Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Jäger und Köhler aus den Schluchten des Seillegebirges ... Die Jäger kannten deinen Vater, Miette. Sie haben gute Gewehre, die sie geschickt zu handhaben verstehen. Wenn alle so bewaffnet wären! ... Leider fehlt es an Flinten. Sieh, die Arbeiter haben nur Stöcke! ...
Miette schaute und horchte stumm. Als Silvère von ihrem Vater sprach, stieg ihr plötzlich das Blut in die Wangen. Flammenden Gesichtes betrachtete sie die Jäger mit einem Grollen und einer seltsamen Teilnahme in der Miene. Von diesem Augenblicke an schien das fieberhafte Frösteln sie zu beleben, das die Gesänge der Aufständischen verbreiteten.
Die Kolonne, die jetzt die Marseillaise wieder anstimmte, setzte ihren Abstieg fort, wie gepeitscht durch die scharfen Stöße des Mistral-Windes. Nach den Leuten aus La Palud kam eine andere Rotte von Arbeitern, unter denen man zahlreiche Bürger in Röcken sehen konnte.
Das sind die Männer aus Saint-Martin-de-Vaulx, sagte Silvère. Dieses Dorf hat sich fast gleichzeitig mit La Palud erhoben. Die Arbeitgeber haben sich da den Arbeitern angeschlossen. Es sind reiche Leute unter ihnen, die ruhig zu Hause leben könnten und die ihr Leben in der Verteidigung der Freiheit auf das Spiel setzen. Solche Reiche muß man lieben ... Auch da fehlt es an Waffen, man sieht kaum einige Jagdflinten. Siehst du die Männer mit roten Armbinden? Das sind die Anführer.
Doch Silvère konnte mit seinen Erklärungen nicht nachkommen. Die Kontingente stiegen rascher den Abhang herab, als er mit seinen Worten ihnen folgen konnte. Er sprach noch von den Leuten aus Saint-Martin-de-Vaulx, als schon zwei Abteilungen das Lichtviereck durchschritten hatten.
Hast du diese gesehen? fragte er. Die Aufständischen von Alboise und von Tulettes sind jetzt vorbeigekommen. Ich habe den Schmied Burget erkannt. Sie müssen sich heute erst der Truppe angeschlossen haben. Wie sie laufen! ...
Miette neigte sich jetzt vor, um den kleinen Rotten, die der junge Mensch ihr zeigte, länger mit den Blicken folgen zu können. Das Frösteln, das sie ergriffen hatte, stieg ihr bis in die Brust und faßte sie an der Kehle. In diesem Augenblicke erschien eine Abteilung, die zahlreicher und besser geschult schien, als die anderen. Die Aufständischen dieser Abteilung trugen fast sämtlich blaue Kittel, die durch rote Gürtel festgehalten wurden; sie sahen fast uniformiert aus. Mitten unter ihnen kam ein Mann zu Pferde, mit einem Säbel bewaffnet. Der größte Teil dieser improvisierten Soldaten hatte Gewehre, Karabiner oder alte Musketen der Nationalgarde.
Diese kenne ich nicht, sagte Silvère. Der Mann zu Pferde muß der Befehlshaber sein, von dem man mir erzählt hat. Er führt die Kontingente aus Faverolles und den benachbarten Dörfern. Die ganze Kolonne sollte so ausgerüstet sein.
Er fand kaum Zeit, Atem zu holen.
Ah, da sind die Bauern! rief er.
Hinter den Leuten aus Faverolles kamen kleine Gruppen von zehn bis zwanzig Mann. Alle trugen die kurze Jacke der Bauern aus dem Süden. Laut singend schwangen sie ihre Sensen und Heugabeln; einige hatten nur breite Schaufeln. Jeder Weiler hatte die streitbaren Mannen entsendet.
Silvère, der die einzelnen Gruppen an ihren Anführern erkannte, zählte sie mit fieberhaft hastiger Stimme her.
Da ist das Kontingent von Chavanoz, sagte er. Acht Mann im ganzen, aber handfeste Leute; mein Onkel Anton kennt sie. Da ist Nazères, da Poujols. Alle sind da, kein einziger ist weggeblieben. Da ist Balqueyras! Schau, der Herr Pfarrer tut mit; man hat mir schon von ihm erzählt; er ist ein guter Republikaner.
Silvère berauschte sich allgemach. Jetzt, da die einzelnen Rotten kaum eine Handvoll Leute zählten, mußte er sich sputen, sie aufzuzählen, und diese Eile machte ihn warm.
Ah, Miette, fuhr er fort, welch schöne Mannschaft! Rozan! Vernoux! Corbière! Und es kommen noch mehr, du sollst sehen. Diese haben nur Sensen, aber sie werden den Feind niedermähen, wie das Gras ihrer Wiesen. Da Saint-Eutrope! Mazet! Gardes! Marsanne! die ganze Nordseite des Seillegebirges. Wir werden siegen! Das ganze Land ist mit uns. Betrachte nur einmal die Arme dieser Männer: hart und schwarz wie Eisen! Es nimmt kein Ende: da ist Pruinas! Roches-Noires! die letzteren sind Schmuggler, sie haben Karabiner. Jetzt wieder Sensen und Heugabeln, neue Bauernabteilungen. Castel-le-vieux! Sainte-Anne! Graille! Estournel! Murdaran!
Die Stimme drohte ihm schon zu versagen, als er endlich aufhörte, diese Männer aufzuzählen, die ein Wirbelwind zu erfassen und zu entführen schien in dem Maße, wie er sie nannte. Mit erregtem Gesicht, gleichsam größer geworden an Wuchs, zeigte er mit nervöser Gebärde die einzelnen Abteilungen. Und Miette folgte dieser Gebärde. Sie fühlte sich von der in der Niederung sich fortschlängelnden Straße angezogen wie von den Tiefen eines Abgrundes. Sie mußte sich an den Hals des jungen Menschen klammern, um nicht die Böschung hinabzugleiten. Eine Art Taumel stieg von der durch Lärm, Mut und Glauben berauschten Menge auf. Diese im Mondlicht gesehenen Gestalten, diese Jünglinge, diese reifen Männer, diese Greise, die die verschiedenartigsten Waffen schwangen, mit den verschiedenartigsten Gewändern bekleidet waren, angefangen von dem Bauernkittel bis zu dem städtischen Rock des Bürgers; dieser schier endlose Zug von Köpfen, die die Umstände und die ungewohnte Zeit zu unvergeßlichen Bildern der Tatkraft und der fanatischen Begeisterung gestalteten, nahmen schließlich vor den Augen des jungen Mädchens das Schwindel erregende Ungestüm eines reißenden Stromes an. In manchen Augenblicken schien es ihr, als würden sie nicht mehr gehen, sondern durch die Marseillaise getragen werden, diesen rauhen Gesang mit den fürchterlichen Klängen. Sie konnte die gesungenen Worte nicht unterscheiden; sie hörte nichts als ein fortdauerndes Grollen, das von dumpfen Tönen zu hellen anschwoll, scharf wie Spitzen, die man ihr stoßweise in das Fleisch treiben würde. Dieses Geheul der Empörung, dieser Ruf zu Kampf und Tod mit seinem zornigen Rütteln, seiner glühenden Sehnsucht nach Freiheit, seiner wunderbaren Mischung von Gemetzel und hehrer Begeisterung traf sie unaufhörlich und bei jedem gewaltigen Aufschrei des Rhythmus immer tiefer ins Herz und verursachte ihr die wollüstige Pein einer jungfräulichen Märtyrerin, die unter den Geißelhieben sich lächelnd aufrichtet. Von der rauschenden Flut fortgetragen, wälzte noch immer die Menge sich dahin. Der Zug, der kaum einige Minuten dauerte, schien den jungen Leuten kein Ende nehmen zu wollen.
Miette war allerdings nur ein Kind. Bei der Annäherung der Bande war sie erblaßt und hatte sie ihr entschwundenes Jugendglück beweint; aber sie war ein mutvolles Kind, eine feurige Natur, die die Begeisterung leicht hinriß. Die Erregung, die sie allmählich erfaßt hatte, schüttelte sie jetzt am ganzen Körper. Sie ward zum Jüngling. Gerne würde sie eine Waffe ergriffen haben und den Aufständischen gefolgt sein. In dem Maße, wie sie die Flinten und Sensen vorbeiziehen sah, wurden ihre weißen Zähne länger und schärfer zwischen ihren roten Lippen gleich den Zähnen eines jungen Wolfes, der Lust hat zu beißen. Und als sie hörte, wie Silvère in immer hastigerem Tone ihr die Dörfer und Weiler aufzählte, schien es ihr, als werde der Schritt der Kolonne bei jedem Worte des jungen Mannes sich noch beschleunigen. Bald war es ein Wirbelwind, eine Menschenwolke, von einem Orkan dahin gefegt. Alles drehte sich um sie. Sie schloß die Augen. Dicke, heiße Tränen flossen über ihr Gesicht.
Auch Silvère war dem Weinen nahe.
Ich sehe die Männer nicht, die heute nachmittag Plassans verlassen haben, sagte er.
Er suchte das Ende der Kolonne zu erkennen, das sich noch im Dunkel verlor. Dann rief er plötzlich siegesfreudig aus:
Ha, da sind sie! ... Sie tragen die Fahne; man hat ihnen die Fahne anvertraut!
Er wollte die Böschung hinabspringen, um seine Genossen einzuholen; allein in diesem Augenblicke machten die Aufständischen halt. Kommandoworte flogen die Kolonne entlang. Die Marseillaise erstarb in einem letzten Grollen, und man hörte nichts weiter als das unbestimmte Gemurmel der noch nicht zur Ruhe gekommenen Menge. Silvère horchte und konnte die Befehle verstehen, die von Abteilung zu Abteilung gingen und die Leute von Plassans an die Spitze der Kolonne beriefen. Da jede Abteilung sich am Rande der Straße aufstellte, um die Fahne vorbeikommen zu lassen, stieg der junge Mann, Miette mit sich ziehend, die Böschung wieder hinan.
Komm, sagte er; wir werden früher als sie jenseits der Brücke sein.
Als sie sich oben zwischen den bebauten Äckern befanden, liefen sie bis zu einer Mühle, deren Schleuse das Flüßchen absperrt. Hier setzten sie über