Avatar - Der Herr der Elemente: Der Schatten von Kyoshi. F.C. Yee

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nur feuchtes, schwammiges Moos am Boden. Er befand sich in einem Mangrovenwald. Der Himmel leuchtete in der ekelhaft schummrigen Farbe von ätzender Säure.

      Er kroch umher, Sumpfschlamm schmatzte unter seinen Knien. Kahle, knorrige Baumstämme, kaum mehr als Schemen, ragten ringsumher empor. Durch das lockere Flechtwerk der Äste blickte ein riesiges, leuchtendes Auge auf ihn herab.

      Das Auge hatte gesprochen. Es hatte gesagt, er sei nicht …

      Ein Schmerz, schrecklich und vertraut, fuhr in seinen Magen. Er krümmte sich zusammen, platschte mit seinen Unterarmen ins Sumpfwasser. Die Landschaft um ihn herum begann zu erbeben. Hier war kein Erdbändigen am Werk, sondern etwas Ursprünglicheres, etwas Unkontrollierbares.

      Er war nicht. Hier endete der Satz. Er war nichts.

      Das seichte Wasser tanzte wie Regentropfen auf einer Trommel und schoss in Fontänen aufwärts. Es kam und ging, rüttelte an den Bäumen, sodass sie gegeneinander schlugen wie Hirschgeweihe im Kampf. Yun warf sich zu Boden, die makabre Parodie eines Schülers, der sich vor seinem Meister verbeugt.

      Jianzhu. Der Name füllte seinen Geist wie ein Schrei, ein einzelner schriller Ton aus einer kaputten Flöte. Seine Stirn klatschte in den brackigen Schlamm. Jianzhu.

      »Hör auf, du armseliger kleiner Bengel!«, brüllte das Auge. Trotz seines Ärgers schien es vor ihm zurückzuschrecken, fürchtete sich offenbar vor seinem wilden Schmerz. Der Boden zuckte und flatterte wie das Herz eines Mannes, der in den Tod stürzte. Ein Trommelschlag, der vor dem drohenden Aufprall lauter und lauter wurde.

      Yun wollte, dass es aufhörte. Er wollte, dass die Qual ein Ende hatte. Es tat so weh zuzusehen, wie alles, wofür er gearbeitet hatte, zu Funken und Staub zerstob. Der Schmerz fraß ihn von innen auf.

      Dann lass ihn raus.

      Seine eigene Stimme flüsterte ihm diese Worte zu. Nicht die des Auges, nicht Jianzhus Stimme.

      Trag ihn nach draußen. Irgendwo anders hin.

      Zu jemand anderem.

      Der Riss begann bei seinen Füßen, ein Nadelstich in überdehnter Seide. Dann lief er ins Wasser hinein und zuckte über die Erde wie ein Blitz über den Himmel. Der Boden teilte sich, die gesamte Gewalt des Bebens entlud sich auf einen schnellen, verheerenden Schlag.

      Und dann … Stille.

      Yun konnte wieder atmen. Er konnte sehen. Das Beben hatte sich erschöpft, hatte einen langen Spalt im Boden hinterlassen, eine widernatürliche Wunde in der Landschaft. Sumpfwasser strömte hinein und verbarg einen Abgrund, in dessen Tiefe er nicht blicken wollte.

      Alles war so viel klarer, wenn sich endlich Erleichterung eingestellt hatte. Yun nutzte die Atempause und sah sich um. Der modrige Hain war anders als alle Wälder, die er je gesehen hatte. Das schwache Licht des Himmels stammte nicht von der Sonne – er konnte keinen solchen Himmelskörper entdecken. Dies war das diffuse Abbild einer wirklichen Landschaft, mit allzu stark verdünnter Tinte gemalt.

      Ich bin in der Geisterwelt.

      Er wich vor der Kluft zurück, die sich vor ihm erstreckte, wollte nicht von der Strömung mitgerissen werden. Dann drehte er sich um, packte die freigelegten Wurzeln eines ledrigen Baums und zog sich auf trockeneren Boden. Der Geruch von Schwefel und Verwesung hing in der Luft.

      Meister Kelsang hatte ihm von der Geisterwelt erzählt. Schön und wild sollte sie sein, voller Wesen jenseits jeder Vorstellungskraft. Das Reich der Geister bot sich seinem Besucher als Spiegel dar, ein Abglanz seiner Gefühlswelt, eine Wirklichkeit, die um die nicht greifbare Projektion seines eigenen Geistes herum Gestalt annahm.

      Yun krümmte die Finger und merkte, dass sie so fest und real waren, wie sie es nur sein konnten. Er fragte sich, ob der sanfte Mönch jemals ein solch albtraumhaftes Moor erkundet hatte. Sie hatten nie darüber gesprochen, was geschähe, wenn man die Geisterwelt betrat, während man noch in seinem Körper steckte.

      Es knackte im Geäst und er zuckte zusammen. Er war nicht allein. Das Auge. Aufmerksam beobachtete es ihn aus dem Schatten des Waldes heraus, umkreiste ihn auf durchscheinenden Tentakeln, die, wie er wusste, mit unzähligen menschlichen Zähnen gespickt waren. Er hatte ihren Biss gespürt, in den Bergen, als sie eine Kostprobe seines Blutes genommen hatten.

      Schlagartig rauschte eine Welle von Panik durch seine Herzkammern. Yun wusste, dass seine Uhr abgelaufen war. Er versuchte, sich zu erinnern, wie Jianzhu den Geist genannt hatte. »Großvater … Glühwurm?«

      Plötzlich kam das Auge auf ihn zugeschossen und ließ sich zwischen zwei Bäumen in seiner Nähe nieder. Yun schrie auf und stürzte rückwärts auf seine Ellenbogen. Er hatte einen Fehler gemacht: Indem er den Namen ausgesprochen hatte, hatte er eine entscheidende, unsichtbare Barriere eingerissen. Nun war er enger mit dem Auge verbunden und verletzlicher denn je.

      »So nenne ich mich«, sagte der Geist. Großvater Glühwurms Pupille zuckte auf enervierende Weise umher und die Iris zog sich zusammen. Yun konnte diesen Blick beinahe körperlich spüren, als würde eine schleimige Zunge über seinen Körper lecken. »Und nun, Kind, bist du mir deinen Namen schuldig.«

      Im Erdkönigreich gab es zahllose Märchen, die der Bevölkerung als Warnung dienen sollten, und Yun war wie ein Narr genau in eine solche Erzählung hineingestolpert, in die Rolle eines armen Feldarbeiters oder Holzfällers, der mit einem Fluch belegt oder einfach nur gefressen wurde. Wie er wohl verzehrt werden würde? Vielleicht würde er zu Brei zerrieben und dann vom Schleim absorbiert.

      »Ich heiße Yun.« Seine Handflächen waren schweißnass, so groß war seine Angst inzwischen. In manchen dieser Geschichten überlebte der dumme Junge durch blanken Schneid. Yun war bereits zur Beute geworden; seine einzige Chance war, sich zu einer interessanten Beute zu machen. »Ich … Ich …«

      Doch es gelang ihm nicht, sich zu fassen. Seine Eloquenz, mit dem er den Feuerlord und den Erdkönig, die Häuptlinge der Wasserstämme und die obersten Äbte beeindruckt hatte, ließ ihn im Stich. Avatar Yun hätte vielleicht das Selbstvertrauen aufgebracht, sich aus dieser Lage herauszureden, doch der existierte nicht mehr.

      Großvater Glühwurm regte sich in den Bäumen und Yun wusste, dass er sterben würde, wenn er nicht schnell etwas sagte. All die Augenblicke, in denen ein anderer sein Schicksal in Händen gehalten hatte, schossen ihm durch den Kopf.

      »Bitte zieh mich als deinen Schüler in Betracht!«, rief er schrill.

      Konnte ein einzelnes Auge überrascht aussehen? Es war still im Wald, nur das Rauschen des Wassers war zu hören. »Ich … knie vor dir nieder, als demütiger Pilger auf der Suche nach Antworten«, sagte Yun. Er nahm eine Haltung an, die besser zu seinen Worten passte. »Bitte unterweise mich in den Lehren der Geisterwelt. Ich flehe dich an!«

      Großvater Glühwurm brach in Gelächter aus. Er besaß keine Augenlider, die er hätte verengen können, aber der Augapfel drehte sich nach oben, als würde er sich amüsieren. »Junge, hältst du das hier für ein Spiel?«

      Alles ist ein Spiel, dachte Yun und versuchte, sein Zittern zu unterdrücken. Ich werde dieses hier in die Länge ziehen, so gut ich nur kann. Eine Runde lang überlebe ich noch.

      Avatar Yun existierte nicht mehr. Er würde wieder Yun, der Schwindler, sein müssen. »Du kannst es mir wohl kaum verübeln, dass ich einem Geist Fragen stellen möchte, der weiser noch ist als die weisesten Menschen.« Im Zweifelsfall immer schmeicheln. »Die größten Weisen des Erdkönigreichs haben es sechzehn Jahre lang nicht geschafft, den Avatar zu identifizieren. Dir hingegen ist das in wenigen Sekunden gelungen.«

      »Hmpf. Wenn man einen Kampf ausgefochten hat wie seinerzeit Kuruk und ich, dann ist es unmöglich, seinen Geist nicht wiederzuerkennen. Schon als Jianzhu seine Reinkarnation auf meine Tunnel zuführte, habe ich gespürt: Es musste eins von euch Kindern sein.«

      Bei dem Wort Tunnel wurde Yun hellhörig. »Du hast Wege zur Menschenwelt? Mehr als nur einen?«

      Großvater


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