Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Lassen Sie mich, ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen, Frau Gräfin.
Gerade auf seinem Weg, mitten im Hof, standen eine Menge Kinder, vom Hofe und aus der Nachbarschaft, um die Hütte der Hündin Mirza herum, indem sie neugierig mit stummer, eifriger Aufmerksamkeit etwas betrachteten. Mitten unter ihnen befand sich der Baron, die Hände auf dem Nacken, und blickte auch neugierig hin. Man konnte meinen, er sei der Schullehrer. Als er aber von weitem den Priester bemerkte, ging er davon, um ihn nicht grüßen und sprechen zu müssen.
Johanna rief ihm noch nach:
– Bitte lassen Sie mir doch ein Paar Tage Zeit, Herr Pfarrer, um zu überlegen, ich sage Ihnen dann, was ich mir ausgedacht habe, und wir werden sehen, was wir thun können.
Sie näherten sich der Kinderschar, und der Pfarrer trat hinzu, um zu sehen, was ihre Aufmerksamkeit erregte.
Es war die Hündin, die Junge warf. Vor der Hütte krabbelten vier kleine um die Mutter herum, die sie zärtlich ableckte, während sie voller Schmerzen auf der Seite lag. Im Augenblicke, wo der Priester sich vorbeugte, streckte sich das Tier in Wehen, und ein sechstes kleines Hündchen erschien. Da klatschten die Bengels in die Hände und riefen:
– Da ist noch eins, ein neues!
Es war für sie ein Hauptvergnügen, ein ganz natürlicher Vorgang, und kein unreiner Gedanke dabei. Sie sahen dieser Geburt zu, wie sie Äpfel vom Baume hätten fallen sehen.
Der Pfarrer Tolbiac war zuerst ganz paff, dann packte ihn ein unwiderstehlicher Zorn: er hob seinen großen Regenschirm, und begann blindlings auf die Köpfe der Kinderschar mit aller Kraft loszuschlagen. Die Bengel stoben erschreckt auseinander, und er stand plötzlich vor der Hündin, die sich bemühte, aufzustehen; aber er ließ sie nicht auf die Pfoten kommen, sondern, wie rasend, begann er, sie zu erwürgen. Den umklammernden Händen konnte sich das Tier nicht entziehen und stöhnte fürchterlich, indem es sich zu wehren suchte. Er zerschlug seinen Schirm auf ihm, und dann trat er, als er nichts mehr in der Hand hatte, das Tier mit Füßen, stampfte darauf und zerdrückte es, sodaß durch den Druck ein letztes Junges zur Welt kam, und nun trat er wie besessen mit dem Hacken den blutenden Körper, der noch inmitten der quiekenden, blinden, täppischen Tierchen, die schon Nahrung suchten, zuckte, tot. Johanna war fortgelaufen. Plötzlich fühlte der Priester, wie ihn jemand beim Hals packte. Er bekam eine fürchterliche Ohrfeige, sodaß sein Dreimaster davonflog, dann zerrte ihn der Baron mit Gewalt bis ans Thor und schmiß ihn auf die Straße.
Als der Baron zurückkehrte, sah er seine Tochter schluchzend zwischen den kleinen Hunden knieen, die sie in ihren Schoß zusammen las. Mit großen Schritten ging er auf sie zu, mit den Armen fuchtelnd, und rief empört:
– Das ist nun der Kerl im Priesterrock, das ist er! Hast Du ihn jetzt erkannt? Das ist er!
Die Pächtersleute waren herbeigelaufen. Alle betrachteten das Tier, dessen Leib aufgeschlitzt war, und die alte Couillard sagte:
– Ne, wie kann eener nor so wilde sein?
Johanna hatte die sieben Jungen aufgelesen und wollte sie groß ziehen.
Man bemühte sich, ihnen Milch einzuflößen. Drei starben am nächsten Tage. Da suchte der alte Simon die ganze Gegend ab, um eine Hündin zu finden; die sie nähren könnte. Er fand keine. Aber er brachte eine Katze mit, von der er behauptete, sie würde das eben so gut besorgen. Es wurden also noch drei der jungen Hunde getötet, und der letzte dieser Amme von einer ganz andern Tierart übergeben.
Die Katze nahm ihn sofort an, legte sich auf die Seite und ließ ihn trinken.
Damit die Adoptivmutter aber nicht erschöpft würde, entwöhnte man das Hündchen vierzehn Tage darauf, und Johanna übernahm es, dasselbe mit der Flasche großzuziehen.
Sie hatte es Toto genannt, aber der Baron veränderte den Namen und taufte es »Massacre.«
Der Priester kehrte nicht wieder, doch am folgenden Sonntag schleuderte er von der Kanzel herab fürchterliche Verwünschungen und Drohungen gegen das Schloß, indem er sagte, man müßte mit glühenden Eisen die schwärenden Wunden ausbrennen! Und er verfluchte den Baron – der sich darüber lustig machte – und ließ eine noch ganz leise Anspielung auf Julius’ neues Verhältnis fallen.
Der Vicomte war empört, aber die Furcht vor einem großen Skandal dämpfte seinen Zorn. Da setzte der Priester von Predigt zu Predigt seine Rache-Drohungen fort, indem er verkündete, die Stunde des Gerichts sei nahe, Gott würde alle seine Feinde treffen. Julius schrieb an den Erzbischof einen respektvollen, aber energischen Brief. Pfarrer Tolbiac wurde mit Ungnade bedroht und schwieg.
Jetzt traf man ihn oft auf langen einsamen Spaziergängen, wie er eilig mit exaltiertem Ausdruck dahin schritt. Alle Augenblicke begegneten Gilberta und Julius bei ihren Spazierritten ihm, manchmal in der Ferne, als schwarzem Punkt auf der Ebene oder am Klippenrande, manchmal trafen sie ihn sein Brevier lesend in irgend einem kleinen Thälchen, in das sie sich zurückziehen wollten. Da machten sie Kehrt, um nicht gesehen zu werden.
Der Frühling war gekommen, entzündete neu ihre Liebe und führte sie einander in die Arme, sei es hier, sei es dort, an einem jeden stillen Fleck, wohin sie auf ihren Ritten kamen.
Da das Laubwerk der Bäume noch dünn war und das Gras naß, und sie nicht wie im Sommer sich im Unterholz des Waldes verstecken konnten, hatten sie meistens, um ihre Liebesszenen zu verbergen, die fahrbare Hütte eines Hirten benutzt, die oben an der Küste von Vaucotte stand und seit aem Herbst verlassen war. Sie stand dort auf ihren hohen Rädern, fünf Meter vom Klippenrande entfernt, gerade an dem Punkte, wo das Thal sich jäh herabsenkte; dort konnten sie nicht überrascht werden, denn sie beherrschten die ganze Ebene. Und die Pferde, die an die Deichsel gebunden wurden, warteten, bis sich ihre Liebe erschöpft.
Da bemerkten sie eines Tages, als sie ihren Zufluchtsort verließen, den Pfarrer Tolbiac, der, im Seegras versteckt, las.
– Wir werden künftig unsre Pferde im Hohlweg lassen müssen, sagte Julius, sie könnten uns sonst verraten.
Und von nun an pflegten sie, die Tiere in einer buschreichen Senkung des Thälchens anzubinden.
Eines Abends, als sie beide nach La Vrillette zurückkehrten, um mit dem Grafen zu essen, sahen sie, wie der Pfarrer von Etouvent das Schloß verließ. Er machte ihnen Platz und grüßte, ohne sie anzublicken.
Eine Unruhe packte sie, aber sie beruhigten sich bald wieder.
Eines Tages saß Johanna in ihrem Zimmer und las. Es war Anfang Mai, draußen tobte der Sturm und heulte im Kamin. Da sah sie plötzlich Graf Fourville zu Fuß so schnell daherkommen, daß sie meinte, ein Unglück sei geschehen.
Sie eilte hinab, ihn zu empfangen, und als sie ihm gegenüber stand, meinte sie, er sei von Sinnen.
Er trug eine große Pelzmütze, die er nur zu Hause aufzusetzen pflegte, dazu seinen Jagdanzug, und war so bleich, daß sein roter Bart, der sonst von seiner rötlichen Gesichtsfarbe kaum abstach, aussah wie eine Flamme. Seine Augen waren starr und rollten hin und her.
– Nicht wahr, meine Frau ist hier? murmelte er. Johanna verlor den Kopf und sagte:
– Nein, ich habe sie heute noch nicht gesehen!
Ihm waren die Beine wie gebrochen, und er mußte sich setzen. Er nahm die Mütze ab und wischte sich mehrmals mit dem Taschentuche die Stirn.
Dann erhob er sich mit Anstrengung, ging auf die junge Frau zu und streckte ihr beide Hände entgegen, mit offenem Mund, bereit zu sprechen, um ihr irgend etwas Entsetzliches einzugestehen. Doch er ließ es, sah sie verzweifelt an und sagte in einer Art Delirium:
– Aber es ist Ihr Mann! Sie auch……
Und dann stürmte er nach dem Meere zu davon.
Johanna lief ihm nach, ihn zurückzuhalten, rief ihn, flehte ihn an, Grauen im Herzen; denn sie dachte: »Er weiß alles! Was wird er thun? Wenn er sie nur nicht findet!«
Doch sie konnte ihn nicht erreichen, und er hörte sie nicht. Ohne Zaudern stürmte er seinem Ziel entgegen.