Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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küssen, wenn du wiederkehrst!

      Dieser Aufschrei eines liebevollen und mutigen Herzens rührte Silvère tief. Er nahm Miette in seine Arme und drückte ihr mehrere Küsse auf die Wangen. Das Kind lachte und wehrte sich nur schwach. Sie war tief bewegt und ihre Augen standen voll Tränen.

      Die Landschaft ringsumher lag in tiefem Schlafe, in der unermeßlichen Stille der winterlichen Kälte. Sie waren in der Mitte des Abhanges angekommen. Links stand ein ziemlich hoher Hügel, auf dessen Gipfel im Mondlichte die Ruine einer Windmühle zu sehen war. Der Turm allein war noch übrig geblieben, und auch dieser lag auf einer Seite in Trümmern. Dies war das Ziel, das die jungen Leute ihrem Spaziergang gesetzt hatten. Seitdem sie die Vorstadt hinter sich gelassen, gingen sie geradeaus, ohne einen Blick auf die Felder zu werfen, die sie umgaben. Nachdem Silvère das Mädchen geküßt hatte, blickte er auf und bemerkte die Mühle.

      Wie schnell wir gegangen sind! rief er. Da ist die Mühle. Es muß bald halb zehn Uhr sein. Wir müssen umkehren.

      Miette machte ein Mäulchen.

      Laß uns noch ein kleines Stück gehen, bat sie. Nur einige Schritte, bis zum kleinen Übergang.

      Silvère nahm sie lächelnd um den Leib, und sie setzten ihren Abstieg fort. Sie fürchteten die Blicke der Neugierigen nicht mehr; seit den letzten Häusern der Vorstadt waren sie niemandem mehr begegnet. Nichtsdestoweniger blieben sie in ihren Mantel eingehüllt. Dieses gemeinsame Kleid war wie ein natürliches Nest ihrer Liebe; so viele glückliche Abende hatte es sie geborgen! Wären sie getrennt nebeneinander einhergegangen, sie wären sich in der weiten Landschaft so klein, so vereinsamt vorgekommen; es beruhigte sie, es machte sie in den eigenen Augen größer, daß beide zusammen nur ein Wesen bildeten. Durch die Falten des Mantels hindurch betrachteten sie die Felder, die sich zu beiden Seiten der Straße ausbreiteten, ohne jene erdrückende Wirkung zu fühlen, welche der Anblick der weiten, eintönigen Fläche auf die zarten Empfindungen der Menschen ausübt. Es war ihnen, als hätten sie ihr Haus mitgenommen, und sie genossen den Anblick der Landschaft, wie man ihn durch ein Fenster genießt; sie liebten diese stille Einsamkeit, diese breiten Felder schlummernden Lichtes, dessen Enden und Winkel der Natur, die da verschwommen auftauchten, bedeckt mit dem Laken des Winters und der Nacht, dieses ganze Tal, das sie zwar entzückte, aber doch nicht stark genug war, um sich zwischen ihre aneinander geschmiegten Herzen einzudrängen.

      Sie hatten übrigens aufgehört, ein zusammenhängendes Gespräch zu führen; sie sprachen nicht mehr von anderen, sie sprachen auch nicht von sich selbst; sie gehörten ganz dem Augenblick, tauschten von Zeit zu Zeit einen Händedruck, stießen bei dem Anblick eines Winkels der Landschaft einen Ruf der Bewunderung aus, sprachen nur wenig, fast ohne zu hören, was sie sagten, gleichsam eingeschlummert in der Wärme ihrer Körper. Silvère vergaß seine Begeisterung für die Republik; Miette dachte nicht mehr daran, daß ihr Geliebter sie binnen einer Stunde für lange Zeit, vielleicht für immer verlassen sollte. So kam es, daß sie wie an gewöhnlichen Tagen, wenn ihre Zusammenkunft von keinem Abschiede bedroht war, sich in das Glück ihrer Liebe versenkten.

      Sie schritten noch immer weiter. Bald kamen sie zu dem kleinen »Übergang«, von welchem Miette gesprochen hatte. Es war dies ein schmaler Querweg, der sich in die Landschaft hineinzog und zu einem Dörfchen führte, das am Ufer der Viorne erbaut war. Allein sie hielten nicht an, sondern setzten ihren Weg fort und taten, als sähen sie den Pfad nicht, über den hinaus sie nicht hatten gehen wollen. Erst einige Minuten weiter sagte Silvère:

      Es muß schon spät sein; du bist wohl sehr müde?

      Nein, nein, ich bin nicht müde! Meilenweit könnte ich so fortgehen.

      Dann fügte sie mit einschmeichelnder Stimme hinzu:

      Wenn du willst, gehen wir bis zur Klara-Wiese. Dort wollen wir dann aber wirklich kehrtmachen.

      Silvère, den der gleichmäßige Gang des Mädchens einlullte und der mit offenen Augen schlummerte, machte weiter keine Einwendung gegen den Vorschlag Miettens. Sie widmeten sich wieder ihrem Glücke und gingen langsamen Schrittes weiter, den Augenblick fürchtend, wo sie den Abhang wieder hinansteigen mußten; so lange sie vor sich hingingen, war es ihnen, als müsse ihre Umarmung ewig währen; die Umkehr war die Trennung, das grausame Lebewohl.

      Allmählich ward der Abhang weniger steil. Im Talgrund ziehen sich Wiesen bis zur Viorne hinab, die am Fuße niedriger Hügel dahinfließt. Das ist die Klara-Wiese, durch lebende Hecken von der Heerstraße getrennt.

      Ach was! wir gehen bis zur Brücke, sagte Silvère, als er die ersten Grasstreifen sah.

       Miette lachte hell auf, nahm den jungen Mann beim Kopf und küßte ihn herzhaft.

      An dem Platze, wo die Hecke beginnt, hat die Allee ein Ende; sie wird durch zwei alte, riesige Ulmen geschlossen. Die Felder dehnen sich knapp an der Heerstraße dahin, kahl, gleich einem breiten Bande grüner Leinwand, bis zu den Weiden und Birken am Flüßchen. Die Entfernung von den letzten Ulmen bis zur Brücke betrug übrigens kaum mehr als 300 Meter. Die Liebenden brauchten eine gute Viertelstunde, um diesen Raum zurückzulegen. Trotz aller absichtlichen Langsamkeit erreichten sie schließlich doch die Brücke. Hier blieben sie stehen.

      Vor ihnen stieg die Straße gegen Nizza die jenseitige Anhöhe hinan; sie konnten nur ein kurzes Stück sehen; die Straße macht einen halben Kilometer von der Brücke eine plötzliche Biegung und verliert sich dann zwischen den waldbestandenen Hängen. Als sie sich umwandten, sahen sie den anderen Abschnitt der Straße, den sie soeben zurückgelegt hatten und der in gerader Linie von Plassans zur Viorne führt. In dem schönen, hellen Lichte des winterlichen Mondes glich die Straße einem langen Silberbande, an welchem die Ulmen einen dunklen Saum bildeten. Rechts und links bildeten die bebauten Äcker unbestimmte, grüne, weite Flächen, durchschnitten durch dieses Band, durch diese reifweiße Straße, die einen metallischen Schimmer hatte. Ganz hinten, wo die Straße mit dem Gesichtskreise zusammenfließt, glänzten noch, gleich hellen Funken, einige beleuchtete Fenster der Vorstadt. Schritt für Schritt hatten Silvère und Miette fast eine Meile zurückgelegt. Sie warfen einen Blick auf den durchmessenen Weg, in stiller Bewunderung gebannt angesichts dieses unermeßlichen Amphitheaters, das bis zum Himmelsrande hinaufstieg und auf das Streifen bläulichen Lichtes herabflossen, wie auf die Stufen eines riesigen Wasserfalles. Dieses eigenartige Theater lag da in der Stille und Unbeweglichkeit des Todes. Nichts konnte sich an überwältigender Größe damit vergleichen.

      Die jungen Leute hatten sich an das Brückengeländer gelehnt und schauten hinab. Unter ihnen floß die Viorne, durch die letzten Regengüsse angeschwollen, mit dumpfem, ununterbrochenem Geräusch dahin. Flußauf und flußab unterschieden sie in dem Dunkel der Höhlungen die dunklen Linien der Bäume an den beiden Flußufern; da und dort flimmerte ein Mondstrahl; es war wie ein Strich geschmolzenen Zinns, das leuchtete und sich bewegte wie ein Widerschein des Tageslichtes auf den Schuppen eines lebenden Fisches. Diese Lichter glitten mit einem geheimnisvollen Reiz den grau schimmernden Lauf des Flusses entlang, zwischen den unbestimmten Schatten des Laubwerks hindurch. Es war wie ein verzaubertes Tal, ein wunderbarer Zufluchtsort, wo ein ganzes Volk von Schatten und Lichtern ein seltsames Leben führte.

      Die Verliebten kannten dieses Plätzchen am Flusse sehr genau; in den heißen Julinächten waren sie oft hierher gekommen, um Kühlung zu suchen. Stunden und Stunden hatten sie hier zugebracht, unter dem Weidendickicht verborgen, am rechten Ufer der Viorne, an dem Platze, wo die Klara-Wiese ihren Rasenteppich bis knapp ans Ufer ausdehnt. Sie erinnerten sich der kleinsten Erdfalten des Ufers, der Steine, auf welche man hüpfen mußte, um über die Viorne zu setzen, die damals ganz schmal war; sie erinnerten sich gewisser rasenbelegter Vertiefungen, in denen sie ihren Liebestraum geträumt. Darum blickte Miette von der Brücke aus mit einem gewissen Neide nach dem rechten Ufer hinüber.

      Wenn es wärmer wäre, seufzte sie, könnten wir hinabsteigen und ein wenig ausruhen, ehe wir zurückkehren.

       Die Augen noch immer auf die Ufer der Viorne geheftet, fuhr sie nach einer Weile fort:

      Schau, Silvère, jene schwarze Masse dort unten vor der Schleuse ... Erinnerst du dich? Dort ist das Buschwerk, wo wir uns am letzten Fronleichnamstage niederließen ...

      Ja, das ist das Gesträuch,


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