Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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will in Plassans bleiben.

      Ja, ja, wir müssen da bleiben, rief lebhaft die alte Frau. Hier haben wir gelitten, hier müssen wir triumphieren. Ich will sie niederschmettern, alle diese schönen Sonntags-Spaziergängerinnen, die so geringschätzig auf meine wollenen Kleider herabschauen. An die Stelle des Einnehmers hatte ich nicht gedacht, ich glaubte, du wollest Bürgermeister werden.

      Ach, Bürgermeister! Die Stelle ist ja eine unentgeltliche. Auch Eugen hat mir vom Bürgermeisteramte gesprochen, aber ich erwiderte ihm: Ich nehme die Stelle an, wenn du mir eine Rente von 15 000 Franken sicherst.

      Diese Unterredung, in welcher die großen Ziffern wie Raketen umherflogen, entzückte Felicité und sie rückte unruhig hin und her und fuhr vor Aufregung schier aus der Haut. Endlich nahm sie eine unterwürfige Haltung an und sagte im Tone der Sammlung:

      Laß uns rechnen, Peter, wie viel wirst du erwerben?

      Die fixen Bezüge betragen 3000 Franken, erwiderte Peter.

      Dreitausend, zählte Felicité.

      Dazu kommen die Prozente nach den Einnahmen. Sie belaufen sich in Plassans auf ungefähr 12 000 Franken.

      Macht fünfzehntausend, zählte Felicité weiter.

      Ja, ungefähr fünfzehntausend. So viel erwirbt auch Peirotte. Doch das ist nicht alles. Peirotte betreibt Bankgeschäfte auf eigene Faust. Das ist erlaubt. Vielleicht versuche auch ich mich darin, wenn ich günstige Aussichten habe.

      So setzen wir 20 000 Franken! rief Felicité, durch diese Summe in höchste Bewunderung versetzt.

      Die Vorschüsse werden wir zurückerstatten müssen, bemerkte Peter.

      Das tut nichts, entgegnete Felicité. Wir werden doch reicher sein als viele dieser Herren. Wird vielleicht der Marquis oder werden die anderen Herren mit uns teilen wollen?

       Nein, nein, alles bleibt uns!

      Als sie das Gespräch fortsetzen wollte, fürchtete Peter, sie wolle ihm sein Geheimnis entlocken. Daher runzelte er die Augenbrauen und sagte:

      Jetzt haben wir genug geplaudert, es ist spät, wir sollen schlafen. Es bringt Unglück, wenn man im voraus rechnet. Ich habe die Stelle noch nicht. Vor allem Verschwiegenheit!

      Doch als die Lampe ausgelöscht war, konnte Felicité keinen Schlaf finden. Mit geschlossenen Augen lag sie wach da und baute die herrlichsten Luftschlösser. Die 20000 Franken jährlicher Einkünfte führten im Dunkel vor ihren Augen einen Hexentanz auf. Sie bewohnte ein schönes Haus in der Neustadt, mit demselben Luxus eingerichtet wie das des Herrn Peirotte, gab Abendgesellschaften und blendete mit ihrem Reichtum die ganze Stadt. Was ihrer Eitelkeit am meisten schmeichelte, war die schöne Stellung, die ihr Gatte einnehmen würde. Er wird dem Granoux, dem Roudier und allen Bürgern ihre Renten auszahlen, die heute zu ihr kommen wie in ein Kaffeehaus, um sich laut auszusprechen und die Neuigkeiten des Tages zu erfahren. Sie hatte sehr wohl die hochmütige Art und Weise bemerkt, wie diese Leute ihren Salon betraten und das hatte sie gegen jene erbittert. Selbst der Marquis mit seiner spöttischen Höflichkeit begann ihr zu mißfallen. Allein zu siegen und alles für sich zu behalten: das war ein Gedanke, den sie mit liebevoller Zärtlichkeit hegte. Wenn diese plumpen Leute einst unter tiefen Bücklingen bei dem Herrn Einnehmer Rougon erscheinen werden, wird sie an der Reihe sein, jene mit ihrem Stolze zu Boden zu drücken. Die ganze Nacht hindurch beschäftigte sie sich mit diesem Gedanken. Als sie am andern Morgen die Vorhänge in die Höhe zog, richtete sich ihr erster Blick unwillkürlich nach der andern Seite der Straße, auf die Fenster des Herrn Peirotte; sie lächelte, wie sie die breiten Damastvorhänge betrachtete, die hinter den Fensterscheiben hingen.

      Indem Felicités Hoffnungen ihre Richtung wechselten, wurden sie nur um so gieriger. Wie alle Frauen war sie einiger Heimlichkeit nicht abgeneigt. Der geheime Zweck, den ihr Man verfolgte, interessierte sie weit lebhafter als jemals die legitimistischen Umtriebe des Marquis von Carnavant. Ohne sonderliches Bedauern gab sie die Hoffnungen preis, die sie auf den Erfolg des Marquis gebaut hatte, von dem Augenblick an, wo ihr Mann behauptete, daß er durch andere Mittel denselben reichen Gewinn erzielen werde. Sie war übrigens bewunderungswürdig in ihrer Verschwiegenheit und Vorsicht.

      Im Grunde wurde sie noch immer von einer beklemmenden Neugierde geplagt; sie beobachtete die geringste Gebärde ihres Mannes und suchte ihn zu begreifen. Wie, wenn Eugen ihn in irgendeinen Hinterhalt locken wollte, aus dem sie nur ärmer denn je sich retten könnten? Indessen gewann sie allmählich Vertrauen. Eugen hatte mit einer solchen Überlegenheit befohlen, daß sie schließlich Zutrauen zu ihm faßte. Die Macht des Unbekannten ließ sich eben auch hier fühlen. Peter erzählte ihr in geheimnisvollem Tone von den hohen Persönlichkeiten, mit denen ihr ältester Sohn in Paris verkehrte. Sie selbst wußte allerdings nicht, was er da tun mochte, während es ihr unmöglich war, vor den Torheiten, welche Aristides in Plassans beging, die Augen zu verschließen. In ihrem eigenen Salon legte man sich gar keinen Zwang an, um den demokratisch gesinnten Journalisten mit äußerster Strenge zu behandeln. Granoux nannte ihn einen Räuber und Roudier sagte jede Woche ein paarmal zu Felicité:

      Ihr Sohn schreibt schöne Sachen. Gestern erst hat er unsern Freund Vuillet mit empörender Bosheit angegriffen.

       Der ganze Salon stimmte in diese Klagen ein. Major Sicardot sprach davon, seinen Schwiegersohn zu ohrfeigen. Peter verleugnete rundweg seinen Sohn. Die arme Mutter senkte ihren Kopf und würgte ihre Tränen hinab. Manchmal drängte es sie, loszubrechen und Herrn Roudier ins Gesicht zu schreien, daß ihr liebes Kind trotz seiner Fehler noch immer mehr tauge, als er und alle anderen zusammen. Allein sie war gebunden; sie wollte die so schwer errungene Stellung nicht wieder aufs Spiel setzen. Als sie sah, wie die ganze Stadt auf Aristides einhieb, dachte sie bekümmert, daß der Unglückliche in sein Verderben renne. Zweimal nahm sie ihn ins Gebet und beschwor ihn, zu ihnen zurückzukehren und die Fehde gegen den gelben Salon aufzugeben. Aristides erwiderte ihr, daß sie von diesen Dingen nichts verstehe und daß sie selbst einen argen Fehler begangen habe, indem sie ihren Gatten in den Dienst des Marquis stellte. Sie mußte ihn aufgeben, nahm sich aber im stillen vor, daß, wenn Eugen ans Ziel gelangen werde, dieser die Beute mit dem armen Jungen teilen müsse, der noch immer ihr Lieblingskind war und blieb.

      Als sein älterer Sohn wieder abgereist war, fuhr Peter Rougon fort, im Mittelpunkte der Reaktion zu leben. In der öffentlichen Meinung des berühmten gelben Salons schien sich nichts geändert zu haben. Jeden Abend erschienen daselbst dieselben Männer, um dieselbe Propaganda zugunsten einer Monarchie zu machen, und der Herr des Hauses summte ihnen zu und unterstützte sie mit demselben Eifer wie bisher. Am ersten Mai hatte Eugen Plassans verlassen. Einige Tage später befand sich der gelbe Salon im höchsten Entzücken. Man besprach daselbst den Brief des Präsidenten der Republik an den General Oudinot, in dem die Belagerung von Rom beschlossen war. Dieser Brief wurde als ein offenkundiger Sieg betrachtet, den man der entschlossenen Haltung der reaktionären Partei zu verdanken hatte. Schon seit dem Jahre 1848 stand in den Verhandlungen der Kammer die römische Frage an der Tagesordnung. Einem Bonaparte war es vorbehalten, eine Republik im Entstehen zu erwürgen durch ein Eintreten, dessen das freie Frankreich sich niemals schuldig gemacht hätte. Der Marquis erklärte, es sei unmöglich, für die Sache der Legitimität besser zu arbeiten. Vuillet schrieb einen prachtvollen Artikel; die Begeisterung kannte keine Grenzen mehr, als einen Monat später der Major Sicardot eines Abends im Hause Rougons erschien und der Gesellschaft ankündigte, daß die französische Armee unter den Mauern Roms sich schlage. Während alle Welt in ein Freudengeschrei ausbrach, trat er zu Peter und drückte ihm in vielbedeutsamer Weise die Hand. Als er saß, begann er ein Loblied auf den Präsidenten der Republik zu singen, der, wie er sagte, allein fähig sei, Frankreich vor der Anarchie zu retten.

      Er möge es retten so schnell wie möglich, unterbrach ihn der Marquis, und es dann in die Hände seiner rechtmäßigen Herren zurücklegen.

      Peter schien dieser schönen Antwort lebhaft beizustimmen. Als er in dieser Weise eine Probe seiner glühenden Königstreue geliefert hatte, wagte er zu bemerken, daß der Prinz Louis Bonaparte in dieser Sache seine volle Teilnahme besitze. Es fand zwischen ihm und dem Major ein Austausch von kurzen Bemerkungen statt, welche die vortreffliche Absicht des Präsidenten würdigten und ganz den Anschein hatten, als seien sie


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