Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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unterzeichnen. Wenn man ihr nur ihre Keusche im Saint-Mittre-Gäßchen ließ, war Adelaide bereit, ganz Plassans zu verkaufen. Peter sicherte ihr übrigens eine Jahresrente von sechshundert Franken zu und schwor ihr hoch und teuer, daß er seine Geschwister nicht verlassen werde. Ein solcher Schwur beruhigte das arme Weib. Sie sagte vor dem Notar alles her, was ihr Sohn ihr eingetrichtert hatte. Am folgenden Tage ließ der junge Mann sie ein Papier unterschreiben, in dem sie den Empfang von fünfzigtausend Franken als Erlös für den Gemüsegarten bestätigte. Dies war sein Hauptstreich. Seiner Mutter, die erstaunt war, ein solches Schriftstück unterzeichnen zu müssen, da sie doch keinen Heller gesehen hatte, sagte er, es sei dies bloß eine Formsache ohne alle Folgen. Indem er das Papier in seine Tasche steckte, dachte er: »Nun mögen die Wolfsjungen mich zur Rechenschaft ziehen; ich werde sagen, die Alte habe alles aufgezehrt. Sie werden es niemals wagen, mir den Prozeß zu machen.« Acht Tage später war die Scheidemauer verschwunden; der Pflug ging über die Gemüsebeete hinweg; der Fouquesche Garten ward zu einer Fabel, wie Rougon es gewünscht hatte. Einige Monate später ließ der Eigentümer des Jas-Meiffren selbst das alte Wohnhaus der Gemüsegärtner niederreißen.

      Als Peter die fünfzigtausend Franken in Händen hatte, heiratete er Felicité Puech. Sie war ein kleines, schwarzes Weib, wie man in der Provence so viele sieht. Sie erinnerte an jene braunen, dürren, zirpenden Grillen, die in ihrem regellosen Flug mit den Köpfen an die Mandelbäume stoßen. Mager, flachbrüstig, mit spitzigen Schultern und dem Gesicht eines Marders mit merkwürdig scharfen, ausgeprägten Zügen schien sie kein bestimmtes Alter zu haben; man hätte sie ebensogut für fünfzehn Jahre wie für dreißig Jahre alt halten können, obgleich sie nur neunzehn Jahre zählte, um vier weniger als ihr Gatte. Eine katzenhafte Schlauheit lag in ihren schwarzen, schmalen Augen, die wie mit dem Bohrer ausgehöhlt waren. Ihre niedrige, gewölbte Stirne; ihre an der Wurzel leicht eingedrückte Nase, deren Flügel sich stark aushöhlten, fein und empfindlich waren, wie um die Gerüche besser aufzunehmen; die schmale, rote Linie der Lippen; das vorspringende Kinn, das durch seltsame Höhlungen sich an die Wangen anschloß; dieses ganze Gesicht einer schlauen Zwergin war wie die lebendige Maske der Intrige, des ruhelosen und neidvollen Ehrgeizes. Zur Häßlichkeit gesellte sich bei Felicité ein Reiz, der sie fast verführerisch machte. Man sagte von ihr, daß sie nach ihrem Belieben schön oder häßlich war. Dies schien von der Art und Weise abzuhängen, wie sie ihr wahrhaft prachtvolles Haar in Knoten schürzte; noch mehr aber hing es von dem triumphierenden Lächeln ab, das ihre goldbraune Gesichtsfarbe erhellte, wenn sie über jemanden den Sieg davon getragen zu haben glaubte. Gewissermaßen unter einem Unstern geboren und vom Schicksal sich benachteiligt wähnend, fügte sie sich zumeist in den Gedanken, für häßlich zu gelten. Im übrigen gab sie den Kampf nicht auf; sie hatte den Vorsatz gefaßt, eines Tages durch die Schaustellung ihres Reichtums und ihres schamlosen Prunkes die ganze Stadt vor Neid bersten zu machen. Und hätte sie ihr Leben auf einem größeren Schauplatze abspielen können, wo ihr aufgeschlossener Verstand sich frei hätte entfalten können, sie würde sicherlich bald ihren Glückstraum verwirklicht haben. Ihre Verstandeskräfte waren denen der anderen Mädchen ihrer Klasse und ihrer Ausbildung weit überlegen. Die bösen Zungen behaupteten, daß ihre Mutter, die einige Jahre nach ihrer Geburt gestorben war, in der ersten Zeit ihrer Ehe sehr eng befreundet gewesen sei mit dem Marquis von Carnavant, einem jungen Edelmann auf dem Sankt-Markus-Viertel. In Wahrheit hatte Felicité Füße und Hände einer Marquise, die dem Geschlechte von Arbeitern, aus dem sie abstammte, fremd zu sein schienen.

      Die Altstadt war einen vollen Monat darüber verwundert, daß sie den Peter Rougon heiratete, diesen halben Bauern, diesen Vorstadtmenschen, dessen Familie keineswegs im Geruche der Heiligkeit stand. Sie ließ die Leute reden und nahm mit einem eigentümlichen Lächeln die gezwungenen Glückwünsche ihrer Freundinnen entgegen. Ihre Rechnung war gemacht; sie wählte Rougon als ein Mädchen, das einen Gatten nimmt, wie man einen Mitschuldigen nimmt. Indem ihr Vater den jungen Menschen in seine Familie aufnahm, sah er nichts als die fünfzigtausend Franken, die ihn vor dem Bankerott retteten. Allein Felicité hatte schärfere Augen. Sie schaute in die ferne Zukunft und fühlte das Bedürfnis, einen gesunden, wenn auch ein wenig bäuerischen Mann zu haben, hinter dem sie sich verbergen und dessen Arme und Beine sie nach ihrem Belieben in Bewegung setzen konnte. Sie war von einem sehr gesunden Haß erfüllt gegen die Provinzherrchen, gegen dieses schwindsüchtige Volk von Notarsgehilfen und künftigen Advokaten, die in Erwartung der Praxis ein Jammerleben führten. Da sie keine Mitgift besaß und darauf verzichten mußte, den Sohn eines reichen Kaufmannes zu heiraten, zog sie einen Bauer, aus dem sie ein willfähriges Werkzeug zu machen hoffte, tausendmal irgendeinem dürren Angestellten vor, der sie mit seiner Überlegenheit eines Studierten erdrücken und mit ihr das ganze jämmerliche Leben hindurch eitlen Trugbildern nachjagen würde. Sie dachte, das Weib müsse den Mann formen. Sie fühlte sich stark genug, aus einem Kuhhirten einen Minister zu bilden. Was sie bei Rougon verführte, war die breite Brust und der untersetzte, einer gewissen Eleganz nicht entbehrende Rumpf. Ein so gebauter Bursche mußte mit Leichtigkeit die Welt von Ränken tragen, die sie ihm aufzubürden gedachte. Wußte sie die Kraft und Gesundheit ihres Gatten zu schätzen, so hatte sie anderseits bald heraus, daß er weit entfernt war, ein Schwachkopf zu sein. Sie erriet, daß in diesem vierschrötigen Körper ein geschmeidiger, schlauer Geist wohne; doch fehlte viel, daß sie ihren Rougon kannte; sie hielt ihn für dümmer, als er war. Einige Tage nach ihrer Vermählung fand sie durch Zufall in einem Schubfache die von Adelaide unterschriebene Empfangsbestätigung über fünfzigtausend Franken. Sie begriff die Sache sogleich und war entsetzt. Sie war eine Natur von durchschnittlicher Ehrlichkeit, und die Mittel dieser Art widerstrebten ihr. Aber in ihren Schrecken mengte sich ein Zug von Bewunderung. Rougon erschien ihr jetzt als ein sehr schlauer Mensch.

      Das junge Ehepaar machte sich wacker daran, Vermögen zu erwerben. Das Haus Puech & Lacamp war weniger erschüttert, als Peter gedacht hatte. Die Schuldensumme war nicht groß, nur fehlte es an Geld. Der Handel wird in der Provinz mit einer solchen Vorsicht geführt, daß ihm nur selten große Katastrophen drohen. Puech & Lacamp aber waren ganz besonders bedächtige Leute; sie zitterten, wenn sie tausend Taler an ein Geschäft wagen sollten, darum konnte denn auch ihre Firma zu keiner Bedeutung gelangen. Die fünfzigtausend Franken, die Peter mitbrachte, genügten, um die Schulden zu bezahlen und dem Geschäfte eine größere Ausdehnung zu geben. Der Beginn war vom Glücke begünstigt. In drei aufeinander folgenden Jahren gab es reichliche Ölernten. In einem kühnen Einfall, der Peter und den alten Puech erschreckte, bewog Felicité die Männer, eine bedeutende Menge Öl zu kaufen und einzulagern. Die nächsten zwei Jahre ergaben eine Mißernte, wie die junge Frau es vorausgesehen hatte. Die Ölpreise gingen in die Höhe, und sie konnten ihre Vorräte mit erheblichem Nutzen verkaufen.

      Kurze Zeit nach diesem Glückszug traten Puech und Lacamp aus der Gesellschaft aus. Sie waren mit dem bescheidenen Gewinn zufrieden, den sie erzielt hatten und hatten nur mehr den Ehrgeiz, als Rentenbesitzer ihre Tage zu beschließen.

      Das junge Ehepaar war jetzt allein Herr im Hause und dachte, künftig das Glück festzuhalten.

      Du hast mein Pech besiegt, sagte Felicité manchmal zu ihrem Gatten.

      Eine der wenigen Schwächen dieser energischen Natur war die, daß sie sich vom Unglück verfolgt wähnte. Bisher – so behauptete sie – sei ihnen, ihr und ihrem Vater, noch nichts geglückt trotz all ihrer Anstrengungen. Von der südländischen Abergläubigkeit ermuntert rüstete sie sich zum Kampfe gegen das Schicksal, wie man gegen eine Person von Fleisch und Bein kämpft, die uns verderben will.

      Die Tatsachen sollten alsbald ihre Besorgnisse in seltsamer Weise bestätigen. Das Pech kam unerbittlich wieder. Jedes Jahr kam ein neues Unglück, um das Haus Rougon zu erschüttern. Ein Bankerottierer schädigte es um einige tausend Franken; die Wahrscheinlichkeitsberechnungen erwiesen sich infolge unglaublicher Umstände als falsch; die sichersten Berechnungen schlugen jämmerlich fehl. Es war ein Kampf aufs Messer.

      Nun siehst du wohl, daß ich unter einem Unstern geboren bin, sagte Felicité bitter.

      Aber sie setzte nur um so energischer den Kampf fort; sie begriff nicht, weshalb sie, die für das erste Wagnis eine so feine Witterung gehabt hatte, ihrem Gatten jetzt nur unglückselige Ratschläge gab.

      Peter war sehr niedergeschlagen. Da er weniger Ausdauer besaß, würde er ohne die verbissene Hartnäckigkeit


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