Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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Nichtstuern, die sich mit dem Hungerleiden befreunden, wenn sie nur nicht arbeiten müssen. Er wollte seine Tage müßig verleben und feine Mahlzeiten halten. Einen Augenblick sprach er davon, bei irgendeinem Edelmann im Sankt-Markus-Viertel als Diener einzutreten. Allein ein ihm befreundeter Reitknecht verleidete ihm diese Absicht, indem er ihm von den maßlosen Forderungen seiner Gebieter erzählte. Da er seiner Körbe überdrüssig geworden war und den Tag kommen sah, an dem er genötigt sein würde, die Weidenruten zu kaufen, war Macquart entschlossen, sich als Stellvertreter zu verkaufen und sein Soldatenleben wieder aufzunehmen, das ihm tausendmal lieber war als das Arbeiterleben, als er die Bekanntschaft einer Frauensperson machte und infolge dieser Begegnung seine Pläne änderte.

      Josefine Gavandau, die man in der Stadt nur mit dem vertraulichen Namen »Fine« nannte, war ein großes, starkes Weib von etwa dreißig Jahren. Ihr breites, männliches Gesicht war am Kinn mit einigen wenigen, aber schrecklich langen Haaren geziert. Man kannte sie als ein Weib, das im Notfalle mit den Fäusten dreinschlug. Ihre breiten Schultern und starken Arme jagten denn auch den Burschen einen heillosen Respekt ein, so daß diese es kaum wagten, sich über ihren Geißbart lustig zu machen. Dabei hatte »Fine« eine dünne Kinderstimme, hell und klar. Ihre Bekannten behaupteten, daß sie trotz ihres fürchterlichen Aussehens sanftmütig sei wie ein Lamm. Da sie bei der Arbeit sehr tüchtig war, hätte sie einiges Geld erübrigen können, wenn sie nicht eine tief wurzelnde Neigung für geistige Getränke gehabt hätte; den Kümmel liebte sie ganz besonders. Am Sonntag pflegte sie sich dermaßen zu betrinken, daß man genötigt war, sie nach ihrer Wohnung zu schaffen. Die ganze Woche arbeitete sie mit tierischer Unverdrossenheit. Sie übte drei oder vier Gewerbe aus, verkaufte in der Halle Obst oder gesottene Kastanien je nach der Jahreszeit, besorgte bei einigen Rentiers die Hauswirtschaft, ging an Festtagen in die Bürgerhäuser, um das Eßgeschirr zu reinigen; in ihrer freien Zeit flocht sie alte Sessel ein. Besonders als Sesselflechterin war sie in der ganzen Stadt bekannt. In Südfrankreich sind Strohsessel allgemein in Gebrauch; und daher ist der Bedarf an solchen sehr groß.

      In der Halle machte Antoine Macquart die Bekanntschaft der Fine. Wenn er im Winter seine Körbe dahin zu Markte brachte, wählte er, um nicht zu frieren, seinen Platz neben dem Ofen, auf dem sie ihre Kastanien briet. Er, den die geringste Arbeit entsetzte, war von Bewunderung erfüllt für ihren Eifer und ihre Arbeitslust. Unter der scheinbaren Rauheit dieses Mannweibes entdeckte er allmählich so manchen Zug von Schüchternheit und Gutmütigkeit. Oft sah er, wie sie ein paar Händevoll Kastanien an die armen Kinder verteilte, die gierig vor ihrem rauchenden Ofen standen. Ein andermal wieder, wenn der Marktinspektor sie herumstieß, weinte sie beinahe und vergaß, daß sie zwei derbe Fäuste habe. Schließlich sagte sich Antoine, dies sei das Weib, dessen er bedürfe. Sie werde für zwei arbeiten und er der Herr im Hause sein. Sie werde sein unermüdliches und gehorsames Lasttier sein. Ihren Geschmack für geistige Getränke fand er sehr natürlich. Nachdem er die Vorteile einer solchen ehelichen Verbindung erwogen hatte, erklärte er seine Absicht. Fine war entzückt. Niemals hatte ein Mann sich an sie herangewagt. Vergebens sagte man ihr, daß Antoine der böseste Halunke sei; sie hatte nicht den Mut, diese Ehe abzuschlagen, nach der ihre robuste Natur sich schon lange sehnte. Am Hochzeitstage bezog er die Wohnung seines Weibes in der Civadière-Straße in der Nähe der Markthalle; sie bestand aus drei Gelassen und war viel bequemer eingerichtet als die seinige. Mit einem Seufzer der Befriedigung streckte sich Antoine auf den zwei weichen Matratzen aus, die sich im Bette befanden.

      In den ersten Tagen dieser Ehe ging alles gut. Fine ging wie bisher ihren vielfachen Beschäftigungen nach und Antoine, von einer Art hausväterlicher Eitelkeit erfaßt, die ihn selbst in Staunen versetzte, flocht in einer Woche mehr Körbe, als er früher in einem Monate fertig gebracht hatte. Aber am Sonntag brach der Krieg aus. Es war ein hübsches Stück Geld im Hause, und beide Eheleute taten einen tüchtigen Griff in den Säckel. Des Nachts waren beide volltrunken und prügelten sich, was sie konnten; am folgenden Tage wußten sie nicht mehr, wie der Streit entstanden war. Bis zehn Uhr abends waren sie sehr freundschaftlich miteinander gewesen, dann habe Antoine auf Fine loszuschlagen begonnen, worauf diese ihre sonstige Sanftmut vergaß und seine Maulschellen mit ausgiebigen Püffen vergalt. Am andern Morgen ging sie wieder wacker an die Arbeit, als ob nichts vorgefallen sei. Der Gatte aber hatte einen dumpfen Groll bewahrt, war um zehn Uhr aufgestanden und hatte müßig rauchend den Tag vertrödelt.

      Von diesem Augenblicke an befreundete sich das Macquartsche Ehepaar mit dieser Lebensweise. Es war eine stillschweigend ausgemachte Sache, daß das Weib sich rackere, um den Mann zu erhalten. Fine, die aus Instinkt die Arbeit liebte, fand sich darein. Sie war von einer engelhaften Geduld, solange sie nicht trank, fand es ganz natürlich, daß ihr Mann träge sei, und bemühte sich, ihm selbst die kleinsten Verrichtungen zu ersparen. Ihr kleines Laster, der Kümmel, machte sie nicht boshaft, nur gerecht; wenn an einem Abende, wo sie sich bei ihrer Schnapsflasche vergaß, Antoine Streit mit ihr suchte, setzte sie sich tapfer zur Wehr und warf ihm seinen Müßiggang und seine Undankbarkeit vor. Die Nachbarn waren schon daran gewöhnt, in dem Zimmer der Macquartschen Ehegatten von Zeit zu Zeit den Krieg ausbrechen zu sehen. Sie hieben sehr gewissenhaft aufeinander los; das Weib prügelte nach Art einer Mutter, die ihren Rangen züchtigt. Der Gatte aber, falsch und gehässig wie er war, berechnete seine Hiebe und es geschah öfter, daß er die Unglückliche schier zum Krüppel schlug.

      Du wirst weit kommen, wenn du mir ein Bein oder eine Hand zerschlägst, pflegte sie ihm zu sagen. Wer wird dich dann ernähren, Taugenichts?

       Von diesen stürmischen Szenen abgesehen begann Antonie seine neue Lebensweise erträglich zu finden. Er war gut gekleidet, aß, wenn er Hunger hatte und trank, wenn er Durst hatte. Die Korbflechterei hatte er vollständig aufgegeben; manchmal, wenn er sich allzu sehr langweilte, nahm er sich vor, für den nächsten Markt ein Dutzend Körbe zu flechten, oft aber brachte er den ersten nicht fertig. Er bewahrte unter einem Kanapee ein Bündel Weidenruten, das er in zwanzig Jahren nicht aufbrauchte.

      Das Ehepaar Macquart bekam drei Kinder: zwei Töchter und einen Sohn.

      Lisa, die Erstgeborene, im Jahre 1827, ein Jahr nach der Heirat zur Welt gekommen, blieb wenig im Hause. Es war ein starkes, schönes Mädchen, gesund, vollblütig, sehr der Mutter gleichend. Aber sie sollte von dieser die Hingebung des Lasttieres nicht erben. Von ihrem Vater hatte sie einen ausgesprochenen Hang nach Wohlleben geerbt. Noch als Kind war sie bereit, einen ganzen Tag zu arbeiten, um einen Kuchen zu bekommen. Sie war noch nicht sieben Jahre alt, als die benachbarte Postverwalterin sie liebgewann. Diese machte aus Lisa eine kleine Hausmagd, und als sie im Jahre 1839 ihren Gatten verlor und nach Paris übersiedelte, nahm sie das Mädchen mit. Die Eltern hatten sie ihr gleichsam für immer überlassen.

      Die zweite Tochter, Gervaise, die im nächsten Jahre kam, war von Geburt lahm. Im Rausche empfangen, ohne Zweifel in einer jener schmählichen Nächte, wenn die Ehegatten einander halb tot prügelten, hatte sie den rechten Schenkel verrenkt und verkümmert, eine seltsame Vererbung der Brutalitäten, die ihre Mutter in einer Stunde des wütenden Kampfes und der Trunkenheit zu erdulden hatte. Gervaise blieb schwächlich, und Fine, als sie das Kind so bleich und so mager sah, zog es bei Kümmel auf, unter dem Vorwande, daß das Kind Kräfte sammeln müsse. Dabei verkümmerte das arme Wesen noch mehr. Es ward ein hoch aufgeschossenes, schmächtiges Mädchen aus ihr, dem alle Kleider zu weit waren. Auf dem ausgetrockneten, schiefen Rumpfe saß ein reizender Puppenkopf, mit einem runden, blassen Gesichtchen von köstlicher Zartheit. Ihre Gebrechlichkeit gereichte ihr fast zum Vorteil; ihre Taille wiegte sich bei jedem Schritt in einer Art abgemessenen Schaukelns.

      Der Sohn der Macquart, Jean mit Namen, ward drei Jahre später geboren. Es war ein starker Bursche, der in nichts an die Magerkeiten seiner Schwester Gervaise erinnerte. Er ähnelte seiner Mutter wie die ältere Tochter, ohne aber ihre leibliche Ähnlichkeit zu haben. Er war in der Familie der Rougon-Macquart der erste, der ein Gesicht mit regelmäßigen Zügen zur Welt brachte und die behäbige Kälte einer ernsten Natur von beschränkter Vernunft hatte. Dieser Bursche wuchs mit dem festen Willen auf, sich eines Tages eine unabhängige Stellung zu schaffen. Er ging fleißig in die Schule und zerbrach sich da den harten Kopf, um etwas Orthographie und Arithmetik hineinzubringen. Dann ging er in die Lehre und erneuerte hier seine Anstrengungen, die um so mehr am Platze waren, als er einen Tag brauchte, um etwas zu erlernen, was andere in einer Stunde sich aneigneten.

      Solange


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