Avatar - Der Herr der Elemente: Der Schatten von Kyoshi. F.C. Yee

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hatte dabei sein linkes Vorderbein verloren. Nun, als Erwachsener, krängte er wegen der Verletzung ein wenig beim Fliegen, weswegen Jinpa hin und wieder sanft mit den Zügeln gegensteuern musste, damit sie auf geradem Kurs blieben.

      Kyoshi hatte sich an Yingyongs Schlängelflug gewöhnt. Kelsangs Bison Pengpeng war mit der Aufzucht ihrer eigenen Jungen beschäftigt. Sie hatte sich ihren Ruhestand im Südtempel redlich verdient und Kyoshi hatte nie erwartet, dass ihre Bindung von Dauer sein würde. Pengpeng hätte sie vielleicht weiter geduldet, sie vielleicht sogar gemocht, aber diese wunderbaren Tiere schlossen sich in ihrem Leben nur einem einzigen Luftnomaden an.

      Auf ihrem Weg zur Feuernation flogen Jinpa und sie etwas tiefer als sonst, nahe über den grünen Wassern des Mo-Ce-Meers, wo die Luft warm war und man gut atmen konnte. Das schöne Wetter machte dies möglich. Wolkenfetzen trieben über den blauen Himmel und warfen immer wieder einen Moment lang ihre Schatten auf sie.

      Wenn Kyoshi irgendetwas aus der Zeit vermisste, nachdem sie auf Pengpengs Rücken aus Yokoya geflohen war, dann waren es jene kurzen Momente des Reisens zwischen all den Ereignissen. Viele hätten wohl angenommen, dass es sie beruhigte, auf einem Bison dahinzuschweben, den Wind im Gesicht, doch Kyoshi schätzte etwas ganz anderes an den Flügen: Solange sie in der Luft war, konnte sie ausnahmsweise sicher sein, dass sie ganz automatisch ihr Bestes tat. Schneller als mit einem Himmelsbison kam man nun mal nicht von einem Punkt zum anderen. Sie musste sich nicht über andere Optionen den Kopf zerbrechen.

      Eine ungesicherte Tasche kam auf dem Sattel ins Rutschen. Jinpa zog noch einmal kurz an den Zügeln und Yingyong korrigierte sich. Kyoshi packte die Tasche und klemmte sie unter ein Tau. »Geht’s ihm gut?«, fragte sie. »Braucht er eine Pause?«

      »Nee, ihm geht’s gut«, sagte Jinpa. »Der faule Junge hat sich von einem Schwarm Flugaale ablenken lassen. Stimmt’s, Junge? Wer ist ein fauler Junge mit Aufmerksamkeitsstörung, der sich leicht ablenken lässt?« Er kratzte Yingyong zärtlich hinter dem Ohr. »Aber wenn Ihr anhalten wollt, dann bietet sich uns ein Stück voraus eine Gelegenheit. Es ist ein interessanter historischer Schauplatz: Avatar Yangchen hat dort angeblich zum ersten Mal Wasser gebändigt. Wollt Ihr euch das ansehen?«

      Das wollte sie tatsächlich gern. Sie empfand eine brennende Neugier für einen der größten Avatare der Geschichte, ihre Vorgängerin, die vor zwei Generationen Avatar gewesen war. Yangchen war die Frau, die alles richtig gemacht hatte. Bis auf den heutigen Tag riefen die Leute sie an, wenn sie Schutz oder Glück suchten. Kyoshi wünschte oft, sie besäße den Intellekt eines wahren Gelehrten, um Yangchens Wirken als Anführerin wirklich verstehen zu können. Sie schlug sich mit ihrem Allgemeinwissen über den gesegneten Luftavatar durch, der erfolgreich das Gleichgewicht und die Harmonie auf der Welt bewahrt hatte.

      Wenn sie das nächste Mal in Yokoya war, würde sie sich eingehender in Yangchens Lebenswerk einlesen. In den großen Büchereien des Herrenhauses musste es jede Menge nützliches Material dazu geben. Jetzt gerade war sie jedoch in Eile. »Wir müssen nicht landen. Ich kann von oben einen Blick drauf werfen.«

      »Natürlich, Avatar. Ich sag Bescheid, wenn wir da sind.«

      Kyoshi ließ sich in ihren Sitz zurücksinken. Der Brief unter ihrer Jacke schabte leicht am Stoff und kratzte lautstark an ihren Nerven.

      Sie hatte schon lange nicht mehr mit Rangi kommuniziert. Botenfalken kamen mit der extremen Kälte des Nordens nicht zurecht, wo sich ihre Mutter Hei-Ran auskurierte. Als neuer Avatar war Kyoshi ständig unterwegs. Das Anwesen war so weit vom Nördlichen Wasserstamm entfernt, wie es ein Punkt im Erdkönigreich nur sein konnte. Es schien, als hätte sich die Welt verschworen, um sie voneinander getrennt zu halten und zum Schweigen zu bringen.

      Sie wollte an etwas anderes denken. Oder mit jemand anderem reden. Es fiel ihr immer noch schwer, sich ungezwungen mit Jinpa zu unterhalten, und für nur eine Person war ein Bisonsattel eigentlich viel zu groß und wirkte unangenehm leer. Sie war es eher gewöhnt, sich mit wenigstens vier anderen um den Platz streiten zu müssen, mit den Schultern zu schubsen und sich darüber zu beklagen, wer am meisten aus dem Mund stank, weil er zu scharf gegessen hatte.

      Nach einer Weile spürte sie, wie sich Yingyong wieder auf die Seite legte, schärfer diesmal. »Und … wo ist nun diese Insel?«, fragte sie Jinpa. Sie hielt sich an der Reling fest, um die Balance zu halten. Das Meer unter ihr war eine glatte Fläche. Eine Landmasse hätte sich nirgendwo verstecken können.

      Jinpa lehnte sich in den Kreis hinein und suchte das Wasser ab. »Hmm. Nach allem, was ich gelesen hab, müsste es hier irgendwo sein. Ich sehe nichts, abgesehen von dem dunklen Fleck dort unter der Oberfläche.«

      »Ach, wenn wir’s nicht finden, können wir auch einfach weiterfliegen. Es ist nicht so wichtig …«

      KYOSHI.

      Sie schrie auf, als plötzlich ein stechender Schmerz von einer Schläfe zur anderen durch ihren Schädel schoss. Er packte sie im Genick und alles verschwamm ihr vor den Augen. Ihre Hände wurden taub und verloren den Halt am Sattel. Kopfüber fiel sie über die Reling und stürzte vom Bison, noch immer den Klang des eigenen Namens im Ohr.

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      Der Schmerz ließ auf dem gesamten Weg in die Tiefe nicht von ihr ab. Scharf wie ein Dolch schoss er zwischen ihren Schläfen hin und her, bis er einen Ausgang fand: abwärts die Wirbelsäule entlang, von der aus er über ihren ganzen Körper herfallen konnte. Ihr war kaum bewusst, wie schnell und wie tief sie fiel.

      KYOSHI.

      Ein Mann mit einer tiefen Stimme rief nach ihr, seine Worte wurden vom Wind zerrissen, der an ihren Ohren vorbeizischte. Die Stimme gehört nicht Jinpa.

      KYOSHI.

      Der Schock, ins kalte Salzwasser einzutauchen, war eine Erleichterung nach der heißen Qual. Sie wusste nicht, wo oben und unten war. Ihre Gliedmaßen trieben schwerelos im Wasser. Als sie die Augen öffnete, spürte sie das erwartete Brennen des Salzwassers nicht.

      Aus dem endlosen Blau tauchte eine Gestalt vor ihr auf, die ebenso schlaff im Wasser trieb wie sie. Ihr Gegenüber war nur undeutlich zu sehen, wie eine Tuschezeichnung, die jemand in einen Fluss geworfen hatte, doch sie wusste, wer diese Erscheinung war, die in die Felle des Wasserstamms gehüllt war.

      Avatar Kuruk.

      … KYOSHI … BRAUCHE DEINE HILFE, UM …

      Die Stimme ihres direkten Vorgängers im Avatarzyklus war viel lauter im Wasser, seinem natürlichen Element. Sie donnerte in ihren Ohren.

      … KYOSHI … DU MUSST … ICH KANN NICHT …

      Eine Hand fuhr in Kuruks Leib und löste seine Erscheinung auf wie Tinte im Wasserglas. Sie packte Kyoshi am Kragen und zog sie nach oben. Das Salzwasser, das ihr bisher nichts ausgemacht hatte, biss ihr nun umso heftiger in die Augen. Sie vergaß, dass sie immer noch im Meer war, schnappte instinktiv nach Luft und bekam einen Schwall Wasser in die Kehle. Falls Kuruks Zauber sie bisher vor dem Ertrinken bewahrt hatte, so war er nun gebrochen.

      Jinpa schlug mit den Beinen und zerrte sie, während er sie mit einer Hand festhielt, auf das gebrochene Sonnenlicht zu. Zuerst versuchte Kyoshi, ihm noch zu helfen, indem sie selbst schwamm. Beschämend lange strampelte sie herum, bis ihr wieder einfiel, dass sie eine Wasserbändigerin war – umgeben von Wasser. Rasch hob sie die Arme und brachte Jinpa und sich selbst an die Oberfläche.

      Sie brachen hindurch und spuckten Wasser. Kyoshi hustete und keuchte, bis sie endlich wieder atmen konnte. Yingyong schwebte nahebei in der Luft und knurrte besorgt.

      »Geht es Euch gut?!«, rief Jinpa prustend. »Seid Ihr verletzt?«

      »Mir fehlt nichts«, sagte Kyoshi. Der Kopfschmerz hatte sich weitestgehend in den Ozean hinein verflüchtigt. »Ich hab nur das Gleichgewicht verloren und bin rausgefallen.«

      »Rausgefallen?« Jinpa war so wütend auf sie, wie es ein Luftbändiger nur sein konnte. Er hatte die Stimme erhoben. Und er guckte böse.

      »Es


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