Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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Franken würden sie die Herren der Stadt werden; sie würde ihren Mann auf eine wichtige Stelle ernennen lassen; mit einem Worte: sie würde regieren. Der Kampf um die Ehrenstellen machte ihr keine Sorge; sie fühlte sich seltsam gerüstet dafür. Dagegen verließ sie ihre Stärke, als es sich darum handelte, die ersten Säcke Taler zu erwerben. Vor der Kunst, die Menschen zu behandeln, schrak sie nicht zurück; dagegen empfand sie eine Art ohnmächtiger Wut angesichts dieser kalten, weißen Münzen, über die ihr Ränkegeist keine Macht hatte, und die so blöd waren, nicht kommen zu wollen.

      Über dreißig Jahre dauerte der Kampf. Als Puech starb, war dies ein neuer Keulenschlag. Felicité, die vierzigtausend Franken nach ihm zu erben gehofft hatte, erfuhr zu ihrem Entsetzen, daß der alte Egoist sein Vermögen einer Altersversorgung verschrieben hatte. Diese Nachricht warf Felicité auf das Krankenbett. Sie verbitterte immer mehr, ward immer dürrer, immer herber. Wenn man sah, wie sie vom Morgen bis zum Abend die Ölkrüge umkreiste, hätte man glauben mögen, daß sie durch dieses ewige, unruhige, fliegenartige Umherschwärmen ihren Verkauf beschleunigen wolle. Ihr Mann hingegen ward immer schwerfälliger; das Pech machte ihn fett und weich. Diese dreißig Jahre fortwährenden Kampfes warfen sie aber doch nicht vollends auf die Strecke. Bei jeder Jahresrechnung fanden sie, daß sie beiläufig mit heiler Haut davongekommen waren; die Verluste eines Jahres brachten sie im folgenden Jahre wieder herein. Dieses Leben, das man sozusagen von Tag zu Tag fortfristen mußte, trieb Felicité schier zur Verzweiflung.

       Sie hätte einen vollständigen Bankerott vorgezogen. Vielleicht hätten sie dann ihr Leben von vorne beginnen können, anstatt sich damit abzurackern, den täglichen Bissen Brot zu erwerben.

      Allerdings muß gesagt werden, daß sie gleich in den ersten Jahren ihrer Ehe mehrere Kinder bekamen, die ihnen mit der Zeit eine schwere Bürde wurden. Felicité erwies sich, wie so viele kleine Frauen, von einer Fruchtbarkeit, die man ihrem schwächlichen Körperbau niemals zugemutet haben würde. Im Zeitraume von fünf Jahren, in den Jahren 1811-15, gebar sie drei Söhne; in den darauf folgenden vier Jahren gab sie noch zwei Töchtern das Leben. Im ruhigen Provinzleben gedeihen die Kinder am besten. Die Rougonschen Ehegatten nahmen die zuletzt gekommenen zwei Kinder ziemlich übel auf. Wenn die Mitgift fehlt, sind die Töchter eine arge Verlegenheit. Rougon sagte jedem, der es hören wollte, daß es genug sei und mit Teufelsdingen zugehen müsse, wenn noch ein sechstes komme. In der Tat hörte Felicité auf, Kinder zu gebären; es wäre sonst schwer zu sagen, bis zu welcher Zahl sie gegangen wäre.

      Die junge Frau betrachtete übrigens diese Kinderschar nicht als eine Ursache ihres Ruins. Im Gegenteil; sie richtete auf den Köpfen ihrer Söhne das Gebäude ihres Glückes wieder auf, das zwischen ihren Händen in Trümmern sank. Sie zählten noch nicht zehn Jahre, als sie schon eine fertige Zukunft für sie träumte. Da sie daran zweifelte, jemals aus eigener Kraft ans Ziel zu gelangen, setzte sie ihre Hoffnungen auf ihre Söhne, um so die Hartnäckigkeit des Schicksals zu überwinden. Sie sollten ihr enttäuschungsreiches Streben verwirklichen; sie sollten ihr jene reiche und beneidete Stellung verschaffen, der sie bisher vergebens nachgejagt war. Ohne den durch ihr Handlungshaus geführten Kampf aufzugeben, verfolgte sie von da ab noch eine zweite Taktik, um endlich doch zur Befriedigung ihrer herrschsüchtigen Triebe zu gelangen. Es schien ihr unmöglich, daß es unter ihren drei Söhnen nicht einen einzigen Mann von überlegenem Geiste geben solle, der sie alle reich machen werde. Sie fühlte dies, sagte sie. Darum pflegte sie auch die Kinder mit einem Eifer, in dem die Strenge der Mutter mit der Liebe des Wucherers sich mengte. Sie gefiel sich darin, sie sorgfältig zu mästen wie ein Kapital, das später hohe Zinsen tragen solle.

      Laß doch! pflegte Peter zu schreien. Alle Kinder sind undankbar. Du verdirbst sie; du richtest uns zugrunde.

      Wenn Felicité davon sprach, die Söhne auf die hohe Schule zu schicken, wurde er böse. Das Lateinische sei ein überflüssiger Luxus; es genüge, sie eine kleine Privatschule besuchen zu lassen, die es in der Nachbarschaft gab. Allein die junge Frau ließ nicht locker; ihr Streben ging höher hinaus; sie setzte ihren Stolz darein, sich mit unterrichteten Kindern zu schmücken; sie fühlte überdies, daß ihre Kinder nicht so ungebildet bleiben dürften wie ihr Vater, wenn sie einst große Männer werden sollten. Sie träumte davon, daß alle drei in Paris hohe Stellen einnehmen würden, die sie nicht näher zu bezeichnen wußte. Als Rougon nachgegeben hatte und die drei Jungen das Kollegium besuchten, genoß Felicité die größte Freude, die die Befriedigung ihrer Eitelkeit ihr jemals bereiten konnte. Sie war entzückt, wenn sie hörte, wie sie untereinander von ihren Professoren und Studien sprachen. An dem Tage, an dem der Älteste in ihrer Gegenwart den Jüngsten rosa, die Rose deklinieren ließ, glaubte sie eine himmlische Musik zu hören. Es muß zu ihrem Lobe gesagt werden, daß ihre Freude damals frei war von jeder Berechnung. Rougon selbst überließ sich der Genugtuung des ungebildeten Menschen, der seine Kinder besser unterrichtet sieht, als er selbst es ist. Die Kameradschaft, die sich ganz natürlich zwischen ihren Söhnen und jenen der vornehmsten Leute der Stadt entwickelte, berauschte die Rougonschen Eheleute vollends. Ihre Söhne duzten den Sohn des Bürgermeisters, des Unterpräfekten und sogar einige junge Edelleute, die das St.-Markus-Viertel in das Kollegium zu Plassans zu schicken sich herabgelassen hatte. Felicité meinte, eine solche Ehre könne nicht zu teuer bezahlt werden. Die Ausbildung der drei Söhne war eine schwere Last für den Haushalt der Familie Rougon.

      Solange die Jungen noch nicht ihre Abgangsprüfung hinter sich hatten, lebten die Eltern, die sie mit schweren Opfern auf der Schule erhielten, in der Hoffnung auf ihre Erfolge. Als sie ihre Zeugnisse hatten, wollte Felicité ihr Werk vollenden: sie bestimmte ihren Gatten, alle drei nach Paris zu senden. Zwei betrieben die Rechtsstudien, der dritte wurde Arzt. Als sie endlich fertige Männer waren, als sie das Haus Rougon vollständig »ausgepumpt« hatten und sie sich genötigt sahen, nach der Provinz zurückzukehren und sich daselbst seßhaft zu machen, begann für die armen Eltern die Enttäuschung. Die Provinz schien ihre Beute wieder an sich reißen zu wollen. Die drei jungen Leute wurden schwerfällig und schläfrig. Die ganze Bitterkeit ihres Unglücks stieg Felicité wieder in die Brust. Ihre Söhne trieben sie in den Bankerott. Sie hatten sie zugrunde gerichtet und trugen ihr nicht die Zinsen des Kapitals, das sie darstellten. Dieser letzte Schicksalsschlag war ihr um so empfindlicher, als er sie gleichzeitig in ihrem weiblichen Ehrgeiz und in ihrer mütterlichen Eitelkeit traf. Rougon wiederholte ihr vom Morgen bis zum Abend: »Ich habe es dir vorausgesagt!« – was sie noch mehr erbitterte.

      Als sie eines Tages ihrem Ältesten die Summen vorwarf, die seine Ausbildung verschlungen hatte, erwiderte er in bitterem Tone:

       Ich werde euch später bezahlen, wenn ich kann. Waret ihr ohne Vermögen, so hättet ihr Arbeiter aus uns machen sollen. Wir sind gesunkene Menschen und leiden dadurch mehr als ihr.

      Felicité erfaßte den tiefen Sinn dieser Worte. Von diesem Tage ab hörte sie auf, ihre Kinder zu beschuldigen; sie wandte ihren Groll gegen das Schicksal, das nicht müde ward, sie zu verfolgen. Sie begann von neuem ihre Klagen und jammerte über den Mangel an Vermögen, der schuld daran sei, daß sie knapp am Hafen untergehen müsse. Wenn Rougon ihr sagte: »Deine Söhne sind Taugenichtse; sie werden uns bis ans Ende aussaugen« – erwiderte sie herb: »Wollte Gott, daß ich ihnen noch Geld geben könnte; die armen Jungen vegetieren nur, weil sie mittellos sind.«

      Zu Beginn des Jahres 1848, knapp vor der Februarrevolution, befanden sich die drei Söhne Rougon zu Plassans in sehr unsicheren Stellungen. Sie boten damals ein interessantes, sehr verschieden geartetes Bild, obgleich sie parallel aus der nämlichen gesellschaftlichen Schicht hervorgegangen waren. Im ganzen genommen waren sie besser als ihre Eltern. Es hatte den Anschein, daß das Geschlecht der Rougon sich durch die Frauen verfeinern sollte. Adelaide hatte aus Peter einen mittelmäßigen Geist mit niedrigem Streben gemacht; Felicité hatte ihren Söhnen höhere Verstandeskräfte gegeben, die sie zu großen Lastern und zu großen Tugenden befähigten.

      Zu jener Zeit war Eugen, der Älteste, nahezu vierzig Jahre alt. Er war ein Mann von mittlerem Wüchse, mit ziemlich kahlem Scheitel und einer Neigung zur Fettleibigkeit. Er hatte das Gesicht seines Vaters, ein langes Gesicht mit breiten Zügen. Man merkte, daß unter der Haut das Fett liege, das die Rundungen verweichlichte und der Haut die gelblichweiße Farbe des Wachses verlieh. Allein, wenn man an der massiven, vierschrötigen Gestaltung des Kopfes noch den Bauer erkannte, so verwandelte, verklärte sich das Gesicht nach


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