Avatar - Der Herr der Elemente: Der Schatten von Kyoshi. F.C. Yee

Avatar - Der Herr der Elemente: Der Schatten von Kyoshi - F.C. Yee


Скачать книгу
Nein, du wirst mich weder austricksen noch überreden, dich zurückzuschicken. Du bist nicht die Brücke zwischen den Geistern und den Menschen, Junge. Du bist der Stein, den der Bildhauer wegschlagen musste. Die Verunreinigung im Erz. Ich habe dein Blut gekostet und du bist nichts. Nicht einmal dieses Gespräch bist du wert.«

      Das Auge kroch näher. »Ich kann sehen, wie sehr dir die Wahrheit missfällt«, wisperte er in tröstendem, beinahe lieblichem Tonfall. »Mach dir nichts draus. Wer braucht schon die Avatarschaft? Du wirst deinen eigenen Lebenszweck schon finden – und deine eigene Unsterblichkeit. Sobald ich mich an deinem Blut gestärkt habe, wird ein Teil deines Wesens ewiglich in mir fortleben.«

      Bei jedem Spiel bestand die Gefahr, dass der Gegner irgendwann die Lust daran verlor. Jäh schoss Großvater Glühwurm durch den Wald auf Yun zu und teilte mit seinen Schleimtentakeln die Bäume wie einen Perlenvorhang.

      »Und jetzt sei dankbar«, brüllte der Geist. »Denn nun werden wir beide eins!«

image

      UNERLEDIGTE GESCHÄFTE

image

      BRUDER PO hatte Kuji einmal erzählt, der Spitzname des Dao sei »Mut aller Männer«: Nahm man das robuste Schwert in die Hand, mit dem sich der Feind hingebungsvoll niedermetzeln ließ, fühlte man sich sogleich tapferer.

      Kuji fühlte sich jedoch keineswegs tapferer, als er mit klammen Fingern das Heft seines Dao umklammert hielt und die Tür bewachte. Zudem kam ihm die Klinge auch nicht sonderlich robust vor. Es war ein rostiges, abgestoßenes Exemplar, das so aussah, als würde es zerspringen, wenn er allzu kräftig damit in der Luft herumfuchtelte. Als jüngstes Mitglied der Triade der Goldenen Schwinge musste er am Ende der Schlange warten, wenn die Waffen ausgehändigt wurden. Dieses Schwert stammte vom Boden der Kiste.

      »Jetzt bist du ’n richtiger Soldat, was?«, hatte jemand gewitzelt, als man ihm das Schwert in die Hand gedrückt hatte. »Nicht wie wir Mordgesellen.«

      Bruder Po stand mit seiner kleinen Axt in der Hand an der Tür. Es war die Lieblingswaffe der meisten gestandenen Kämpfer der Triade. Nach außen hin wirkte er ruhig, doch Kuji konnte sehen, wie sein Kehlkopf beim Schlucken auf und ab hüpfte, wie er es immer tat, wenn er beim Pai-Sho einen riskanten Zug spielen wollte.

      Wenn irgendetwas Kuji Sicherheit gab, dann war es das Revier seiner Bande: Loongkau war praktisch eine Festung. Auf den ersten Blick sah der Häuserblock nicht anders aus als die Nachbardistrikte in Ba Sing Ses Unterem Ring. Der sichtbare Teil wuchs planlos wie ein Pilz ein paar Stockwerke in die Höhe. Er trotzte der Schwerkraft und spottete jeder vernünftigen Architektur.

      Es war jedoch ein offenes Geheimnis, dass der Komplex sich illegalerweise Ebene um Ebene tief in die Erde hinein fortpflanzte. Immer neue Untergeschosse waren gegraben worden, ohne dass dem Ganzen ein solider Plan oder ein Verständnis für Sicherheit zugrunde gelegen hätte. Alles wurde nur behelfsmäßig durch Holzreste, Lehmziegel und zusammengeklaubte, rostige Metallstücke abgestützt. Dennoch bestand Loongkau nach wie vor und war noch nicht in sich zusammengebrochen, was das Wirken der Geister sein mochte.

      Das Innere des Komplexes bestand aus gewundenen Gängen, verschachtelten Räumen, Treppen und leeren Schächten. Armselige Kammern, die den Bewohnern als Behausungen dienten, saßen hier dicht an dicht wie Waben in einem Bienenstock und ließen nur Platz für enge Gassen. Loongkau war voller Fallen, so auch das Zimmer, in dem Kuji und Po warteten. Das war einer der Gründe, warum sich die Gesetzeshüter der Stadt nie an diesen Ort wagten.

      Bis jetzt. Der Boss hatte einen Hinweis bekommen, dass die Festung der Goldenen Schwinge genau heute angegriffen werden würde. Jeder Bruder hatte Posten zu beziehen, bis die Bedrohung abgewehrt war. Kuji wusste nicht, was für ein Feind die Ältesten so in Aufregung versetzt haben vermochte. Um Loongkau zu belagern, schätzte er, wären mehr Polizisten nötig, als der Untere Ring zur Verfügung hatte.

      Der Plan war dennoch solide. Wenn Eindringlinge in die unteren Etagen gelangen wollten, mussten sie einer nach dem anderen durch einen Engpass, der an diesem Zimmer vorbeiführte. So konnten sich Kuji und Ning jeden von ihnen einzeln vorknöpfen.

      Es war zudem unwahrscheinlich, dass sie in einen Kampf geraten würden – zumindest redete Kuji sich das ein. Ein Stockwerk über ihnen schlich Halsabschneider Gong umher, der beste Attentäter, den der Boss hatte. Gong konnte einen Mungodrachen in seinem Versteck im Dschungel aufspüren und töten. Mit all den Köpfen, die er schon abgeschlagen hatte, hätte er eine ganze Scheune füllen können …

      Im Stockwerk über ihm knallte etwas. Eine Stimme war nicht zu hören. Das kleine Zimmer fühlte sich plötzlich weniger wie ihr Revier und mehr wie ein Verschlag an, in dem sie wie eingepferchte Tiere festsaßen. Po gestikulierte mit seinem Beil. »Wir werden hören, wenn sie die Treppe runterkommen«, flüsterte er. »Dann schlagen wir zu.«

      Kuji neigte seinen Kopf in die Richtung und lauschte angestrengt. Er wollte unbedingt mitbekommen, wenn sich jemand näherte, also lehnte er sich vor – und verlor prompt das Gleichgewicht, sodass er stolperte. Po verdrehte die Augen. »Du bist zu laut«, zischte er.

      Wie um ihm Recht zu geben, flog plötzlich die Tür aus den Angeln, und jemand kam hereingeschossen und prallte mit Kuji zusammen. Der kreischte und fuchtelte mit seinem Dao, traf den Angreifer jedoch nur mit dem Knauf am Kopf. Po schnappte sich den Kerl und holte mit dem Beil aus, doch im letzten Moment hielt er inne.

      Es war Halsabschneider Gong. Er war bewusstlos und blutete. Seine Handgelenke waren in die falsche Richtung verbogen und seine Knöchel waren mit seinem eigenen Würgedraht zusammengeschnürt. »Bruder Gong!«, rief Po und vergaß dabei selbst, leise zu sein. »Was ist passiert?«

      Ein Krachen ertönte – nicht vom Flur her, den sie bewachen sollten, sondern von der gegenüberliegenden Wand. Zwei Arme mit Panzerhandschuhen an den Händen waren dort durch die Backsteine gebrochen und hatten sich in einem Würgegriff um Pos Hals gelegt. Kuji sah, wie seine Augen weiß vor Angst wurden, dann wurde Po mitten durch die Wand aus dem Zimmer gezerrt.

      Kuji starrte ungläubig und wie betäubt das Loch an. Po war ein großer Mann, doch innerhalb eines Wimpernschlags war er fort gewesen, als wäre er einem Rabenadler zum Opfer gefallen. Hinter dem Loch, durch das er verschwunden war, war nichts als Finsternis.

      Draußen knarrten die Dielen, als jemand darüber hinwegschritt, als wäre völlige Stille ein Mantel, den der Feind nach Belieben anlegen und abwerfen konnte. Tritte schwerer Stiefel kamen näher und näher.

      Etwas schob sich durch den Türrahmen, sodass vom schwachen Licht des Flurs fast nichts mehr zu sehen war: Eine große, unglaublich große Gestalt trat herein. Eine schmale Spur aus Blut zog sich quer über ihre Kehle, als wäre ihr der Kopf abgeschlagen und wieder festgeklebt worden. Unter der Wunde bauschte sich ein Gewand aus grüner Seide. Das Gesicht war eine weiße Maske, die Augen nichts weiter als rote Striche – wie die eines Ungeheuers.

      Zitternd hob Kuji sein Schwert. Er bewegte sich so langsam, als würde er durch Schlamm schwimmen. Das Wesen sah zu, wie er sein Schwert schwang, den Blick auf die Klinge geheftet, und irgendwie wusste Kuji, dass es ihn ohne Schwierigkeiten würde abwehren können. Wenn es denn wollte.

      Die Klinge des Dao grub sich in die Schulter seines Gegners. Ein metallenes Knacken erklang, dann fuhr ein jäher Schmerz in Kujis Wange. Das Schwert war zerbrochen und die Spitze war zurückgeprallt und hatte ihn im Gesicht getroffen.

      Das war ein Geist, musste einer sein. Einer, der durch Wände gehen und über Böden schweben konnte, eine Bestie, der man mit Klingen nichts anhaben konnte. Kuji ließ den Griff seines nutzlosen Schwertes fallen. Seine Mutter hatte ihm einmal erzählt, man könne sich gegen das Böse schützen, indem man den Avatar anrief. Schon als Kind hatte er gewusst, dass sie sich das nur ausgedacht hatte. Aber das hieß ja nicht, dass er sich nicht in diesem Augenblick


Скачать книгу