Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
außer acht ließ. Durch seine gierige Eifersucht angetrieben, hatte er sich die Bürgerschaft zum unversöhnlichen Feinde gemacht, als die Ankunft Eugens und die Art und Weise, wie dieser sich in Plassans benahm, ihn stutzig machten. Er maß seinem Bruder eine große Geschicklichkeit bei. Es war seine Meinung, daß dieser dicke, schläfrige Bursche nur mit einem Auge schlafe wie die Katzen, wenn sie vor einem Mäuseloch auf dem Anstande sind. Und nun verbrachte dieser Eugen ganze Abende in dem gelben Salon, mit großer Aufmerksamkeit diesen Tölpeln zuhörend, die er – Aristides – so grausam verhöhnt hatte. Als er durch das Gerede in der Stadt erfuhr, daß sein Bruder mit Granoux und dem Marquis Händedrücke wechsle, fragte er sich besorgt, was er davon halten solle? Sollte er sich so sehr getäuscht haben? Sollten die Legitimisten oder die Orleanisten Aussichten auf Erfolg haben? Dieser Gedanke machte das Blut in seinen Adern stocken; er verlor allen Halt, und wie es oft genug geschieht, fiel er über die Konservativen nur noch wütender her, gleichsam um sich für seine Verblendung zu rächen.
An dem Tage vor jenem, an dem er Eugen auf der Promenade Sauvaire anhielt, hatte er in dem »Indépendant« einen furchtbaren Artikel über die Machenschaften des Klerus losgelassen als Antwort auf eine Auslassung von Vuillet, der die Republikaner beschuldigte, daß sie die Kirchen stürmen wollten. Vuillet war dem Aristides, was dem Stier der rote Lappen; es verging keine Woche, ohne daß die beiden Journalisten die gröbsten Beschimpfungen austauschten. In der Provinz, wo man sich noch der Umschreibungen bedient, holt die Polemik ihre Ausdrücke aus der Gosse. Aristides nannte seinen Gegner »Bruder Judas« oder »Knecht des heiligen Antonius«; Vuillet seinerseits nannte den Republikaner »ein blutrünstiges Ungeheuer, dessen schändliche Genossin die Guillotine ist«.
Um seinen Bruder auszuholen, begnügte sich Aristides, der seine Unruhe nicht offen zu zeigen wagte, ihn zu fragen:
Hast du meinen Artikel von gestern gelesen? Wie denkst du darüber?
Du bist ein Schaf, Bruder, erwiderte Eugen mit den Achseln zuckend.
Der Journalist erbleichte.
Wie? rief er; du gibst Vuillet recht? Du glaubst an Vuillets Sieg?
Ich? Vuillet ...
Er wollte ohne Zweifel sagen: »Vuillet ist gerade so ein Tölpel wie du selbst.« Allein, als er das verzerrte Gesicht seines Bruders sah, das sich ihm entgegenstreckte, schien er plötzlich von Mißtrauen ergriffen zu werden.
Vuillet hat auch sein Gutes, sagte er ruhig.
Nachdem er von seinem Bruder geschieden; war Aristides noch unruhiger als vorher. Eugen schien sich über ihn lustig gemacht zu haben, denn Vuillet war sicherlich der schmutzigste Kerl, den man sich vorstellen konnte. Er beschloß vorsichtig zu sein, sich nicht mehr zu binden, um freie Hand zu haben, wenn er eines Tages einer Partei behilflich sein müßte, die Republik zu erwürgen.
Am Morgen seiner Abreise führte Eugen eine Stunde bevor er in den Postwagen stieg, seinen Vater in das Schlafzimmer, wo er mit ihm eine lange Unterredung hatte. Felicité, die im Salon zurückgeblieben war, versuchte vergebens zu horchen. Die beiden Männer sprachen leise, als hätten sie gefürchtet, daß auch nur ein einziges ihrer Worte von außen gehört werden könne. Als sie endlich aus dem Zimmer traten, schienen beide sehr erregt zu sein. Nachdem er Vater und Mutter umarmt hatte, sagte Eugen, der sonst mit schleppender Stimme redete, lebhaft und bewegt:
Du hast mich wohl verstanden, Vater? Da ist unser Glück zu suchen. In diesem Sinne müssen wir mit allen unseren Kräften arbeiten. Vertraue mir.
Ich werde deine Weisungen getreulich befolgen, erwiderte Rougon. Aber vergiß nicht, was ich als Preis meiner Bemühungen von dir verlangt habe.
Wenn wir unser Ziel erreichen, werden deine Wünsche erfüllt werden. Das schwöre ich dir. Ich werde dir übrigens schreiben und dich leiten je nach der Richtung, die die Ereignisse nehmen. Nur keine Furcht und keine Begeisterung. Folge blindlings meinen Weisungen.
Was für eine Verschwörung habt ihr miteinander? fragte Felicité neugierig.
Liebe Mutter, erwiderte Eugen lächelnd, du hast an mir zu sehr gezweifelt, als daß ich dir heute meine Hoffnungen anvertrauen könnte, die einstweilen nur auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen beruhen. Du müßtest Glauben und Zutrauen zu mir haben, um mich zu verstehen. Übrigens wird der Vater dir alles sagen, wenn die Stunde schlägt.
Da Felicité beleidigt tat, flüsterte er ihr ins Ohr, indem er sie noch einmal küßte:
Ich bin dein Sohn, wenngleich du mich verleugnet hast. Zu viel wissen wäre in diesem Augenblicke nicht von Nutzen. Wenn die Krise eintritt, wirst du die Leitung der Sache in die Hand bekommen.
Damit ging er; doch wandte er sich noch auf der Schwelle um und sagte nachdrücklich:
Vor allem aber mißtraut Aristides! Er ist ein Tollkopf, der alles verderben würde. Ich habe ihn genügend beobachtet, um sicher zu sein, daß er immer wieder auf die Füße fällt. Ihr brauchet kein Mitleid mit ihm zu haben; wenn wir unser Glück machen, wird er sich seinen Teil zu stehlen wissen.
Als Eugen fort war, versuchte Felicité in das Geheimnis einzudringen, das man ihr vorenthielt. Sie kannte ihren Gatten zu gut, um ihn offen zu befragen; er würde ihr zornig geantwortet haben, daß die Sache sie nichts angehe. Allein trotz der schlauen Taktik, die sie entwickelte, erfuhr sie nichts. In dieser trüben Zeit, wo die größte Verschwiegenheit not tat, hatte Eugen seinen Vertrauensmann gut gewählt. Geschmeichelt von dem Vertrauen seines Sohnes, hatte Peter jene passive Schwerfälligkeit noch übertrieben, die aus ihm eine ernste, undurchdringliche Masse machte. Als Felicité einsah, daß sie von ihm nichts erfahren werde, hörte sie auf, ihn zu umschwärmen. Bloß auf eine Sache war sie ungeheuer neugierig. Die beiden Männer hatten von einem Preise gesprochen, den Peter selbst bestimmen sollte. Was für ein Preis konnte das sein? Da lag das große Interesse für Felicité, die sich aus politischen Fragen nichts machte. Sie wußte, daß ihr Mann sich teuer verkauft haben mußte, und sie brannte vor Begierde, den Handel kennen zu lernen. Als sie eines Abends eben zu Bette gingen und sie ihren Mann in guter Laune sah, lenkte sie das Gespräch auf die Entbehrungen, zu denen ihre Armut sie nötigte.
Es ist Zeit, daß es ein Ende nehme, sagte sie. Wir geben eine Menge Geld für Beleuchtung und Heizung aus, seitdem die Herren zu uns kommen. Wer wird die Rechnung bezahlen? Vielleicht niemand.
Peter ging richtig in die Falle.
Nur Geduld, sagte er mit einem überlegenen Lächeln.
Dann fügte er mit schlauer Miene hinzu, indem er seiner Frau fest in die Augen schaute:
Bist du zufrieden, die Frau eines Steuereinnehmers zu werden?
Felicités Antlitz flammte in großer Freude auf. Sie setzte sich im Bett auf und schlug nach Art der Kinder ihre dürren Greisenhände zusammen.
Ist's wahr? stammelte sie. Hier in Plassans?
Peter antwortete nicht, sondern nickte nur wiederholt zustimmend mit dem Kopfe. Er freute sich der Verwunderung seiner Ehegattin. Sie erstickte schier vor Aufregung.
Aber, fuhr sie endlich fort, da ist ja eine ungeheure Sicherstellung notwendig. Ich habe mir erzählen lassen, daß unser Nachbar, Herr Peirotte, achtzigtausend Franken dem Staatsschatze hinterlegen mußte.
Ach, das geht mich nichts an, sagte der ehemalige Ölhändler. Eugen nimmt alles auf sich. Er wird die Sicherstellungssumme durch einen Pariser Bankier hinterlegen lassen. Du wirst begreifen, daß ich eine Stelle gewählt habe, die viel einbringt. Eugen hat das Gesicht verzogen, als ich ihm meine Bedingung stellte. Er sagte, man müsse reich sein, um solche Stellungen zu bekleiden und daß man diese Beamten gewöhnlich unter einflußreichen Leuten wähle. Aber ich ließ nicht locker, und er hat endlich nachgegeben. Um Einnehmer zu werden, braucht man weder Latein noch Griechisch. Ich werde, wie Herr Peirotte, einen Bevollmächtigten haben, der alle Arbeiten statt meiner besorgt.
Felicité hörte ihm mit Entzücken zu.
Ich habe wohl erraten, fuhr er fort, was unsern teuren Sohn beunruhigte. Wir sind hier wenig beliebt. Man weiß, daß wir kein Vermögen haben, und wird über uns schmähen. Doch was liegt daran?