Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон
in der lebensvollen Gestalt eines edlen und fein gebildeten Römers dargestellt wird.
II. Von den Personen, die Cicero in der Abhandlung von der Freundschaft redend eingeführt hat.
1. Die Hauptperson des Gespräches über die Freundschaft ist Gajus Lälius. Um seinem Vortrage größeres Gewicht, Ansehen und Würde zu verleihen, trägt Cicero, wie er es auch in dem Gespräche über das Greisenalter gethan hat, seine Ansichten nicht in eigener Person vor, sondern überträgt sie dem Lälius. Die ganze Persönlichkeit dieses Mannes war in jeder Beziehung für diesen Zweck geeignet. Denn einerseits hatte die Freundschaft des Lälius und des jüngeren Scipio Africanus bei den Römern eine große Berühmtheit erlangt; sodann besaß Lälius alle Eigenschaften und Tugenden, die einen Menschen zu einer edlen, hochherzigen und innigen Freundschaft befähigen. Sein Charakter war nicht bloß durch Rechtlichkeit und Unbescholtenheit ausgezeichnet, sondern empfahl sich auch durch Freundlichkeit, Heiterkeit, Milde 4; durch das Studium der Griechischen Litteratur und der Griechischen Philosophie hatte er sich eine feine Bildung angeeignet; in seinem Leben bewies er überall einen Sokratischen Gleichmuth 5, Besonnenheit, Mäßigung und Weisheit, so daß man ihm den ehrenvollen Beinamen des Weisen beilegte 6.
2. Gajus Lälius war der Sohn des Gajus Lälius, der im J. R. 561 (= 193 v. Chr.) mit Lucius Scipio Asiaticus Consul war. Sein Geburtsjahr läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben; aber daß er um mehrere Jahre älter war als sein Freund Scipio 7, der nach Livius (44, 44) im siebzehnten Lebensjahre an dem Feldzuge gegen Perses im J. 168 Theil nahm, also im J. 185 v. Chr. geboren ward, wird uns berichtet 8. Seine Jugend fällt also in die Zeit, wo die Römer mit der Griechischen Litteratur und der Griechischen Philosophie eine nähere Bekanntschaft machten. Als in dem J. 155 v. Chr. die drei Philosophen, der Neuakademiker Karneades, der Stoiker Diogenes und der Peripatetiker Kritolaus als Gesandte der Athener nach Rom kamen und gelehrte Vorträge hielten, gehörten Lälius und sein Freund Scipio zu den eifrigsten und fleißigsten Zuhörern derselben. Die Liebe zur Philosophie, die damals den jugendlichen Gemüthern eingeflößt worden war, blieb ihnen durch ihre ganze Lebenszeit. Später hörten Beide den Stoischen Philosophen Panätius und gewannen ihn so lieb, daß sie ihn zu ihrem vertrauten Freunde machten, wie auch von ihnen gerühmt wird, daß sie immer die gelehrtesten Männer aus Griechenland um sich gehabt hätten 9.
3. Auch als Redner wird er von Cicero 10 gerühmt, und zwar übertraf er hierin seinen Freund Scipio. Er liebte in seinen Reden alterthümliche Ausdrücke und zeigte einen feinen Geschmack ( elegantia) und eine fein ausgebildete Redeweise ( limatius dicendi genus). Die Rede, die der Augur Lälius als Prätor (145) gegen den Gesetzvorschlag des Volkstribuns Gajus Licinius Crassus hielt, nennt Cicero 11 aureola (wunderschön). Auch im J. 130 trat er mit Scipio gegen den Gesetzvorschlag des Tiberius Sempronius Gracchus auf (s. zu Lälius 25, 96).
4. Als Krieger und Staatsmann wird er allerdings von seinem Freunde überstrahlt; aber betrachten wir sein Leben für sich, so nimmt er auch in dieser Hinsicht eine ehrenvolle Stelle ein. In dem J. 146 nahm er in Afrika unter seinem Freunde Theil an dem Kriege gegen Karthago und leistete wichtige Dienste. Im folgenden Jahre (145) wurde er Augur und Prätor, und nach Spanien geschickt schwächte er den Lusitanier Viriathus, der einen blutigen Krieg gegen die Römer führte, dergestalt, daß er seinem Nachfolger einen leichten Krieg überlieferte 12. Das Consulat, um das er sich für das J. 141 vergeblich beworben hatte, erhielt er erst im folgenden Jahre (140) 13 mit Quintus Cäpio.
5. Das Todesjahr des Lälius ist unbekannt; nur so viel wissen wir, daß er seinen Freund Scipio, der 129 gestorben ist, überlebt hat.
6. Quintus Mucius Scävola, der zum Unterschiede von seinem gleichnamigen Verwandten, dem Oberpriester, der zu derselben Zeit lebte, der Augur genannt zu werden pflegt, war der Schwiegersohn des Lälius, der Schwiegervater des berühmten Redners Lucius Licinius Crassus, und Geschwisterkind ( frater patruelis) mit Publius Mucius Scävola, der 133 v. Chr. das Consulat verwaltete und Begründer des bürgerlichen Rechtes war, und dessen Sohn der berühmte Oberpriester war. Sein Schwiegervater verschaffte ihm die Augurwürde. Im J. 121 v. Chr. war er Prätor in Asien und 117 Consul mit Licinius Cäcilius Metellus. Er war ein großer Rechtsgelehrter; auch lag er unter dem Stoischen Philosophen Panätius dem Studium der Philosophie ob. Sein Charakter empfahl sich durch Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit und Rechtschaffenheit. Bis in sein spätestes Alter, selbst bei schon geschwächter Gesundheit bewies er als Senator und Rechtsgelehrter eine unermüdliche Thätigkeit. Zu ihm wurde Cicero im sechzehnten Lebensjahre (91 v. Chr.) geführt, um von ihm die Rechtswissenschaft zu lernen; doch konnte er seinen Unterricht nur kurze Zeit genießen, da Mucius schon im J. 88 starb 14.
7. Gajus Fannius, gleichfalls Schwiegersohn des Lälius, mit dem er aber nicht in dem besten Vernehmen stand, weil dieser dem Scävola bei der Augurwahl den Vorzug gegeben hatte, war im J. 136 v. Chr. Quästor und wenige Jahre darauf Prätor. Wie in seinem Wesen, so zeigte er auch in seiner Redeweise eine gewisse Härte. Auf Anrathen seines Schwiegervaters hörte er den Stoischen Philosophen Panätius. Er schrieb auch ein historisches Werk, Jahrbücher genannt, in dem sich aber nur eine mäßige Gewandtheit der Rede kund gab 15.
III. Von den in dieser Abhandlung benutzten Quellen 16 .
Die Hauptquelle ist Aristoteles' Ethik im achten und neunten Buche. Außerdem sind benutzt: Plato's Lysis und Xenophon's Denkwürdigkeiten des Sokrates; ferner nach Gellius ( N. A. I, 3) Theophrastus' Schrift περὶ φιλίας, von dem nur einzelne Bruchstücke noch vorhanden sind, und nach Lynden ( de Panaetio S. 108 sq.) Chrysippus' Bücher περὶ φιλίας und περὶ του̃ δικάζειν. In dem Eingange unserer Schrift schwebt ihm der Eingang von Plato's Theätetus vor. Aber die Benutzung der Quellen ist eine sehr freie. Die denselben entnommenen Gedanken sind so sehr verarbeitet, mit Römischen Anschauungen vermischt und in Römische Formen umgegossen, daß die Abhandlung ganz den Eindruck einer Urschrift macht.
IV. Inhalt der Abhandlung.
I. Zuschrift an Titus Pomponius Atticus, worin er erwähnt, wie ihm das Gespräch des Lälius von der Freundschaft mitgetheilt sei, und den Grund angibt, warum er in seiner Abhandlung die dialogische Form gewählt und den Lälius zur Hauptperson des Gespräches gemacht habe (Kap. I.). Betrachtung über die Weisheit des Lälius (Kap. II.). Lobrede auf den jüngeren Scipio Africanus (Kap. III.) Betrachtung über die Unsterblichkeit der Seele, durch die Erwähnung von Scipio's Tode hervorgerufen (Kap. IV.).
II. Abhandlung. A. Erster Theil: über die praktische Bedeutung und den Nutzen der Freundschaft. Die Freundschaft verdient vor allen irdischen Gütern den Vorzug. Sie kann aber nur unter Guten, d. h. Tugendhaften, bestehen. Die Freundschaft ist in der Natur selbst (d. h. in der Vernunft) begründet, indem sie die Menschen auf ein geselliges Leben hingewiesen hat. Die eigentliche Freundschaft aber beschränkt sich auf den Bund zweier oder weniger Personen (Kap. V.). Denn sie setzt die vollkommenste Uebereinstimmung in allen göttlichen und menschlichen Dingen, verbunden mit Wohlwollen und Liebe, voraus, und ist als das höchste aller äußeren Güter zu betrachten, das zugleich auch die Tugend mitumfaßt,