Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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sie lieben, sie würde ruhig und zufrieden leben, ohne sich um ihren Mann zu kümmern.

      Gegen Ende September machte der Pfarrer Picot einen förmlichen Besuch in einem neuen Priesterkleide, auf dem sich erst Flecken von acht Tagen befanden, und stellte seinen Nachfolger, den Pfarrer Tolbiac vor. Er war ein ganz junger, hagerer, kleiner Priester mit nachdrucksvoller Sprechweise, dessen schwarzumränderte, tiefliegende Augen von verborgenem Eifer sprachen.

      Der alte Pfarrer war zum Decan von Goderville ernannt worden.

      Johanna war wirklich traurig über sein Fortgehen. Die Gestalt dieses Mannes war mit allen ihren Frauenerlebnissen verknüpft. Er hatte sie verheiratet, hatte Paul getauft und die Baronin beerdigt. Sie konnte sich Etouvent ohne den dicken Wanst des Pfarrers Picot, wenn er längs der Höfe hinging, gar nicht denken, und sie liebte ihn, weil er heiter und natürlich war.

      Trotz seiner Beförderung schien er nicht froh zu sein. Er sagte:

      – Frau Gräfin, ach kommt mich das schwer an! Jetzt bin ich seit achtzehn Jahren hier. Die Pfarre bringt nicht viel ein, und es ist nicht viel los damit. Die Leute haben auch nicht mehr Religion, wie gerade nötig ist, und die Weiber, die Weiber, sehen Sie mal, haben ja keine Ehre im Leib. Und die Mädchen lassen sich nicht eher trauen, als bis sie ihren Pilgergang hinter sich haben! Sie wissen: die Myrte ist billig hier zu Lande! Aber das schadet nichts, ich hatte sie doch gern.

      Der neue Pfarrer machte eine unwillige Bewegung. Er war rot geworden und sagte kurz:

      – Bei mir wird sich das alles ändern!

      Zart und mager in seinem schon abgeschabten, aber reinlichen Priesterrock sah er aus, wie ein wütendes Kind.

      Der Pfarrer Picot blickte ihn von der Seite an, wie er es zu thun pflegte, wenn er scherzte, und fuhr fort:

      – Nun, lieber Amtsbruder, um solche Dinge zu verhindern, müßte man die ganze Gemeinde einsperren, und das würde doch nichts nützen.

      Der neue Pfarrer antwortete in schneidigem Ton:

      – Das werden wir ja sehen!

      Der Alte nahm eine Prise und sagte:

      – Herr Amtsbruder, das Alter wird Sie ruhig machen. Sie werden auf die Art nur noch die letzten Beter aus der Kirche jagen. Nehmen Sie sich in Acht, wahrhaftig. Wenn ich bei der Predigt ein Mädchen sehe, das mir etwas stark vorkommt, so sage ich mir, das giebt ein Gemeindeglied mehr, und ich suche sie zu verheiraten. Sehen Sie mal, Sie werden sie nicht hindern, zu sündigen, aber Sie können wohl zu dem Burschen gehen und ihn daran hindern, daß er das Mädchen sitzen läßt. Verheiraten Sie sie, Herr Amtsbruder, verheiraten Sie sie, aber kümmern Sie sich um weiter nichts.

      Der neue Pfarrer antwortete kurz und bündig:

      – Wir haben verschiedene Ansichten, da läßt sich nicht weiter streiten.

      Und der Pfarrer Picot wiederholte, wie er bedauere, von dem Dorfe fortzugehen, von dem Meer, das er von den Fenstern des Pfarrhauses aus erblickt, von dem kleinen, trichterförmigen Thälchen, wo er sein Brevier gelesen und in der Ferne die Schiffe vorüber fahren gesehen.

      Die beiden Priester empfahlen sich. Der alte umarmte Johanna, die fast weinte.

      Acht Tage später kam Pfarrer Tolbiac wieder. Er sprach von den Reformen, die er einführte, wie etwa ein Kronprinz, der zur Regierung gelangt. Dann bat er die Gräfin, Sonntag in der Kirche nicht zu fehlen und zu allen Festtagen zu kommunizieren.

      – Sie und ich, sagte er, sind das Haupt der Bevölkerung, wir müssen den Leuten immer ein gutes Beispiel geben. Um die Gewalt zu haben und geachtet zu sein, müssen wir einig sein. Wenn Kirche und Schloß sich die Hände reichen, wird die Hütte uns fürchten und uns gehorchen.

      Johannas Religion war ganz Gefühl. Sie hatte jenen träumerischen Glauben, den jede Frau sich bewahrt, und wenn sie so ziemlich ihre kirchlichen Pflichten erfüllte, so war es hauptsächlich aus alter Gewohnheit vom Kloster her, denn die aufrührerische Philosophie des alten Barons hatte längst ihre religiöse Überzeugung erschüttert.

      Der Pfarrer Picot begnügte sich mit dem wenigen, das sie ihm geben konnte und schalt sie nicht, aber als sein Nachfolger sie am folgenden Sonntag nicht im Gotteshaus gesehen hatte, kam er unruhig mit ernster Miene herbei.

      Sie wollte mit dem Pfarrhaus nicht brechen und versprach zu kommen, indem sie sich vornahm, nur aus Gefälligkeit während der ersten Wochen regelmäßig zur Kirche zu gehen.

      Allmählich ward ihr das Kirchengehen zur Gewohnheit, und sie erlag dem Einfluß dieses zarten, kleinen, herrschsüchtigen und tadellosen Pfarrers.

      Er gefiel ihr durch seine Exaltiertheit und seine Glaubensglut. Er berührte in ihr die Seite der religiösen Poesie, die alle Frauen in der Seele tragen. Seine unbeugsame Strenge, seine Verachtung der Welt und der Sinne, sein Ekel vor allem, was die Menschen treibt, sein Gottesglauben, seine wilde, jugendliche Unerfahrenheit, seine harten Worte, sein unbeugsamer Wille brachten bei Johanna den Eindruck hervor, als sei er von dem Holz der Märtyrer, und sie ließ sich verführen, sie, die leidende, schon oft enttäuschte Frau, durch den starren Fanatismus dieses Knaben, dieses Dieners des Herrn. Er führte sie zum tröstenden Christus, zeigte ihr, wie die frommen Freuden der Religion all ihr Leid mildern würden, und sie kniete im Betstuhl, demütigte sich vor Gott, fühlte sich klein und schwach vor diesem Priester, der kaum fünfzehn Jahre alt zu sein schien.

      Aber bald war er verhaßt in der ganzen Gemeinde.

      Von unbeugsamer Strenge gegen sich selbst, war er gegen die andern von unerschütterlicher Unduldsamkeit. Eines vor allem erzürnte und empörte ihn: die Liebe.

      In seinen Predigten sprach er häufig davon, in harten Worten, indem er nach Kirchenart über seine bäurischen Zuhörer donnernde Sätze losließ gegen die böse Lust. Er zitterte vor Wut, stampfte mit dem Fuße auf, ganz erfüllt von den Bildern, die er selbst in seiner Wut heraufbeschwor.

      Die Burschen und Mädchen blickten sich in der Kirche heimlich an, und die alten Bauern, die gern einen Scherz über diese Dinge machen, mißbilligten die Unduldsamkeit des jungen Pfarrers, wenn sie aus der Kirche heimgingen, neben dem Sohn in der blauen Bluse und der Bäuerin in der schwarzen Haube. Die ganze Gegend kam in Aufregung.

      Man erzählte sich leise sein strenges Vorgehen im Beichtstuhl, die schweren Strafen, die er auferlegte, und da er sich weigerte, einem Mädchen, deren Keuschheit der Versuchung erlegen war, die Absolution zu erteilen, fing man an, sich darüber lustig zu machen. Beim Hochamt an den großen Festen lachte man, wenn man sah, wie junge Leute auf ihrer Bank sitzen blieben, statt mit den andern zum Abendmahl zu gehen.

      Bald belauschte er die Liebespaare, um zu verhindern, daß sie sich träfen, wie ein Wildhüter dem Wilddieb nachschleicht. Er jagte sie längs der Gräben hinter den Scheunen auf, an Mondscheinabenden, und in den Büscheln des Seegrases an den Hängen der Hügel. Einmal traf er ein Paar, das sich, als er sich näherte, nicht losließ, sie hielten sich umschlungen und gingen unter Küssen in einem steinigen Hohlweg hin.

      Der Pfarrer rief:

      – Wollt ihr euch gleich loslassen, Bauerngesindell

      Der Bursche drehte sich um und antwortete:

      – Kümmern Sie sich um Ihre Sachen, Herr Pfarrer, solche Geschichten gehen Sie nichts an.

      Da hob der Pfarrer Steine vom Boden auf und warf nach ihnen wie nach Hunden. Lachend entflohen sie beide, und am folgenden Sonntag nannte er ihre Namen beim Gottesdienst von der Kanzel herab.

      Alle jungen Leute der Gegend hörten auf in die Kirche zu gehen.

      Jeden Donnerstag aß der Pfarrer im Schloß und kam auch sonst oft während der Woche, um mit seinem Beichtkind zu sprechen.

      Sie begeisterte sich mit ihm, sprach über überirdische Dinge und brachte das ganze, komplizierte, alte Arsenal geistlicher Fragen zum Vorschein.

      Sie gingen beide die Allee der Baronin entlang und sprachen von Christus und den Aposteln, von der heiligen Jungfrau und den Kirchenvätern, als hätten sie sie Persönlich gekannt.


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