarde seiner Mutter tranken und aßen. Das ganze Haus, das ganze Vermögen gehörte ihm. Nach seinem Bauernverstande war er, der rechtmäßige Sohn, der alleinige Erbe. Da sein Hab und Gut vermindert wurde, da alle Welt gierig an seinem künftigen Vermögen zehrte, sann er nach Mitteln, alle diese Leute, Mutter, Geschwister, Dienstgesinde an die Luft zu setzen und unverzüglich sein Erbe anzutreten.
Es setzte einen erbitterten Kampf. Der junge Mensch begriff, daß er vor allem die Mutter unschädlich machen müsse. Schritt für Schritt, mit hartnäckiger Geduld verfolgte er einen Plan, dessen Einzelheiten er längst festgestellt hatte. Sein Vorgehen bestand darin, sich vor Adelaide als lebendiger Vorwurf aufzupflanzen. Er geriet nicht in Zorn, machte ihr keine Vorstellungen wegen ihres unordentlichen Lebenswandels; aber er hatte eine Art ersonnen, sie stumm anzuschauen, die der Ärmsten das Blut in den Adern erstarren machte. Wenn sie nach kurzem Verweilen bei Macquart wieder in ihrem Hause erschien, wagte sie nur zitternd zu ihm aufzublicken; sie fühlte seine Blicke kalt und scharf gleich stählernen Spitzen lang und unerbittlich auf sich haften. Die strenge und schweigsame Haltung Peters, dieses Kindes eines von ihr so schnell vergessenen Mannes, verwirrte seltsam ihr armes, krankes Hirn. Sie sagte sich, daß Rougon auferstanden sei, um sie für ihren unsittlichen Lebenswandel zu strafen. Sie bekam jetzt jede Woche einen jener Nervenanfälle, die sie niederwarfen. Man überließ sie ihren Krämpfen; wenn sie das Bewußtsein wiedererlangte, brachte sie ihre Kleider in Ordnung und schleppte sich schwächer als zuvor dahin. Oft brach sie nächtlicherweile in Schluchzen aus, drückte ihren Kopf in ihre Hände und nahm die Züchtigungen Peters als Strafen eines rächenden Gottes hin. Ein anderes Mal wieder verleugnete sie ihn; sie wollte das Blut ihres Herzens nicht wiedererkennen in diesem schwerfälligen Burschen, dessen Ruhe ihr fieberheißes Blut so schmerzlich erstarren machte. Tausendmal lieber wäre es ihr gewesen, Prügel zu bekommen, als in dieser Weise angeschaut zu werden. Diese unversöhnlichen Blicke, die sie überallhin verfolgten, marterten sie schließlich in einer so unerträglichen Weise, daß sie wiederholt den Entschluß faßte, mit ihrem Liebhaber zu brechen; allein sobald Macquart ankam, waren ihre Schwüre vergessen, und sie eilte zu ihm. Wenn sie dann heimkehrte, begann der stumme Kampf noch stummer, noch furchtbarer. Nach Verlauf einiger Monate war sie eine Beute ihres Sohnes. Sie benahm sich in seiner Gegenwart wie ein kleines Mädchen, das nicht sicher ist, ob es sich gut betragen habe, und die Zuchtrute verdient zu haben fürchtet. Als geschickter Bursche, der er war, hatte Peter sie an Händen und Füßen gefesselt, eine untertänige Magd aus ihr gemacht, ohne auch nur den Mund zu öffnen, ohne sich in schwierige und unangenehme Erklärungen einzulassen.
Als der junge Mensch seine Mutter in seiner Gewalt wußte; als er sah, daß er sie wie seine Sklavin behandeln könne, begann er die Schwächen ihres Gehirns und den wahnsinnigen Schrecken, den jeder seiner Blicke ihr einjagte, für seine Interessen auszubeuten. Sobald er Herr im Hause war, war es seine erste Sorge, den Gärtner zu entlassen und durch ein ihm ergebenes Geschöpf zu ersetzen. Er riß die Leitung des Hauses an sich, kaufte, verkaufte, führte die Kasse. Er bemühte sich übrigens nicht im mindesten, seine Mutter von ihrem regellosen Lebenswandel abzubringen oder Anton und Ursula von ihrer Trägheit zu heilen. Er kümmerte sich nicht viel darum, denn er hatte ja die Absicht, sich bei der ersten Gelegenheit all dieser Leute zu entledigen. Er begnügte sich, ihnen das Brot und das Wasser zuzumessen. Als er dann das ganze Vermögen in seinen Händen hatte, harrte er eines Ereignisses, das ihm gestattete, zu seinem Vorteil darüber zu verfügen.
Die Umstände sollten seine Pläne in ganz unerwarteter Weise fördern. Als ältester Sohn einer Witwe wurde er vom Militärdienst befreit; dagegen traf zwei Jahre später Anton das Los. Dieser nahm sich die Sache anfänglich nicht gar sehr zu Herzen, denn er dachte, seine Mutter werde einen Ersatzmann für ihn kaufen. Adelaide wollte ihn in der Tat vom Militärdienste retten, allein Peter, der den Säckel verwaltete, wollte hiervon nichts wissen. Der gezwungene Abgang seines Bruders war ein glückliches Ereignis, das seine Pläne vortrefflich förderte. Als seine Mutter ihm von dieser Sache sprach, schaute er sie in einer Weise an, daß sie ihre Rede nicht zu vollenden wagte. Sein Blick sagte: »Deinem Bastard zuliebe willst du mich zugrunde richten?« Sie überließ also Anton seinem Schicksale, weil sie vor allem Ruhe und Frieden haben wollte. Peter, der kein Freund gewaltsamer Mittel war und sich freute, seinen Bruder ohne Zank und Hader an die Luft setzen zu können, spielte jetzt den Trostlosen: das Jahr sei schlecht, es fehle an Geld im Hause, man müsse ein Stück Land verkaufen und dies sei der Anfang des Ruins. Dann gab er Anton sein Wort, ihn im nächsten Jahre loszukaufen, wenngleich er entschlossen war, nichts dergleichen zu tun. Anton ließ sich täuschen und rückte, halb und halb befriedigt, zum Militärdienst ein.
Noch leichter und unverhoffter entledigte er sich seiner Schwester Ursula. Ein Hutmachergehilfe der Vorstadt namens Mouret verliebte sich in das junge Mädchen, das so weiß und schmächtig war wie ein Fräulein aus dem Sankt-Markus-Viertel, und nahm sie zur Frau. Es war dies von seiner Seite eine Liebesheirat, ein unberechneter, leichtfertiger Schritt. Ursula willigte ein, um aus einem Hause fliehen zu können, wo ihr älterer Bruder ihr das Leben unerträglich machte. Ihre Mutter war völlig in ihrer zügellosen Genußsucht aufgegangen und wandte ihre letzte Widerstandkraft daran, sich selbst zu verteidigen. Alles andere war ihr völlig