Avatar - Der Herr der Elemente: Der Schatten von Kyoshi. F.C. Yee

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zu begleichen, und er hatte auch die nötigen Leute für die anschließende Razzia bereitgestellt. »Ist das Gebäude sicher?«, fragte Li. Er schob seinen Hut zurück und tupfte sich die Stirn mit dem Ärmelaufschlag ab.

      »Die Triadenmitglieder sind alle besiegt und können weggeschafft werden«, sagte Kyoshi. »Ihr solltet einen Arzt kommen lassen.«

      »Ich kümmere mich natürlich sofort darum«, antwortete Li. Am gelangweilten Tonfall konnte Kyoshi klar erkennen, wie wenig ernst er ihren Vorschlag nahm. Er hob die Finger an die Lippen und stieß einen Pfiff aus. »In Ordnung, Jungs! Holt das Gesindel da raus!«

      Die Wachleute stürmten in den Wohnblock hinein. Sie hatten freie Bahn, nun, da Kyoshi jeden Winkel auf Gefahren überprüft hatte. Sie wartete geduldig auf das Ergebnis ihrer Arbeit. Die Triade der Goldenen Schwinge musste bei Tageslicht gezählt und katalogisiert werden. Alles Geheimnisvolle würde sich verflüchtigen, wenn man sie erst mal wie Reissäcke wegschleppte. Das hoffte sie zumindest.

      Aus dem Dunkel Loongkaus drangen laute Stimmen und Kampfeslärm hervor. Zwei Polizisten zerrten einen Mann ins Freie, der nicht unter Kyoshis Angreifern gewesen war. Er war ärmlich gekleidet, allerdings fiel ihm eine Brille von der Nase. Er musste ein Juwelier oder Schneider gewesen sein, dass er sich so etwas Teures hatte leisten können.

      Bevor sie etwas sagen konnte, wurde die Brille von einem Stiefel zermalmt. Mit wachsendem Schrecken sah Kyoshi zu, wie weitere Polizisten herauskamen. Sie führten eine Frau vor sich her, die Hand in ihrem Genick. Sie hatte ein weinendes Kind auf dem Arm. Der Mann mit den schlechten Augen hörte das Kind und fing an, sich im Griff der Wachleute zu winden.

      Das waren keine Mitglieder der Triade. Es war eine der armen Familien, die in diesem Block lebten. »Was machen Eure Leute da?«, schrie Kyoshi in Lis Richtung.

      Er blickte sie verwirrt an. »Wir entfernen das kriminelle Element. Gewisse Leute warten schon lange darauf, diesen Schandfleck abzureißen.« Er zögerte wie ein Feilscher, der nicht zu viel Geld ausgeben wollte. »Wollt Ihr auch einen Anteil? Da müsst Ihr meinen Ansprechpartner im Mittleren Ring fragen.«

      Der Mittlere Ring. Auf einen Schlag begriff sie.

      Jemand mit großen, lukrativen Plänen für Loongkau hatte die Einwohner aus dem Block entfernen wollen, hatte dafür aber einen Vorwand gebraucht. Diese Person hatte zugelassen, dass die Triade sich dort niederließ, damit das Gesetz und der Avatar sich einmischen würden. Und dann hatte er Captain Li bestochen, damit er Unschuldige und Verbrecher gleichermaßen herausschaffte.

      »Hört auf!«, befahl Kyoshi. »Hört sofort damit auf!«

      »Ach je«, jammerte Li ohne einen Funken Ehrlichkeit. »Das tut mir leid, Avatar, aber ich erfülle nur meine Pflicht. Ich habe die Befugnis, im eigenen Ermessen diese Räumlichkeiten von Verbrechern zu befreien.«

      »Mama!«, schluchzte das kleine Mädchen – das war mehr, als Kyoshi ertragen konnte. »Papa!«

      Kyoshi zog ihre Fächer und ließ sie aufschnappen. Dann hob sie aus der Schicht direkt unter dem Staub der Straße, wo der Lehm noch feucht und formbar war, Erdbrocken herauf. Faustgroße Klumpen schossen davon und klatschten Li und seinen Männern auf Mund und Nase, wo sie wie Maulkörbe haften blieben.

      Die Wachen ließen die Familie los und griffen sich panisch ins Gesicht, doch gegen Kyoshis Erdbändigen konnten sie mit bloßen Fingern nichts ausrichten. Li sank auf die Knie, seine Augen traten hervor.

      Allzu bald würden sie nicht ersticken. Kyoshi steckte ihre Fächer weg. Dann schritt sie langsam die Reihe der Wachen ab, riss jedem das Stirnband herunter und überprüfte die quadratischen Metallsiegel des Erdkönigs, die am Stoff befestigt waren.

      In die Abzeichen aller Beamten von Ba Sing Se waren Identifikationsnummern eingraviert, ein Beleg für die ungeheure Bürokratie der Stadt. Obwohl diese Männer gerade immer weniger Luft bekamen, verstanden sie doch, was es bedeutete, dass sie ihnen ihre Stirnbänder abnahm und unter ihrer Robe verstaute. Sie musste nur zu einer Verwaltungsbehörde gehen und sich nach ihrer Identität erkundigen, dann würde sie sie später problemlos wiederfinden können. Die meisten Einwohner von Ba Sing Se hatten die Gerüchte gehört, was Avatar Kyoshi ausmachte und wie sie mit Menschen umging.

      Li hob sie sich bis zum Schluss auf. Als sie die Runde gemacht hatte und endlich bei ihm ankam, war er bereits puterrot angelaufen. Sie riss ihm das Stirnband unter der Mütze hervor, dann ließ sie den Lehm von seinem Mund herabfallen und befreite auch seine Männer von ihren Knebeln. Lis Einheit stürzte geschlossen zu Boden, alle rangen nach Atem. Der Captain landete auf der Seite, sein Atem rasselte wie Würfel in einem Becher. Sie beugte sich über ihn, doch bevor sie etwas sagen konnte, schleuderte er ihr einen Namen entgegen, in der Hoffnung, dass sie ihn dann verschonen würde. Er hatte wirklich kein Rückgrat. »Wo – so lautet sein Name! Der Mann, der mich bezahlt, ist Minister Wo!«

      Kyoshi musste die Augen schließen, um ihre Frustration zu verbergen. In Ba Sing Se musste es mindestens ein Dutzend Minister mit dem Namen Wo geben. Der Name allein brachte ihr gar nichts. Die Stadt war zu groß. Das Erdkönigreich war zu groß. Sie konnte mit der Korruption nicht Schritt halten, die aus allen Löchern drang.

      Sie holte tief Luft. »Jetzt hört mir mal genau zu, Captain«, sagte sie, so ruhig sie konnte. »Ihr werdet die Triadenleute wegschaffen und sonst niemanden. Dann treibt Ihr Papier und Pinsel auf und schreibt mir ein umfassendes Geständnis, in dem Ihr von diesem Wo erzählt und jede Bestechung auflistet, die Ihr jemals von ihm gekriegt habt. Und jeder Pinselstrich nichts als die Wahrheit. Haben wir uns verstanden, Captain Li? Ich werde es mir hinterher ansehen. Und ich will, dass Ihr Euer ganzes Herzblut in dieses Geständnis legt.«

      Er nickte. Kyoshi richtete sich auf und bemerkte, dass die Frau und ihre Tochter sie mit großen angsterfüllten Augen anstarrten. Sie machte einen Schritt auf sie zu, wollte sie fragen, ob sie verletzt waren.

      »Fasst sie nicht an!« Der Mann, der seine Brille verloren hatte, warf sich zwischen Kyoshi und seine Familie. Nahezu blind, hatte er wohl nicht erkannt, dass sie nur helfen wollte. Oder er hatte es erkannt, glaubte aber dennoch, dass sie eine Bedrohung darstellte.

      Weiter entfernt, um die Absperrung herum, hatte sich eine Schar von Schaulustigen versammelt. Sie tuschelten und frische Gerüchte nahmen ihren Anfang: Der Avatar hatte nicht nur die Bewohner Loongkaus auseinandergenommen, Kyoshi hatte auch ihren unersättlichen Zorn gegen die Polizisten des Erdkönigs gerichtet.

      Die Blicke der gewöhnlichen Bürger und der verängstigten Familie ließen ihre Haut kribbeln, verursacht durch ein Gefühl, das korrupte Männer wie Li oder Mok nie bei ihr hätten auslösen können. Es war Scham. Sie schämte sich dessen, was sie getan hatte, was sie war.

      Ihr Make-up verbarg die Röte ihrer Wangen und die Furchen in ihrer Stirn. Ein letztes Mal legte sie Li vielsagend die Hand auf die Schulter, dann ging sie so gemächlich, wie sie gekommen war. Sie ließ Loongkau zurück wie eine teilnahmslose Statue auf dem Rückweg zu dem Altar, der sie zum Leben erweckt hatte. Die Farbe in ihrem Gesicht verbarg jedoch die Wahrheit, die sich auf ihren Zügen abzeichnete: Sie floh vom Schauplatz ihres Verbrechens, während ihr Herzschlag drohte, ihren Brustkorb zu zertrümmern.

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      DIE EINLADUNG

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      WER SICH DARÜBER BEKLAGTE, wie lange man brauchte, um Ba Sing Se zu durchqueren, rechnete gewöhnlich die verstopften Straßen mit ein. Für Kyoshi stellten sie kein Problem dar: Menschenmengen teilten sich vor ihr wie das Gras vor dem Wind.

      Außerdem stand ihr eine Abkürzung zur Verfügung: Sie konnte Wasser bändigen und mit einem provisorischen Floß die Regenwasserkanäle nutzen, die aus dem Oberen Ring bis ganz nach unten in die Ackerbauzone führten, wo mit dem Wasser die Pflanzen bewässert wurden. Das ging extrem schnell, sofern man


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